Bricht ein Knochen und muss durch eine Schraube stabilisiert werden, so bedeutet das für Patienten mindestens zwei belastende Operationen. Denn in den meisten Fällen müssen die eingesetzten Implantate aus Stahl oder Titan wieder entfernt werden. Um diese Folgeoperationen in Zukunft zu vermeiden, arbeiten Ingenieure der Medizintechnik, Mediziner und Tiermediziner gemeinsam an einem Ziel. Sie wollen Knochenstifte und Schrauben aus Magnesiumlegierungen entwickeln, die vollständig resorbiert werden und keine allergenen Wirkungen besitzen.
Die Idee zu dem Forschungsprojekt entstand, als sich der Magnesiumkorrosionsexperte Volker Kaese, Universität Hannover, und der Orthopäde Henning Windhagen, Medizinische Hochschule Hannover, über ihre scheinbar völlig fremden Fachgebiete austauschten. Im Gespräch wurde der Gedanke geboren, Magnesiumlegierungen als resorbierbares Material (resorbierbare metallische Osteosynthesematerialen, kurz ReMOS) in der Knochenchirurgie einzusetzen. Im interdisziplinären Zentrum für Biomedizintechnik gelang es unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Heinz Haferkamp, ein Projekt ins Leben zu rufen, an dem die Universität Hannover, die Tierärztliche Hochschule Hannover und die Medizinische Hochschule Hannover beteiligt waren. Als die Wissenschaftler vor zwei Jahren den ersten Innovationswettbewerb zur Förderung der Medizintechnik gewannen, konnten sie die Idee durch die gut einjährige Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auf seine "Machbarkeit" testen. Langfristig soll von industriellen Partnern ein marktreifes Produkt entwickelt werden. Da Neuentwicklungen in der Medizintechnik sehr kostenintensiv sind, hilft das BMBF mit dem Wettbewerb, Innovationsbarrieren zu überwinden.
Stabil und nicht allergen
Die zurzeit in der Praxis verwendeten resorbierbaren Implantate aus Polymeren haben Nachteile: Einige führen immer wieder zu Entzündungen und Fisteln, andere sind nicht stabil genug, um komplizierte oder größere Brüche zu heilen. Temporär oder als Dauerimplantate im Knochen eingesetzte Schrauben und Platten aus Stahl erfüllen zwar die Stabilitätskriterien, führen jedoch in zwölf Prozent der Fälle zu allergischen Reaktionen. Neben Stahl- werden auch Titanschrauben verwendet. Diese sind stabil und allergisch unbedenklich, müssen jedoch wie Stahlimplantate in den meisten Fällen wieder operativ entfernt werden.
Diese Nachteile wollen die Forscher mit der Entwicklung von resorbierbaren Magnesiumlegierungen umgehen. Da Metallallergien in der Bevölkerung zunehmen, war die gute Verträglichkeit des neuen Materials ein vorrangiges Ziel des Projekts. Magnesium ist als natürlicher Bestandteil des Stoffwechsels in hohem Maße biologisch verträglich - 60 Prozent des Gesamtmagnesiums im Körper eines Erwachsenen befinden sich in den Knochen. Überflüssige Mengen werden über die Niere ausgeschieden. Ein Nachteil: Reinmagnesium wird im Körper schneller abgebaut, als der Knochen heilen kann.
Die Wissenschaftler wählten daher aluminium-zinkhaltige Magnesiumlegierungen und so genannte seltenerdenhaltige Magnesiumlegierungen. Sie sollen den Abbau im Körper verzögern. Bei Versuchen wurden Metallstifte in die Oberschenkelknochen von Meerschweinchen implantiert. Der direkte Knochenkontakt führte zu positiven Ergebnissen: Die neuen Legierungen sind in ihren Festigkeitswerten den aktuellen abbaubaren Polymeren weit überlegen, werden jedoch resorbiert, und sie sind aus allergischer Sicht ebenso unbedenklich wie Titanimplantate. Es gelang den Forschern erstmals, die Korrosion in vivo durch die Wahl der Legierungsbestandteile grob zu steuern. Sie sind überzeugt, dass es zukünftig möglich sein wird, Implantate aus Magnesiumlegierungen herzustellen, die eine ausreichende Festigkeit besitzen und sich nach der Knochenheilung langsam biologisch abbauen, ohne zu Abstoßungsreaktionen oder Allergien zu führen. Zusätzliche Operationen zur Metallentfernung könnten den Patienten somit erspart bleiben.
Unterschiedliche Ansprüche in den verschiedenen anatomischen Regionen
Eine Umfrage unter Chirurgen ergab, dass sie bei ausreichender Festigkeit und guter Handhabung resorbierbare Implantate bevorzugen würden. Bisher ist jedoch noch nicht ausreichend erforscht, welchen biologischen und biomechanischen Ansprüchen die Implantate während der Knochenheilung in den verschiedenen anatomischen Regionen des Körpers genügen müssen. Für jede Anwendungsmöglichkeit müssen alle Einflüsse geprüft werden: Wie muss die Zusammensetzung der Magnesiumlegierungen beschaffen sein, welche mechanischen Eigenschaften werden benötigt und welche Korrosionszeiten braucht das Implantat in der jeweiligen Region? Bis zum ersten Einsatz am Menschen müssen die Magnesiumlegierungen noch weiteren Tests unterzogen werden.
Innovationswettbewerb 2002
Auch in diesem Jahr führt das BMBF wieder einen Innovationswettbewerb zur Förderung der Medizintechnik durch (Hier geht es zur Bekanntmachung). Bis zum 31. Juli 2002 können Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Kliniken und die Industrie ihre Ideen einreichen. Die Gewinner werden mit bis zu 200.000 Euro gefördert. Insgesamt stellt das BMBF für den diesjährigen Wettbewerb zwei Millionen Euro zur Verfügung.
Projektleitung ReMOS:
Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. mult. H. Haferkamp
Institut für Werkstoffkunde
Lise-Meitner-Straße 1
30823 Garbsen
Tel.: 0511/7 62-98 11
Leiter der Projektkoordination und wissenschaftlichen Durchführung:
Dr. med. Frank Witte
Orthopädie der Medizinischen Hochschule Hannover
Klinik II im Annastift
Anna-von-Borries Straße 17
30625 Hannover
Tel.: 0511/53 54-5 46
Fax: 0511/53 54-6 82
E-Mail: f.witte@web.de
Juni 2002
Weitere Informationen:
Medizintechnik