Smalltalk auf der Cocktailparty - Wer im Stimmengewirr etwas überhört, hat nicht unbedingt schlechte Ohren

Wer kennt das nicht? Auf einer Party erfüllen laute Musik und Stimmengewirr den Raum. Wer versucht, sich nett zu unterhalten, schafft es meist kaum, dem Gespräch zu folgen. Überfordert sind bei dieser geräuschvollen Situation aber in der Regel nicht unsere Ohren, sondern unser Gehirn. Mit den Prozessen, die hierbei im Gehirn ablaufen, beschäftigt sich eine BMBF-Nachwuchsgruppe an der Universität Heidelberg unter der Leitung von Dr. Alexander Gutschalk.

Wenn viele Menschen durcheinander reden, ist es nicht einfach, die verschiedenen Stimmen voneinander zu trennen und sich auf die Worte einer einzelnen Person zu konzentrieren. „Hinter diesem ‚Cocktailparty-Effekt‘ verbergen sich eine Fülle von Mechanismen“, erklärt Dr. Alexander Gutschalk von der Neurologischen Klinik der Universität Heidelberg. So gibt es zum Beispiel Prozesse im Ohr und im Gehirn, die daran beteiligt sind, Stimmen voneinander oder vom Hintergrundgeräusch zu trennen. „Selbst wenn die gesamte akustische Information von unseren Ohren an das Gehirn weitergeleitet wird, bedeutet das noch nicht, dass wir auch tatsächlich alles wahrnehmen“, sagt Dr. Gutschalk. Die Wissenschaftler sprechen hier von einer Maskierung der Information. Denn einzelne akustische Reize müssen aus dem Stimmengewirr herausgefiltert, vom Hintergrundgeräusch abgegrenzt und anschließend bewusst wahrgenommen werden. „Das gelingt nicht immer – weshalb man auf einer Party im Gespräch schon mal den roten Faden verlieren kann“, sagt Dr. Gutschalk.

Nach wie vor ist unklar, welche Prozesse im menschlichen Gehirn dafür verantwortlich sind, einzelne Töne oder Worte aus einem akustischen Gewirr bewusst wahrzunehmen. „Wir wollen die neuronalen Grundlagen der bewussten akustischen Wahrnehmung entschlüsseln und die Bereiche im menschlichen Gehirn finden, die beim bewussten Hören eine Rolle spielen“, beschreibt Dr. Gutschalk das Ziel seiner Nachwuchsforschungsgruppe, die sich mit dem Thema Bioimaging beschäftigt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.

Cocktailparty im Labor

Auf der Suche nach dem Geheimnis des bewussten Hörens simulierte Dr. Gutschalk im Labor eine ähnlich komplexe Geräuschkulisse wie auf einer Cocktailparty: Gesunde Probanden bekamen ein Gewirr aus zufällig generierten Tönen zu hören. Inmitten dieses Gewirrs versteckte der Forscher in einigen Experimenten einen sich regelmäßig wiederholenden und eigentlich – ohne das Hintergrundgewirr – gut hörbaren Ton. „Dieser regelmäßige Ton inmitten des Klanggewirrs simuliert quasi das Gespräch auf einer Cocktailparty“, erklärt Dr. Gutschalk. Erkannten die Probanden diesen regelmäßigen Ton, gaben sie dem Forscher ein Signal. Gleichzeitig wurde während des gesamten Experiments im Gehirn der Probanden die Aktivität der Nervenzellen gemessen.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Teil des Gehirns, der für das Hören zuständig ist, der so genannte primäre Hörkortex immer sehr schnell auf die versteckte Tonfolge reagiert – egal ob sie von den Probanden bewusst wahrgenommen wurde oder nicht“, beschreibt Dr. Gutschalk. Ein weiterer Bereich in der Hörrinde hingegen wird erst danach aktiv und auch nur dann, wenn die Probanden die versteckten Töne tatsächlich bewusst hören. Ob unser Gehirn einen Ton bewusst wahrnimmt, entscheidet sich also offenbar erst relativ spät. „Auf einer Party hören wir also möglicherweise deutlich weniger Worte als in unserem Gehirn tatsächlich erfasst werden. Denn das bewusste Hören beginnt erst, wenn ein Ton oder ein Wort bereits in der Hörrinde erfasst wurde – welche Worte wir bewusst wahrnehmen, entscheidet unser Gehirn erst danach.“

Der sanfte Blick ins Gehirn

Um darzustellen, welche Bereiche im Gehirn aktiv werden, wenn die Probanden Töne bewusst wahrnehmen, nutzte Dr. Gutschalk die Magnetoenzephalographie (MEG). Bei der MEG werden Magnetfelder gemessen, die im Gehirn durch die elektrische Aktivität der Nervenzellen entstehen. „Eine Magnetoenzephalographie hat eine sehr gute zeitliche Auflösung – Gehirnaktivitäten können innerhalb von Millisekunden gemessen werden“, sagt Dr. Gutschalk. Eingeschränkt ist eine MEG-Messung allerdings bei der räumlichen Zuordnung der Gehirnaktivitäten. Deshalb kombiniert Dr. Gutschalk nun die MEG mit der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie, kurz fMRT, die eine sehr gute räumliche Zuordnung erlaubt.

„Durch die Verbindung der zwei Methoden möchten wir die einzelnen Bereiche des Hörkortex und ihren Beitrag zur akustischen Wahrnehmung jetzt genauer untersuchen.“ Bei der fMRT machen sich Wissenschaftler zunutze, dass der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, seine magnetischen Eigenschaften ändert, wenn Sauerstoff transportiert wird. In aktiven Bereichen des Gehirns ist die Durchblutung mit sauerstoffreichem Blut besonders hoch, sodass aktive von inaktiven Hirnbereichen in der Auswertung der fMRT-Bilder unterschieden werden können.

„Uns interessiert auch, was mit Patienten passiert, deren Hörrinde durch einen Schlaganfall verletzt wurde“, beschreibt Dr. Gutschalk. In einer ruhigen Umgebung können diese Patienten problemlos hören. „In einer geräuschvollen Kulisse haben sie allerdings oft Probleme. Über diese Hörstörungen von Schlaganfall-Patienten ist bislang nur wenig bekannt.“ Deshalb plant Dr. Gutschalk auch bei Patienten mit solchen Gehirnschädigungen die bewusste akustische Wahrnehmung zu untersuchen. „Möglicherweise können wir die Hörtests, die wir im Labor mit den Probanden machen, auch als Routinetests für die Diagnose von derartigen Hörstörungen etablieren“, erklärt Dr. Gutschalk. Bei den bisher in der Praxis verwendeten Hörtests müssen die Patienten gesprochene Worte erkennen und nachsprechen. Dr. Gutschalk will einen Test entwickeln, der ohne sprachliches Material auskommt.

Ansprechpartner:
Dr. Alexander Gutschalk
Neurologische Klinik
Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 56-7505
Fax: 06221 56-5348
E-Mail: Alexander.Gutschalk@med.uni-heidelberg.de