August 2024

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Schnelle Diagnose bei Pilzinfektionen dank KI

Die Reaktion von Abwehrzellen ist je nach Erreger, der bekämpft wird, und je nach Mensch, der erkrankt ist, sehr unterschiedlich. Das Forschungsteam MuMoSim entwickelt Modelle, die das berücksichtigen und so eine schnelle Diagnose ermöglichen.

Dr. Anastasia Solomatina und Yann Bachelot bei der Arbeit am „MuMoSim“,

Dr. Anastasia Solomatina und Yann Bachelot bei der Arbeit am „MuMoSim“, dem Multi-Model Simulator. Hier wird mit Hilfe mehrerer Modelle berechnet, was im Blut bei einer Pilzinfektion geschieht.

Prof. Dr. Marc Thilo Figge

Den Pilz Candida albicans tragen wir fast alle in uns. Er lebt auf unseren Schleimhäuten. Solange wir gesund sind, stört er uns nicht weiter. Als sogenanntes opportunistisches Pathogen ergreift dieser Pilz jedoch seine Chance, sobald wir geschwächt sind. Wenn unser Immunsystem nicht richtig funktioniert oder unterdrückt wird, weil wir zum Beispiel eine Chemotherapie bekommen. Dann verändert Candida albicans seine Form und wächst. Das kann zu einer Sepsis – umgangssprachlich Blutvergiftung – führen. Der Pilz kann sich über die Blutbahn verteilen und dabei nicht nur die gut durchbluteten Organe befallen, sondern sie sogar zersetzen. Das macht die Erkrankung schnell zu einer lebensbedrohlichen Gefahr.

Bisher wird Candida albicans als Erreger einer Sepsis oft zu spät oder gar nicht erkannt. Denn die meisten Blutvergiftungen werden durch Bakterien ausgelöst, nur bei fünf bis zehn Prozent der Fälle ist es ein Pilz. Auf eine Pilzerkrankung wird deshalb erst im zweiten Schritt der Untersuchungen getestet, und das kann schon zu spät sein. Der Patient oder die Patientin hat nicht die Zeit zu warten, bis ein Pilz aus dem Blut isoliert und so weit gewachsen ist, dass man ihn bestimmen kann. Über 40 Prozent der Menschen, die an einer Sepsis leiden, die durch einen Pilz verursacht wurde, sterben. Das sind jedes Jahr bis zu vier Millionen Menschen weltweit. Die Tendenz ist hier durch den Klimawandel steigend, weil die Pilze lernen, mit höheren Temperaturen zurechtzukommen.

MuMoSim betrachtet nicht den Erreger, sondern die Abwehrzellen

Das Projekt MuMoSim will die Diagnose beschleunigen. Dazu geht das Team um Professor Dr. Marc Thilo Figge vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena einen neuen Weg. Es betrachtet nicht die Art des Erregers genauer, sondern die Abwehrzellen im menschlichen Blut. Bei Candida albicans sind manchmal Monozyten, häufiger aber Neutrophile beteiligt. Beides sind jeweils spezielle weiße Blutzellen, die bestimmte Infektionen bekämpfen. Und beide verändern sich, wenn sie mit Candida albicans in Berührung kommen. Tatsächlich tun sie das bei jedem Menschen sogar etwas anders: Sie nehmen im Lauf der Zeit unterschiedliche Formen an.

Der Projektname MuMoSim steht für Multi-Modell-Simulator. Das heißt, hier wird mithilfe mehrerer Modelle berechnet, was im Blut passiert. Alle Modelle sollen voraussagen, wie das Zusammenspiel zwischen einem bestimmten Erreger und dem Immunsystem abläuft. „Dazu spielen wir erstmal im Reagenzglas durch, was im Blut bei einer Pilzinfektion passiert“, erklärt Figge. „Wir nehmen Blutproben, geben den Erreger dazu und schauen uns an, wie es dem Erreger gelingt, sich gegen die Immunzellen zu verteidigen.“ Mit den so gewonnenen Daten können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das erste Modell füttern. Es benötigt noch vergleichsweise wenige Daten und berechnet mit diesen, wie wahrscheinlich eine Infektion mit beispielsweise dem Erreger Candida albicans ist. Das Ergebnis ist noch relativ ungenau. Die geschätzten Modellparameter, die dabei herauskommen, fließen automatisch in ein zweites Modell, die Ergebnisse wiederum in ein drittes. Dadurch schrumpft die Ungenauigkeit in den Vorhersagen für die Modellparameter.  Die Vorhersagen werden immer zuverlässiger – MuMoSim kann am Ende relativ genau voraussagen, wie die dynamische Antwort des Immunsystems auf einen bestimmten Erreger abläuft.

Förderung innovativer Softwaretools

In der Patientenversorgung und der klinischen Forschung wächst die Menge an elektronisch verfügbaren Daten rasant. Intelligente Algorithmen können in diesen riesigen Datensätzen versteckte Muster aufspüren. Sie helfen dabei, Zusammenhänge zu erkennen sowie verbesserte Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten zu finden. Mit der Förderinitiative „Computational Life Sciences − CompLS“ treibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Entwicklung innovativer Softwaretools für die Lebenswissenschaften voran. Einer der Schwerpunkte ist die Nutzung von Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Biomedizin. Seit 2018 hat das BMBF rund 52 Millionen Euro für mehr als 70 Forschungsprojekte bereitgestellt.

 Ähnlicher Erreger, unterschiedliche Abwehrreaktion

Simulationen mit dem Multi-Modell-Simulator haben gezeigt, dass der menschliche Körper auf zwei sehr ähnliche Pilzarten ganz anders reagiert. Dazu haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Simulation einmal mit Candida albicans und einmal mit Candida glabrata durchgespielt. Bei Candida albicans werden vor allem Neutrophile aktiv und bekämpfen die Pilzzellen. Der Erreger Candida glabrata aktiviert zwar auch Neutrophile, aber diese aktivieren vor allem die Monozyten. In beiden Fällen verformen sich die Neutrophile im Kampf mit dem Erreger unterschiedlich. Bei jedem Menschen machen sie das etwas anders. Das hat die Forschenden auf eine Idee gebracht: Was, wenn wir anhand der bei jedem Menschen individuellen dynamischen Verformung der Abwehrzellen im Blut bestimmen könnten, an welchem Erreger er leidet?

KI macht individuelle Diagnosen möglich

Denn bislang machen individuelle Unterschiede bei der Reaktion auf die Pilzzellen die Diagnose schwierig. Zwei Personen können zum einen auf den gleichen Erreger unterschiedlich reagieren: Bei einer Person verformen sich die Neutrophile im Kampf gegen den Pilz stärker als bei einer anderen. Zum anderen können auch zwei Personen bei zwei verschiedenen Pilzen die gleiche Reaktion zeigen: Dann ist die dynamische Verformung der Neutrophile in beiden Fällen gegeben, obwohl die eine Person mit Candida albicans, die andere mit Candida glabrata infiziert ist. Das menschliche Auge kann auch mit dem Mikroskop keine Unterschiede erkennen. Das Team von Figge hat nun Künstliche Intelligenz (KI) mit den Daten und Erkenntnissen aus MuMoSim trainiert. Im Ergebnis sieht die KI jetzt mehr: Sie kann zu hundert Prozent zuverlässig diagnostizieren, mit welchem der beiden Pilzerreger die Blutprobe infiziert ist.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Marc Thilo Figge
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut
Beutenbergstraße 11a
07745 Jena
thilo.figge@leibniz-hki.de