Nur für wenige seltene Stoffwechsel-Erkrankungen gibt es Therapien. Eine davon ist PGM1-CDG. Sie kann durch den Zucker Galaktose behandelt werden. Ein europäisches Forschungsnetzwerk erforscht die Therapie intensiv, um sie sicher und verlässlich zu machen.
Ein wichtiger Prozess im menschlichen Stoffwechsel ist die Glykosylierung. Hierbei werden Zucker an Proteine und Fette gebunden. Diese Zucker erfüllen lebenswichtige Aufgaben. Sie sorgen beispielsweise für die korrekte Faltung von Proteinen oder fungieren wie ein Adressaufkleber für den gezielten Transport von Proteinen in der Zelle. Zudem sind die mit Zuckern gekoppelten Proteine und Fette, genannt Glyko-Konjugate, an einer Vielzahl lebenswichtiger Prozesse beteiligt, wie Wachstum, Differenzierung und der Entwicklung von Organen.
Zahlreiche Organe sind betroffen
Ist die Glykosylierung durch einen angeborenen Gendefekt beeinträchtigt, haben die Betroffenen oftmals in vielen Organen Beeinträchtigungen, unter anderem in Gehirn, Herz, Leber, Milz, Knochen und Muskeln. Denn die Stoffwechselwege in menschlichen Zellen arbeiten wie Zahnräder in einem Uhrwerk: Sie sind eng und komplex miteinander verbunden. Kommt es an einer Stelle zu einer Störung, sind zahlreiche Bereiche betroffen.
Derzeit sind mehr als 100 verschiedene genetische Defekte der Glykosylierungs-Maschinerie des Menschen bekannt. Sie werden unter der Erkrankungsgruppe „Congenital Disorders of Glycosylation“, kurz CDG, zusammengefasst. „Die CDG gehören zu den Seltenen Erkrankungen mit etwa 1.500 bekannten Erkrankten in Europa“, sagt Privatdozent Dr. Christian Thiel, Projektleiter im europäischen Forschungsnetzwerk EURO-CDG-2. Forscherinnen und Forscher aus fünf europäischen Ländern haben sich hier zusammengeschlossen, um die Diagnose und Behandlung der CDG zu verbessern.
„In den ersten Lebensjahren liegt die Sterblichkeitsrate von Kindern, die eine genetische Veränderung im Glykosylierungs-Prozess tragen, bei etwa 20 Prozent“, berichtet Thiel. „Denn therapeutische Ansätze gibt es leider nur für sehr wenige CDG-Typen. Die überwiegende Zahl der Patientinnen und Patienten kann bislang nur symptomatisch behandelt werden.“
Am 28. Februar 2018 ist der Tag der Seltenen Erkrankungen. Seit 2008 vereinen sich immer am letzten Tag im Februar Menschen auf der ganzen Welt, um gemeinsam auf Anliegen und Probleme der „Waisen der Medizin“ aufmerksam zu machen. Unter der internationalen Bezeichnung „Rare Disease Day“ ist der Aktionstag zu einer weltweiten Bewegung geworden.
Zucker als Medikament
Ein CDG-Typ, der erst im Jahr 2014 klinisch beschrieben wurde und bereits behandelbar ist, ist PGM1-CDG. Durch genetische Veränderungen besitzt hierbei das Enzym Phosphoglukomutase 1, kurz PGM1, eine zu geringe Aktivität. Die Folge ist eine generelle Unterversorgung von Proteinen der Patientinnen und Patienten mit Kohlenhydratstrukturen. Diese Unterversorgung führt unter anderem zu Kleinwuchs, Erkrankungen der Leber und des Herzens sowie Muskelschmerzen unter Belastung.
„Ist PGM1-CDG einmal diagnostiziert, kann die Erkrankung behandelt werden: durch die orale Gabe des Zuckers Galaktose“, so Thiel. Das ist das Ergebnis mehrerer prospektiver klinischer Studien, in denen PGM1-Patientinnen und Patienten unter kontrollierten Bedingungen mit Galaktose behandelt wurden. An den aktuellen Studien war neben dem Heidelberger Forscher Thiel ein großes internationales Team beteiligt. „Die Galaktose ermöglicht es, den defekten PGM1-Stoffwechselweg zu umgehen und die fehlende Protein-Glykosylierung wieder anzukurbeln.“ Nehmen die Betroffenen 1 bis 1,5 Gramm Galaktose pro Kilogramm Körpergewicht und Tag ein, verbessern sich rasch eine Vielzahl biochemischer Werte. Zudem mildern sich ihre klinischen Symptome, ohne unerwünschte Nebenwirkungen.
„Doch diese Therapie hilft leider nicht dauerhaft. Denn die Wirkung der Galaktose scheint mit der Zeit nachzulassen“, sagt Thiel. „Vorübergehend können wir die nachlassende Wirkung zwar mit einer erhöhten Zuckereinnahme ausgleichen“, erklärt der Forscher. Doch die höhere Galaktose-Dosis wiederum kann in Einzelfällen zu anderen Problemen und Nebenwirkungen führen.
Forschung für Seltene Erkrankungen
Allein in Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung. Per Definition ist eine Erkrankung selten, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind.
Seit 2003 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Netzwerke, die sich der Erforschung von Ursachen und der Entwicklung möglicher Therapieansätze bei spezifischen Seltenen Erkrankungen widmen. Für die Patientinnen und Patienten sowie deren Familien hat diese Grundlagen- und Therapieforschung einen sehr hohen Stellenwert. Daher verfolgt das BMBF auch weiterhin die „Förderung translationsorientierter Verbundvorhaben im Bereich der Seltenen Erkrankungen“.
Die Frage nach dem „Warum?“
Warum die Galaktose mit der Zeit ihre Wirkung verliert, ist bislang nicht verstanden und daher Gegenstand der Forschung. „Erst wenn wir verstehen, warum die Galaktose dem Körper mit der Zeit nicht mehr zur Verfügung steht, können wir die Therapie für die Betroffenen sicherer und auf Dauer verlässlicher machen“, so Thiel. Hierzu untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit Zellen von Patientinnen und Patienten sowie Kontrollpersonen. Diese Zellen werden kultiviert und im zeitlichen Verlauf mit Galaktose behandelt. Anschließend prüfen die Forschenden nicht nur die Auswirkungen auf die Glykosylierung, sondern auch auf andere Stoffwechselwege. Dies soll Aufschluss darüber geben, warum die Galaktose mit der Zeit dem Glykosylierungs-Prozess nicht mehr zur Verfügung steht und ob es möglich ist, dies zu verhindern. „Unsere Erkenntnisse aus der Zellkultur werden wir anschließend in einem Tiermodell überprüfen, bevor wir sie für Patientinnen und Patienten einsetzen“, sagt Thiel.
Neben den CDG, die sich durch genetische Veränderungen direkt auf den Prozess der Glykosylierung auswirken, gibt es auch Erkrankungen, die indirekt die Glykosylierung beeinflussen. Hierzu zählen einige sehr häufige Erkrankungen, wie die Fruktose-Intoleranz, die Laktose- Intoleranz und der Alkoholabusus. „Unsere Forschung zu den Auswirkungen einer verminderten Glykosylierung auf den Stoffwechsel und die Organe bei seltenen CDG soll auch dazu beitragen, diese häufigen Erkrankungen besser zu verstehen und effektive therapeutische Ansätze zu entwickeln“, hofft Thiel.
Internationale Zusammenarbeit: E-Rare
Das Gebiet der Seltenen Erkrankungen ist eines der Forschungsfelder, die von einer koordinierten internationalen Zusammenarbeit besonders profitieren können. Das liegt sowohl an der jeweils kleinen Zahl von betroffenen Patientinnen und Patienten, als auch an der national unterschiedlich ausgeprägten Forschungsexpertise für die einzelnen Erkrankungen. Daher beteiligt sich das BMBF seit 2006 an der ERA-Net-Initiative "E-Rare". Derzeit beteiligen sich 23 Forschungsförderer aus 17 Ländern an der Initiative. Eines der in E-Rare geförderten Forschungsnetzwerke ist das beschriebene Projekt „EURO-CDG-2“.
Ansprechpartner:
PD Dr. Christian Thiel
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Heidelberg
AG Glykosylierungsdefekte
Im Neuenheimer Feld 669
69120 Heidelberg
christian.thiel@med.uni-heidelberg.de