Das Blutdruckmedikament Ramipril verzögert beim seltenen Alport-Syndrom die Schädigung der Nieren. Eine BMBF-geförderte Studie liefert Hinweise, dass das Medikament auch bei Kindern ab zwei Jahren sicher wirkt und die Dialysepflicht um Jahre verschiebt.
Das Alport-Syndrom, eine genetisch bedingte Nierenerkrankung, zählt zu den sogenannten Seltenen Erkrankungen, von denen jeweils nur wenige Menschen betroffen sind und für die es oft keine gesicherte Behandlung gibt. Durch das Alport-Syndrom versagen die Nieren meist schon im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter und die Betroffenen werden früh dialysepflichtig – eine enorme Belastung für sie selbst und ihre gesamte Familie. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit mehr als einer Million Euro geförderte Therapiestudie „EARLY PRO-TECT Alport“ weckt Hoffnungen auf eine wirkungsvolle Therapie. Primäres Ziel der Untersuchung war es, den Nutzen und die Sicherheit einer frühen Behandlung mit dem Medikament Ramipril nachzuweisen. Das Medikament, ein sogenannter ACE-Hemmer (Angiotensin-Converting-Enzym), wird üblicherweise bei Erwachsenen zur Blutdrucksenkung eingesetzt.
Frühe Behandlung halbiert Risiko für das rasche Fortschreiten des Nierenversagens und verlängert Lebenserwartung
ACE-Hemmer können die Erkrankung durch die Senkung des Filtrationsdrucks und den Schutz der Zellen im Nierenfilter um Jahre verlangsamen. So konnte zunächst mithilfe von Tierversuchen gezeigt werden, dass ein frühzeitiger Einsatz von Ramipril das Nierenversagen deutlich hinauszögert. Ähnliche Hinweise konnten aus der Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten gewonnen werden. Deshalb wurden schon in der Vergangenheit viele Kinder mit ACE-Hemmern behandelt – allerdings erst nachdem erste Nierenschäden diagnostiziert worden waren. „Die Diagnose des Alport-Syndroms kann aber schon früher und Jahre vor dem Nierenversagen gestellt werden, womit sich die Möglichkeit einer frühen Behandlung eröffnet“, erläutert Studienleiter Professor Dr. Oliver Gross, Oberarzt in der Abteilung Nephrologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Göttingen.
Das Besondere an dem Projekt: In der zwischen 2012 und 2019 durchgeführten Studie wurden die in Deutschland neu diagnostizierten Kinder mit Alport-Syndrom eingeschlossen, die sich in einem frühen Behandlungsstadium befanden. Die Hälfte aller Erkrankten, bei denen erst ganz geringe Spuren von Blut oder Eiweiß im Urin auf einen zukünftigen Nierenschaden hinwiesen, wurden bis zu sechs Jahre mit Ramipril behandelt. Die andere Hälfte nahm zunächst ein Placebomedikament ohne Wirkstoff, wurde aber bei nachgewiesener fortschreitender Nierenerkrankung ebenfalls auf Ramipril umgestellt. Dies entspricht dem Zeitpunkt, zu dem auch gegenwärtig eine medikamentöse Behandlung einsetzt. Das Ergebnis: Auch bei Kindern im Alter ab zwei Jahren erscheint die Behandlung mit Ramipril wirksam und – bei regelmäßiger Überwachung durch erfahrene Fachärztinnen oder Fachärzte aus der Kindernephrologie – sicher. „Gerade in sehr frühen Krankheitsstadien kann Ramipril das Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung möglicherweise um die Hälfte verringern. Sind die Nieren bei frühem Therapiebeginn erst wenig geschädigt, lässt sich so hoffentlich die Dialyse um mehr als zehn Jahre, in vielen Fällen sogar über 20 Jahre hinauszögern“, bilanziert Gross.
Alport-Syndrom
Das Alport-Syndrom ist eine erbliche Erkrankung des Bindegewebes, die zu Seh-, Hör- und vor allem Nierenschäden führt – beginnend mit einer fortschreitenden Vernarbung der Organe über einen schleichenden Funktionsverlust bis hin zu einem vollständigen Nierenversagen. Unbehandelt müssen sich die Betroffenen meist schon im jungen Erwachsenenalter aufwendigen Dialyseverfahren unterziehen, die mit einer massiv eingeschränkten Lebensqualität und einer verkürzten Lebenserwartung einhergehen. Trotz des seltenen Vorkommens ist das Alport-Syndrom die zweithäufigste genetisch bedingte Nierenerkrankung bei Kindern und jungen Erwachsenen. In Deutschland leiden etwa 1.000 Kinder und mehr als 10.000 Erwachsene an dieser Seltenen Erkrankung.
Großes Echo in der nationalen und internationalen Fachwelt
In der Fachwelt stieß die Studie des Göttinger Forscherteams auf großes Interesse. Alle deutschen kindernephrologischen Zentren haben an der Untersuchung mitgewirkt, amerikanische Kolleginnen und Kollegen unterstützten die Studienleitung mit Behandlungsdaten von Kindern aus den USA. Über den Wirksamkeitsnachweis hinaus sprechen auch gesundheitsökonomische Gründe für einen Einsatz von Ramipril beim Alport-Syndrom: Die Kosten für eine Dialysebehandlung liegen bei etwa 50.000 Euro pro Jahr, ein Jahr Therapie mit ACE-Hemmern kostet rund 100 Euro. Damit könnte dieser Behandlungsansatz Kindern weltweit und auch in ärmeren Ländern nützen und ihre Lebenserwartung um Jahre verbessern.
Inzwischen arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Planung einer weltweiten Therapiestudie mit einem Blutzuckermedikament, das ebenfalls bereits für andere Erkrankungen zugelassen ist, nierenschützend wirkt und die Dialysepflicht beim Alport-Syndrom hinauszögern könnte. Die Erkenntnisse der EARLY PRO-TECT Alport-Studie hat das Team um Gross über die Fachzeitschrift „Kidney International“ allen Medizinerinnen und Medizinern weltweit zugänglich gemacht. Mehr noch: Dank der Göttinger Studie werden die internationalen Therapieleitlinien für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte noch in diesem Jahr neu verfasst.
EARLY PRO-TECT Alport-Studie
Die EARLY PRO-TECT Alport-Studie ist die weltweit erste Therapiestudie zur Erforschung des Alport-Syndroms. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellte für die in den Jahren 2012 bis 2019 durchgeführte Studie mehr als 1,1 Millionen Euro bereit. Auf der Grundlage der Studienergebnisse werden die internationalen Therapierichtlinien zum Alport-Syndrom jetzt neu formuliert. Die Studienmethodik musste sich an die schwierigen Umstände bei Kindern mit einer Seltenen Erkrankung anpassen. Das gelang dem leitenden Statistiker Professor Dr. Tim Friede (Abteilung Medizinische Statistik, Universitätsmedizin Göttingen) über ein sogenanntes adaptives Design, in dem viele kleine Beweisstücke wie ein Puzzle zusammengesetzt werden. Fachleute nennen dies Evidenz-Synthese.
Originalpublikation:
Gross O, Tönshoff B, Weber L, et al. A multicenter, randomized, placebo-controlled, double-blind phase 3 trial with open-arm comparison indicates safety and efficacy of nephroprotective therapy with ramipril in children with Alport’s syndrome. Published online: January 17, 2020; doi: https://doi.org/10.1016/j.kint.2019.12.015
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Oliver Gross
Universitätsmedizin Göttingen
Abt. Nephrologie und Rheumatologie
Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
gross.oliver@med.uni-goettingen.de