12.04.2022

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SafetyNet: Mittels Computersimulationen Tierversuche in der Wirkstoffforschung reduzieren

Das Projekt SafetyNet entwickelt Methoden der Netzwerkmodellierung, um die Schädlichkeit von Wirkstoffen mittels Computersimulation besser bewerten zu können und so Tierversuche in der präklinischen Arzneimittelentwicklung zu reduzieren und langfristig zu ersetzen.

Abbildung einer Genomsequenzierung

Abbildung einer Genomsequenzierung 

AdobeStock/RDVector

Wer steht hinter SafetyNet und welche Ziele haben Sie sich mit Ihren Partnern gesetzt?

In SafetyNet arbeiten wir in einem europäischen Verbund mit dem Softwareentwickler MicroDiscovery GmbH in Berlin und der Universität Maastricht zusammen. Unser Ziel ist es, unter Ausnutzung moderner digitaler Verfahren die präklinische Medikamentenentwicklung schneller, effektiver und sicherer zu machen. Die Entscheidung, ob ein Wirkstoff als sicher eingestuft werden kann, kann – so unsere Annahme - zu einem großen Teil bereits durch gezielte in-vitro-Experimente und unter Ausnutzung breiter öffentlich zugänglicher Daten am Computer entschieden werden. Für bestimmte Wirkstoffklassen wissen wir bereits, dass sie toxische Prozesse induzieren. Diese Prozesse und zellulären Netzwerke können wir computergestützt abbilden und dadurch eine numerische Bewertung vornehmen, um die Schadhaftigkeit von Wirkstoffen zu schätzen. Dieser Schätzwert kann dazu dienen, ungeeignete Wirkstoffe schon früh in der Entwicklung zu erkennen, sie auszusortieren und dadurch überflüssige Tierversuche zu vermeiden. Unsere Herausforderung liegt aktuell in der Solidität und der Menge der vorhandenen Daten. Lernprozesse im Computer nachzubilden, ist immer eine Frage der Qualität, aber auch der Quantität von Trainingsdaten, so dass der Prozess am Anfang durchaus zäh ist, aber im Laufe der Zeit immer besser werden wird.

Vor dem Aspekt der immer noch vielfältigen Verwendung von Tierversuchen - etwa bei der Prüfung neuer Chemikalien sowie Überarbeitung der Bewertung existierender Chemikalien: Welchen Beitrag kann SafetyNet hier leisten?

Wir sind überzeugt, dass unsere Idee Tierversuche in der Medikamentenentwicklung reduzieren und sie langfristig auch an manchen Stellen ersetzen wird. Wir versuchen dies, indem wir in-vitro-Modelle mit modernen Computerverfahren kombinieren, um schädliche Effekte der Wirkstoffe auf zelluläre Netzwerke zu bewerten - zum Beispiel auf nachlassende Kontraktionsfähigkeit von Herzzellen. Wir untersuchen zunächst Leber und Herz als zwei der wichtigsten Zielorgane toxischer Prozesse. Der Ansatz ist aber generisch und kann mit jedem anderen menschlichen Zielorgan durchgeführt werden. Um die Prozesse zu messen, stützen wir uns auf geeignete in-vitro-Modelle von Zielorganen - wie zum Beispiel Mikrogewebe -, die Herz- und Leberfunktionen imitieren. Eine Bewertung von Wirkstoffen erfolgt idealerweise möglichst früh, weit vor der Einleitung der ersten klinischen Phase der Arzneimittelentwicklung, in der der Wirkstoff zum ersten Mal an Menschen auf Sicherheit und Verträglichkeit getestet wird. Damit kann das Ergebnis in die regulatorische Gesamtbewertung mit einfließen und Tierversuche bereits in den sehr frühen Phasen der Entwicklung vermieden werden.

Welche Fortschritte sahen Sie in den letzten Jahren für 3R im Bereich der Toxikologie? Wo sind Barrieren, die überwunden werden müssen?

Es sind zahlreiche wissenschaftliche Beiträge erschienen, an denen auch wir im Max-Planck-Institut beteiligt waren, in denen neue in-vitro-Modelle als Repräsentationen für menschliche Organe entwickelt und getestet wurden, beispielsweise aus Stammzellen oder Mikrogewebe. Andererseits gibt es neue experimentelle Methoden, die zu einem erheblichen Wissenssprung führen werden und schon in anderen biomedizinischen Bereichen, etwa in der Krebsforschung, eingesetzt werden - zum Beispiel die single-cell-Sequenzierung oder die Epigenetik. Außerdem ist man in der Bioinformatik bei der Annotation und Analyse von zellulären Netzwerken weitergekommen, so dass man heutzutage ein viel vollständigeres molekulares Bild von einer Leber- oder Herzzelle hat. Diese neuen Technologien müssen aber auch angenommen und eingesetzt werden und für regulatorische Maßnahmen erschlossen werden. Hier sehen wir ein grundlegendes Problem im Verständnis und der Akzeptanz moderner Hochdurchsatzverfahren. Gerade aber jüngste Entwicklungen, zum Beispiel Mutationsscreening in der personalisierten Medizin oder die mRNA-basierte Impfstoffentwicklung, sind ermutigende Zeichen für eine praktische Translation neuer Technologien.

Dr. Ralf Herwig, Koordinator im Verbundprojekt SafetyNet

Dr. Ralf Herwig, Koordinator im Verbundprojekt SafetyNet

Ralf Herwig, MPIMG

Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit in einem länderübergreifenden Verbundvorhaben? Was sind die Stärken und Schwächen solch internationaler Kooperationen?

Die Arbeit in einem internationalen Verbund, im Rahmen von SafetyNet zum Beispiel mit holländischen Toxikologen, ist sehr wertvoll. Wir machen sehr gute Erfahrungen. Das ist aber auf unserem Gebiet auch nichts Neues. Wissenschaft ist immer international vernetzt. Auf europäischer Ebene sind unsere Kooperationen lange gewachsen und etabliert – zum Beispiel durch gemeinsame Projekte im Framework 7 und Horizon 2020, den großen Forschungsprogrammen der EU Kommission. Die Rahmenbedingungen sind exzellent: sowohl was logistische Aspekte betrifft als auch bei der digitalen Kommunikation etwa für Data Sharing. Bereichernd in einem internationalen Verbund ist neben der Vernetzung der Austausch über den Tellerrand hinweg. Wir können nur von diesem erweiterten Blickwinkel profitieren. In anderen Ländern gelten oftmals andere Regularien. So ist zum Beispiel aufgrund nationaler Regulierungen manchmal etwas in anderen Ländern möglich, was in Deutschland nicht funktioniert (ein treffendes Beispiel ist hier der Bereich der Stammzellenforschung). Außerdem fischt man Expertise natürlich aus einem viel größeren Pool, so dass man vielleicht schneller vorangehen und sich einen viel größeren Markt für eventuellen Knowledge Transfer sichern kann. Nachteile sehen wir eigentlich keine.

Welches Potenzial sehen Sie für Ihre Forschungsarbeit in der Praxis der Zukunft?

Wir sehen sehr gute Chancen für einen erfolgreichen Transfer in die Praxis. Die Digitalisierung schreitet weltweit voran. Das betrifft natürlich auch unsere Arbeitsprozesse und die Notwendigkeit Computerverfahren, auch in der Biomedizin, immer mehr als Entscheidungshilfen einzusetzen. Computergestützte Verfahren haben sich in vielen Anwendungsbereichen der Wirtschaft und in Wissenschaft und Forschung bereits durchgesetzt. Das wird auch in Zukunft für die Toxikologie gelten.

Wo sehen Sie noch Handlungs- und Forschungsbedarf für einen erfolgreichen Transfer in die Anwendung?

Die computergesteuerten Entscheidungsprozesse müssen noch verfeinert werden, zum Beispiel in Bezug auf eine genauere Abbildung von toxischen Read Outs und die Nachbildung zellulärer Netzwerke. Es müssen dabei die neuesten Technologien und Verfahren zum Einsatz kommen. In der Forschung heißt das, dass wir finanziell investieren müssen, um dies leisten zu können. Anschlussfinanzierungen in der Forschungsförderung sind wichtig, damit zentrale Forschungsergebnisse tatsächlich zur Marktreife gebracht und in die Praxis transferiert werden können.