Medikamente spielen eine zentrale Rolle bei der Therapie von Menschen mit Schizophrenie. Ein Forschungsteam hat vorhandenes Wissen über Wirkungen und Nebenwirkungen systematisch ausgewertet und wichtige Hinweise für eine gezieltere Medikation gefunden.
Eine Schizophrenie begleitet die betroffenen Menschen oft lebenslang, sodass ihre Lebensqualität, aber auch die ihrer Angehörigen stark einschränkt ist. Neben der psychotherapeutischen Behandlung stellen Antipsychotika, das sind speziell für diese Erkrankungsform entwickelte Medikamente, die wichtigste Therapieform dar. Sie sollen im akuten Fall helfen, müssen aufgrund des hohen Rückfallrisikos aber häufig auch jahrelang, bei chronischen Verläufen sogar dauerhaft eingenommen werden. Für die Betroffenen und ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist daher wichtig zu wissen, welche Wirkungen, aber auch Nebenwirkungen die insgesamt über 30 zugelassenen Antipsychotika haben.
Hier setzt eine Arbeitsgruppe um den Münchner Psychiater Professor Dr. Stefan Leucht an: Das Team sucht mit der Methode des Systematischen Reviews nach wissenschaftlichen Nachweisen der Wirkung und Nebenwirkung von Therapieverfahren bei Schizophrenie. „Hierzu gibt es sehr viele gute und wichtige wissenschaftliche Arbeiten, aber erst die systematische Auswertung der vielen einzelnen Datensätze nach bestimmten Aspekten ermöglicht Aussagen, die für die ärztliche Praxis unmittelbar nützlich sind“, so Leucht. Die jüngsten Arbeiten des Teams haben Ergebnisse zu vier in der Praxis hoch relevanten Aspekten des Medikamenteneinsatzes ergeben: Rückfallprophylaxe, Nebenwirkungen für den Stoffwechsel, Dosisreduktion sowie gleichzeitige Verwendung von mehreren Medikamenten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte diese Projekte von 2017 bis 2022 mit insgesamt rund 540.000 Euro.
Rückfallprophylaxe: Medikamente hinsichtlich Nebenwirkungen auswählen
Charakteristisch für Schizophrenie ist das hohe Risiko eines Rückfalls – 60 von 100 Personen erleiden diesen ohne medikamentösen Schutz innerhalb von zwei Jahren nach einer ersten akuten Phase. Die Einnahme von Antipsychotika führt jedoch häufig auch zu Nebenwirkungen wie einer Gewichtszunahme oder auch Bewegungsstörungen. Die Arbeitsgruppe von Leucht hat daher die vorhandenen wissenschaftlichen Arbeiten systematisch danach analysiert, welche Medikamente einen Rückfall am ehesten verhindern und welche Nebenwirkungen sie verursachen. Das erfreuliche Ergebnis: Die Antipsychotika unterscheiden sich nicht eindeutig in der Verhinderung von Rückfällen. Dafür zeigten sich große Unterschiede bei den Nebenwirkungen. Leuchts Fazit für die medizinische Praxis: „Medikamente zur Vermeidung von Rückfällen sollten vor allem danach ausgewählt werden, dass sie möglichst geringe Nebenwirkungen verursachen.“
Schizophrenie
Weltweit ist rund ein Prozent der Menschen von Schizophrenie betroffen, Männer und Frauen in etwa gleich häufig. Die Krankheit ist mit psychischen Symptomen wie Halluzinationen oder Denkstörungen verbunden, die Erkrankten können ihren Gefühlen oft keinen Ausdruck verleihen, sind häufig antriebslos und können daher oft nicht gut am gesellschaftlichen oder beruflichen Leben teilhaben. Weil Schizophrenie in der Regel im frühen Erwachsenenalter beginnt und oft chronisch verläuft, gehört sie zu den Erkrankungen, die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) am stärksten zu Beeinträchtigungen im Alltag beitragen. Die Lebenserwartung der Betroffenen ist um etwa 15 Jahre verkürzt. Neben einer hohen Suizidrate tragen dazu wahrscheinlich auch die zahlreichen Nebenwirkungen der Antipsychotika bei.
Stoffwechsel: langfristige Nebenwirkungen reduzierbar
Über die Nebenwirkungen speziell von langfristig verabreichten Antipsychotika haben Leucht und sein Team ebenfalls Daten zusammengetragen und ausgewertet. Dabei haben sie vor allem die unerwünschten Nebenwirkungen auf den Fett- und Zuckerstoffwechsel und die dadurch ausgelösten Folgeerkrankungen wie Adipositas und Diabetes, Herz-Kreislauf-Störungen und eine reduzierte Lebenserwartung untersucht. Tatsächlich fanden sie Unterschiede, beispielsweise eine höhere oder geringere mittlere Gewichtszunahme. „Dies sollten die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gerade bei Langzeittherapien berücksichtigen“, empfiehlt Leucht und verweist auf die differenzierten Tabellen in der Publikation des Systematischen Reviews, in denen sein Team die einzelnen Medikamente und ihre Nebenwirkungen aufgeführt hat.
Dosisreduktion: keine Vorteile, aber häufiger Rückfälle
Nicht nur die Auswahl des passenden Medikaments, sondern auch die Dosierung spielt eine wichtige Rolle für den Erfolg der Therapie und möglicherweise für das Ausmaß von Nebenwirkungen. Eine Dosisreduktion zeigte in der Auswertung des Forschungsteams aber nicht die erhoffte Wirkung, denn die Zahl der Rückfälle erhöhte sich dadurch eindeutig.
In Bezug auf die Nebenwirkungen ergaben sich keine klaren Unterschiede zwischen üblicher und reduzierter Dosis – doch dies könnte andere Gründe haben. Leucht nennt als mögliche Erklärung: „Womöglich tauchen Betroffene, die starke Nebenwirkungen entwickelten, nicht in den Studienergebnissen auf, weil sie wegen der damit verbundenen Beschwerden die Studienteilnahme vorzeitig abbrachen“. Das Thema wird die Forschenden daher auch in Zukunft beschäftigen: „Die Frage der Dosis wird in der Fachwelt gerade mit großem Engagement diskutiert, und in den kommenden Jahren sind weitere groß angelegte Studien zu erwarten. Wir haben uns daher entschlossen, unsere systematischen Auswertungen über die Projektlaufzeit hinaus fortzusetzen und kontinuierlich in einem sogenannten Living Systematic Review zu aktualisieren“, erklärt Leucht.
Reduktion der Anzahl eingenommener Medikamente: keine Veränderung
Häufig werden bei Schizophrenie verschiedene Antipsychotika gleichzeitig verschrieben und eingenommen; in der Fachsprache wird dies Polypharmazie genannt. Deshalb analysierte Leuchts Forschungsgruppe auch die vorhandenen wissenschaftlichen Nachweise zu den Folgen einer Reduktion der Anzahl der gleichzeitig verabreichten Medikamente. Die Auswertung ergab: Das Befinden der Betroffenen besserte sich nicht, es gab aber auch keine zusätzlichen Krankenhauseinweisungen oder Nebenwirkungen. Zu Lebensqualität und Rückfällen lagen keine Daten vor.
Synergieeffekt: Modell für ein neues Leitlinienformat
Die Arbeiten von Leucht und seiner Gruppe beeinflussen klinische Praxis und Forschung unmittelbar. Derzeit wird die deutsche S3-Leitlinie Schizophrenie aktualisiert, und die Ergebnisse aller vier Arbeiten werden in diese eingehen. Die Leitlinie unterstützt Ärztinnen und Ärzte, andere im Gesundheitssystem tätige Personen und die Betroffenen selbst bei ihren Entscheidungen. Beim Thema Dosisreduktion kommt es darüber hinaus zu einem Synergieeffekt mit dem Projekt SYSIPHOS des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Das dort eingesetzte Leitlinienformat, die lebende Leitlinie (Living Guideline), sieht mindestens einmal jährlich eine Aktualisierung vor, damit neue Erkenntnisse aus der Gesundheitsforschung möglichst schnell in die Anwendung kommen.
Originalpublikationen:
Schneider-Thoma, J., Chalkou, K., Dörries, C., et al. (2022). Comparative efficacy and tolerability of 32 oral and long-acting injectable antipsychotics for the maintenance treatment of adults with schizophrenia: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2022 February 26; 399, 824–836. DOI: 110.1016/S0140-6736(21)01997-8
Rodolico, A., Siafis, S., Bighelli, I., Samara, M. T., et al. (2022). Antipsychotic dose reduction compared to dose continuation for people with schizophrenia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022, Issue 11. Art. No.: CD014384. DOI: 10.1002/14651858.CD014384.pub2
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Leucht
Sektion Evidenzbasierte Medizin in Psychiatrie und Psychotherapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
Ismaninger Straße 22
81675 München
Tel.: 089 41404-249
E-Mail: stefan.leucht@tum.de