18.11.2021

| Aktuelle Meldung

Selten, aber schwerwiegend: Gendefekte, die der Galle schaden

Schlechte Leberwerte bei jungen Menschen? Schnell steht der Verdacht von falscher Ernährung oder zu hohem Alkoholkonsum im Raum. Doch auch seltene genetische Veränderungen können die Ursache sein. Der Forschungsverbund HIChol ist diesen auf der Spur.

Ein Wissenschaftler untersucht Darstellungen einer Leber an zwei Bildschirmen.

Unterschiedliche Symptome, mindestens sechs krankheitsauslösende Gene und eine Vielzahl von Genvarianten – Forschende im Projekt HIChol engagieren sich dafür, mehr über das seltene Krankheitsbild PFIC zu erfahren, um Betroffenen besser helfen zu können.

PT DLR/BMBF

Müdigkeit, Juckreiz und eine Gelbfärbung der Haut sind typische Symptome einer Cholestase, einer Störung der Gallebildung oder Gallesekretion. Einige Ursachen, warum dieses für den Stoffwechsel so wichtige Sekret fehlt oder nicht richtig fließt, sind gut bekannt. Der Forschungsverbund HIChol befasst sich hingegen mit den bislang wenig erforschten genetischen Auslösern in der Leber für eine angeborene Cholestase. „Durch verbesserte Sequenziertechniken entdecken wir immer neue Gene, die für das Krankheitsbild verantwortlich sind. Unlängst konnten Forschende unseres Verbundes Mutationen im KIF12-Gen beschreiben, die bei vier betroffenen Familien Auslöser für sehr unterschiedliche cholestatische Beschwerden sind“, fasst Verbundsprecherin Professorin Dr. Verena Keitel zusammen. Keitel ist Direktorin der Universitätsklinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Magdeburg und Koordinatorin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbundes HIChol, der mit vier Teilprojekten und einem Register den Ursachen für diese Seltene Erkrankung auf den Grund geht. Die sogenannten Seltenen Erkrankungen betreffen per Definition maximal eine in 2.000 oder nicht mehr als fünf in 10.000 Personen.

Schematische Darstellung des Gallensalzkreislaufes. Links bei normaler Leberfunktion, rechts bei genetisch bedingter Cholestase.

Gallensalze spielen eine wichtige Rolle bei der Verdauung und Aufnahme von Fetten und fettlöslichen Vitaminen sowie der Beseitigung von Cholesterin und toxischen Stoffen. Oft ist bei genetisch bedingter Cholestase der Kreislauf der Gallensalze zwischen Leber und Darm gestört, weil die Leberzellen zwar über ihre dem Blut zugewandte Seite (rot) dem Blut Gallensalze entziehen, aber diese nicht über die andere Seite (grün) in die Gallenkanälchen ausscheiden können. Es kommt zum Rückstau der Gallensalze in Leberzellen und Blut.

Jan Stindt, HHU

PFIC – ein seltenes, genetisch bedingtes Krankheitsbild

In die Aufklärung der genetischen Ursachen einer Cholestase kommt seit einigen Jahren mehr Bewegung: Diese sogenannten progressiven familiären intrahepatischen Cholestasen (PFIC) treten bei circa einer von 50.000 Geburten auf. Betroffene können bereits im Säuglingsalter eine Schädigung der Leber erleiden, da es zu einer Ansammlung sogenannter gallepflichtiger Stoffe in den Leberzellen kommt. PFIC können zur Entwicklung von Leberkrebs sowie zum Organversagen führen. Die Lebertransplantation stellt derzeit die einzige Heilungsmöglichkeit für schwerwiegende Verläufe dar, denn wirksame Medikamente sind bislang nicht bekannt. Wichtig ist jedoch auch die symptomatische Therapie. So leiden die Patienten vor allem unter quälendem Juckreiz, der aber durch Zulassung neuer Wirkstoffe immer besser medikamentös behandelt werden kann.

Während betroffene Kinder häufig früh durch Symptome einer Gelbsucht und Gedeihstörungen auffallen, kann es bei Erwachsenen mit milderen Verläufen manchmal lange dauern, bis die richtige Diagnose gestellt wird. „Hier setzen wir an und bauen im Rahmen unseres Verbundes unter anderem ein Patientenregister auf, in dem neben den Symptomen und Krankheitsverläufen auch die Langzeitfolgen der Erkrankungen systematisch erfasst und ausgewertet werden“, so Keitel.

HIChol – Grundlagenforschung für eine Seltene Erkrankung

Der Forschungsverbund „Hereditary Intrahepatic Cholestasis Translational Network“ (HIChol) ist Teil der translationsorientierten Verbundvorhaben im Bereich der Seltenen Erkrankungen und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2019 bis 2022 mit insgesamt 2,3 Millionen Euro gefördert. In dieser bereits vierten Förderphase zu Seltenen Erkrankungen werden insgesamt elf Verbünde über drei Jahre gefördert. So werden deutschlandweit Expertisen zusammengeführt, die durch eine problemlösungsorientierte und interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Erkenntnisse zu Seltenen Erkrankungen erarbeiten.
Weitere Informationen

Ein Rätsel mit noch vielen Unbekannten: Welche Genvarianten sind krankheitsauslösend?

Ziel des Verbundes HICHol ist es, die der Krankheit zugrunde liegenden Veränderungen in den Genen zu identifizieren und genauer zu analysieren. Im Gegensatz zu manch anderen genetisch bedingten Erkrankungen haben die Betroffenen nicht mehrheitlich die gleiche Mutation, sondern es werden weiterhin neue Genvarianten entdeckt. „Ob diese neuen Genvarianten jedoch für das Krankheitsbild der Patientinnen und Patienten verantwortlich sind, ist noch unklar und soll mit Hilfe unserer Untersuchungen analysiert werden, um eine Diagnose in Zukunft zu vereinfachen“, fasst Keitel zusammen. Hierzu werden unter anderem betroffene Proteine online modelliert, um besser einschätzen zu können, welche Auswirkungen die Veränderungen auf den Organismus haben können. In einem weiteren Projekt arbeiten die Forschenden an Organoiden - im Labor aus Stammzellen gezüchtete Zellgruppen, die Mini-Organen gleichen -  anhand derer sie mit leberartigen Zellen die Auswirkungen der Genvarianten auf die Gallebildung untersuchen.

Für die Betroffenen bedeutet jeder Teilschritt eine tiefere Erkenntnis über PFIC sowie insbesondere auch mehr Informationen über Langzeitverläufe. Letztere werden die Entwicklung von Screening- und Vorsorgeprogrammen und in Zukunft auch bessere Therapieoptionen ermöglichen.

Am 20.11. ist Deutscher Lebertag

Das Motto „Deine Leber. Dein Leben“ des 22. Deutschen Lebertages am 20.11. weist auf die lebenswichtigen Funktionen der Leber im menschlichen Körper hin. Der Aktionstag wird von der Deutschen Leberstiftung, der Gastro-Liga e. V. und der Deutschen Leberhilfe e. V. gemeinsam ausgerichtet.
Weitere Informationen