Viele Menschen erleiden nach einem Schlaganfall lebenslange Beeinträchtigungen – für wen das Risiko besonders hoch ist, untersuchen Forschende im Projekt iBIOStroke. Sie entwickeln einen Bluttest, der die Diagnose erleichtern und beschleunigen kann.
Weltweit erleiden jedes Jahr etwa 15 Millionen Menschen einen Schlaganfall – eine durch mangelnde Blutversorgung des Gehirns verursachte, lebensbedrohliche Erkrankung. Viele Patientinnen und Patienten überstehen zwar den Schlaganfall selbst, tragen aber lebenslange Beeinträchtigungen davon, zum Beispiel Lähmungen, Sprachverlust, Depressionen und schließlich eine durch die Mangeldurchblutung bedingte Form der Demenz. Wer ein erhöhtes Risiko für einen solchen chronischen Krankheitsverlauf trägt, wird im Projekt iBIOStroke erforscht, einem europäischen Verbundvorhaben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den deutschen Verbundpartner, ein Team am Institut für Schlaganfall und Demenzforschung des Universitätsklinikums München, im Rahmen des ERA-NET NEURON bis 2023 mit rund 300.000 Euro.
Jeder Schlaganfall ist als lebensbedrohlicher medizinischer Notfall einzustufen. Dabei zählt jede Minute: Je früher ein Schlaganfall diagnostiziert und behandelt wird, desto besser sind die Chancen, bleibende Schäden zu verhindern.
Spezielle Transportvehikel können Aufschluss über chronische Risiken geben
„Trotz großer Fortschritte in der Schlaganfallforschung sind wir bislang nicht in der Lage, diejenigen Patienten zu identifizieren, bei denen auch Wochen und Monate nach einem Schlaganfall noch Gehirnzellen absterben“, so Professor Dr. Nikolaus Plesnila von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), „damit kann auch die Behandlung nicht rechtzeitig genug einsetzen, um weitere Hirnschäden zu vermeiden.“ Das von Plesnila geleitete Team will deshalb spezielle Transportvehikel – in der Fachsprache Vesikel genannt – identifizieren, die nach einem Schlaganfall von Nervenzellen in den Blutkreislauf abgegeben werden und mehr über den weiteren Krankheitsverlauf verraten können.
„Wir gehen davon aus, dass geschädigte Nervenzellen über diese Vesikel andere Proteine freisetzen als gesunde Zellen. Die in den Vesikeln enthaltene Mikro-RNA liefert uns wichtige genetische Informationen über den Zustand der Nervenzellen, aus denen sich dann eine entsprechende Diagnose ableiten lässt“, erläutert Plesnila.
Mikro-RNAs sind kurze RNA-Stücke, die wie ihre große Schwester DNA zwar das Erbgut kodieren, von denen das Erbgut aber nicht in Proteine umgeschrieben wird. Mikro-RNAs spielen vor allem bei der Generegulierung – also welche Gene in Proteine umgeschrieben werden – eine wichtige Rolle.
Enge Verzahnung von experimenteller und klinischer Forschung
Die Untersuchungen im Verbund mit Partneruniversitäten in Finnland, Rumänien, Polen und Spanien sind einzigartig – sie vereinen einige der erfahrensten europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der experimentellen und klinischen Schlaganfallforschung. Die Münchener Untersuchungen fallen in den Bereich der experimentellen Grundlagenforschung; das Team um Plesnila isoliert zu verschiedenen Zeitpunkten Zellproben aus dem Blut von Mäusen, andere Verbundpartner analysieren das Plasma von Schlaganfallpatienten.
Dabei werden die neuronalen extrazellulären Vesikel isoliert und die darin enthaltenen Proteine und Mikro-RNAs gemessen und quantifiziert. Die bei den Untersuchungen gewonnenen Daten werden in einer gemeinsamen Datenbank gespeichert und mit modernsten bioinformatischen Ansätzen analysiert. Langfristig erhoffen sich die Forschenden anhand ihrer Erkenntnisse einen Bluttest entwickeln zu können – ähnlich wie bei Herzinfarkten könnte er innerhalb von Minuten zur richtigen Diagnose beitragen und länger dauernde Untersuchungen im Computertomographen überflüssig machen.
„Gerade bei der Forschung zu Biomarkern, zu denen auch die Vesikel gehören, drängt sich eine enge Verzahnung von experimenteller und klinischer Forschung geradezu auf“, sagt Plesnila. Dabei setzen die Vorhaben im Rahmen der europäischen Verbundforschung ganz gezielt auch auf die Einbindung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. „Für die angehenden Doktoranden in meinem Team ist es hoch spannend und gewinnbringend, zum Beispiel mehr über die bio-physikalischen Methoden zur Isolierung von Vesikeln zu erlernen, die die klinischen Verbundpartner in Finnland anwenden“, so Plesnila.
Schlaganfall und Hirninfarkt
Schlaganfälle sind die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und die häufigste Ursache für körperliche und geistige Beeinträchtigungen im Erwachsenenalter. Acht von zehn Schlaganfällen werden durch eine sogenannte zerebrale Ischämie verursacht. Sie ist gekennzeichnet durch eine plötzlich auftretende verringerte Durchblutung des Gehirns und wird umgangssprachlich deshalb auch als Hirninfarkt bezeichnet. Die gesundheitlichen Langzeitschäden eines solchen ischämischen Schlaganfalls können gravierend sein; etwa 20 Prozent aller Betroffenen versterben schon im Krankenhaus. Die ersten Stunden sind entscheidend für die Heilungschancen der Betroffenen und umso dringender ist eine frühzeitige und richtige Diagnose. Zu den häufigsten Symptomen einer zerebralen Ischämie zählen Sprachprobleme, motorische Einschränkungen bis hin zu Lähmungserscheinungen, Sehstörungen, Schwindel und starke Kopfschmerzen.