Interview mit PD Dr. Stefan Kölker vom Universitätsklinikum Heidelberg über die Forschung zu seltenen Krankheiten
Herr Dr. Kölker, Sie untersuchen die seltene Stoffwechselkrankheit Glutarazidurie vom Typ 1. Was hat die Allgemeinheit davon, dass Sie sich mit finanzieller Unterstützung des BMBF mit einer Krankheit beschäftigen, an der weltweit so wenige Patienen erkrankt sind?
Seltene Stoffwechselkrankheiten, die zu den sogenannten orphan diseases - Waisenkrankeiten - gehören, sind Fenster in den menschlichen Stoffwechsel. Wir gewinnen anhand seltener Krankheiten wie der Glutarazidurie Typ I grundlegende Einblicke in das komplizierte chemische Zusammenspiel in unserem Körper.
Was bedeutet es für die Betroffenen, an einer seltenen Krankheit erkrankt zu sein?
Die Betroffenen und ihre Eltern haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, bevor eine seltene Krankheit richtig diagnostiziert wird. Auch das Risiko, nach korrekter Diagnose nicht richtig behandelt zu werden, ist hoch. Den Ärzten fehlen in den meisten Fällen evidenzbasierte Leitlinien. Sie müssen sich nach der eigenen begrenzten Erfahrung richten. Patienten seltener Krankheiten profitieren letztlich nur wenig vom medizinischen Fortschritt, weil das Interesse der Industrie für derartige Krankheiten aus wirtschaftlichen Gründen gering ist. Hinzu kommt, dass sich die Betroffenen schlechter organisieren können als Patienten anderer, häufigerer Krankheiten: Sie wohnen schlichtweg zu weit auseinander.
279 Patienten - mehr als die Hälfte aller weltweit diagnostizierten Krankheitsfälle - haben Sie für Ihre Arbeiten untersucht. Ist das Hauptproblem bei der Erforschung seltener Krankheiten, überhaupt genügend Probanden zu bekommen?
Ja. Die 279 von uns untersuchten Patienten verteilen sich auf vier Kontinente. Sie stammen aus 20 Ländern und werden vor Ort durch 35 Stoffwechselzentren betreut. Möglich sind klinische Studien zu seltenen Krankheiten nur durch internationale Zusammenarbeit. Eine größer angelegte Studie mit beispielsweise 1.000 Patienten wäre derzeit gar nicht möglich gewesen.
Was sind die weiteren Probleme, die das Arbeiten an seltenen Krankheiten begleiten?
Seltene Krankheiten sind ein Forschungsfeld, das mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. Es fängt schon beim Einwerben von Fördergeldern an und hört bei der Publikation der Ergebnisse auf. Es ist nicht so einfach, Förderer und Reviewer vom allgemeinen Nutzen und der Bedeutung von Forschung zu überzeugen, die vermeintlich nur wenigen zugute kommt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Krankheiten ist gering. Diejenigen, die sich dennoch mit seltenen Krankheiten beschäftigen, tun dies nicht zuletzt aus Überzeugung dafür, dass auch Menschen mit seltenen Krankheiten am wissenschaftlichen Fortschritt partizipieren sollen.
Zumindest aus wissenschaftlicher Sicht scheinen seltene Krankheiten aber ein lohnenswertes Forschungsfeld zu sein. Immerhin konnten sie neue, international gültige Leitlinien zur Diagnostik und Therapie entwickeln.
Das stimmt. Bei seltenen Stoffwechselkrankheiten sehen wir relativ schnell, ob wir mit einer Therapie Erfolg haben werden. Ein Beispiel: Bei einer anderen seltenen Stoffwechselstörung, der Phenylkentonurie, brauche ich keine aufwendigen Studien mit 1.000 Patienten und ausgeklügelter Statistik, um belegen zu können, dass ich mit einer bestimmten Therapie nachweislich einen Patienten vor schweren Schäden bewahrt habe. Dazu brauche ich im Grunde nur eine Handvoll Patienten: Entweder die Therapie schlägt an oder nicht.