Übergewicht ist kein reines Erwachsenenproblem. Fast jedes sechste Kind ist hierzulande übergewichtig, viele sogar adipös. Eine der Ursachen ist Bewegungsmangel. Dieser Problematik widmet sich das Leipziger Adipositas-Therapieprogramm „KLAKS“.
Starkes Übergewicht hat schon bei Kindern und Jugendlichen gesundheitliche Folgen. Rund ein Viertel der adipösen, also stark übergewichtigen Kinder hat bereits Probleme mit dem Zuckerstoffwechsel. Sie steuern auf einen Typ-2-Diabetes zu oder haben ihn schon. Auch erhöhte Leber- und Fettwerte im Blut oder Bluthochdruck sind bei übergewichtigen Kindern keine Seltenheit. Neuere Forschungsergebnisse aus Leipzig zeigen, dass bei adipösen Kindern sogar die Aktivität des autonomen Nervensystems beeinträchtigt sein kann. Das autonome Nervensystem reguliert unter anderem die inneren Organe, Kreislauf und Stoffwechsel. „Die Schädigung des autonomen Nervensystems beginnt bei adipösen Kindern schleichend, also beispielsweise noch bevor der Zuckerstoffwechsel beeinträchtigt ist oder weitere Komplikationen auftreten. Adipöse Kinder sind somit kränker, als wir bisher angenommen haben“, warnt Privatdozentin Dr. Susann Blüher. Sie ist Kinderärztin und leitet die „Nachwuchsgruppe Prävention“ am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen in Leipzig.
Begleiterkrankungen des Übergewichts bekämpfen
Die Nachwuchswissenschaftlerin wollte deshalb wissen: „Können wir mit unserem einjährigen Therapieprogramm KLAKS zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Können wir den Kindern also nicht nur dabei helfen abzunehmen, sondern auch bereits bestehende gesundheitliche Folgen positiv beeinflussen?“ Die Antwort lautet: Ja – mit „KLAKS“ gelingt beides. KLAKS steht für „Konzept Leipzig: Adipositastherapie für Kinder im Schulalter“. Das Schulungsprogramm für adipöse Kinder aus Leipzig und Umgebung im Alter von 8 bis 17 Jahren gibt es seit 2008. Ziel ist, die Mädchen und Jungen zu viel Bewegung und gesunder Ernährung zu motivieren. In diversen Sportangeboten bewegen sie sich pro Woche mindestens zweieinhalb Stunden. Zudem bietet KLAKS praktische Übungen zur Ernährungsumstellung und psychologische Beratung. Auch die Eltern werden durch regelmäßige Elternabende und gemeinsame Kochseminare in das Programm einbezogen.
Das Programm zeigt Erfolg: „Durch die einjährige Lebensstilintervention lassen sich viele Begleiterkrankungen des Übergewichts wieder normalisieren oder zumindest stabilisieren“, sagt Blüher, die KLAKS wissenschaftlich begleitet. „Das kann für das weitere Leben der jungen Menschen von immenser Bedeutung sein. Zudem ist es gut für das Gesundheitssystem. Denn adipöse Kinder werden oft zu adipösen Erwachsenen. Dadurch entstehen enorme Kosten für unser Gesundheitssystem.“ Da das Programm vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) als anerkanntes Adipositas-Therapieprogramm zertifiziert wurde, werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen.
Bauchumfang schrumpft – Blutwerte bessern sich
Im Einzelnen sehen die Ergebnisse einer Studie mit 31 adipösen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre nach einem Jahr KLAKS so aus: Im Vergleich zum Beginn des Programms nahmen die Mädchen und Jungen signifikant ab. Ihr Körperfettgehalt sank, und ihr Taillenumfang – als Zeichen für abdominales, also „ungesundes“ Fett – schrumpfte. Auch der positive Effekt auf den Stoffwechsel war eindeutig: Der Zuckerstoffwechsel, aber auch die Leberwerte und freien Fettsäuren im Blut verbesserten sich. Irisin, ein recht neu entdeckter Biomarker, der in Muskelzellen gebildet wird und als Schutzfaktor für die Entstehung von Diabetes gilt, stieg nach dem Programm signifikant an. Auch diverse Entzündungswerte, die bei einigen adipösen Kindern vor Beginn von KLAKS im Vergleich zu normalgewichtigen Kindern erhöht waren, gingen deutlich zurück.
Beeinträchtigungen des Nervensystems verringert
Aber wie sah es mit der Funktion des autonomen Nervensystems aus? Am Anfang und Ende von KLAKS wurden hierzu Tests durchgeführt. „Zum Beispiel haben wir eine quantitative Pupillometrie durchgeführt, also die Reaktion der Pupillen auf standardisierte Lichtreize gemessen“, erklärt Blüher. Tatsächlich vergrößerte sich nach einem Jahr KLAKS die Geschwindigkeit, mit der die Pupillen der Kinder und Jugendlichen auf Lichtreize reagierten.
„Für uns ist dieses Ergebnis ein Hinweis dafür, dass eine umfassende Veränderung des Lebensstils der Kinder dazu beitragen kann, bestehende Funktionsbeeinträchtigungen des autonomen Nervensystems zu stabilisieren oder gar zu verbessern“, erläutert Blüher. Dies sei jedoch nicht allein mit dem Gewichtsverlust zu erklären. Denn auch Kinder, die in dem Jahr nur wenig abgenommen hatten, zeigten deutliche Verbesserungen der Messwerte. „Vielmehr gehen wir davon aus, dass sich die autonome Nervenfunktion als Reaktion auf die positiven Veränderungen der Stoffwechselwerte wie Blutzucker und Blutfett verbessert“, sagt Blüher.
Hilfe beim Abnehmen per SMS?
Das Fazit der Kinderärztin und Forscherin: „Es lohnt sich, früh im Kindesalter gegen eine Adipositas aktiv zu werden. Denn gesundheitliche Folgen des Übergewichts lassen sich dann zum Teil noch rückgängig machen!“ Derzeit untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IFB AdipositasErkrankungen, ob sich bei adipösen Kindern und Jugendlichen eher Kraft- oder Ausdauertraining eignen, um den Gewichtsstatus und Begleiterkrankungen zu verbessern. Außerdem läuft gerade eine Studie zum hochintensiven Intervalltraining als neue Trainingsoption für adipöse Jugendliche. Dabei soll unter anderen untersucht werden, ob sich die Motivation zur regelmäßigen Teilnahme am Training durch persönliche Textnachrichten per SMS verbessern lässt. „In unserer Arbeitsgruppe überprüfen wir weiterhin, ob sich Interventionen über die Neuen Medien, also beispielsweise per Telefon, SMS oder Internetchat, eignen, um adipöse Jugendliche nach einer stationären Adipositas-Therapie dabei zu unterstützen, ihr Gewicht zu halten oder sogar weiter abzunehmen“, so Blüher. Denn besonders den langfristigen Erfolg einer Adipositas-Therapie sicherzustellen ist für die Wissenschaft und Forschung noch eine Herausforderung. Erste Ergebnisse dieser Studie werden im Laufe des Jahres erwartet.
Das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum, kurz IFB, AdipositasErkrankungen in Leipzig wird seit 2010 vom Bundesforschungsministerium gefördert. Es vereint die Forschung und Behandlung zu krankhaftem Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen unter einem Dach. Durch die enge Verzahnung von grundlagenbezogener und patientenbezogener Forschung sollen Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden, die effektiver sind als die zurzeit verfügbaren. Eine innovative Organisationsstruktur mit flachen Hierarchien und demokratisch gewählten Gremien gibt vor allem jungen Forschenden die Möglichkeit, wissenschaftliche Vorhaben eigenverantwortlich umzusetzen.
Ansprechpartnerin:
PD Dr. Susann Blüher
Universität Leipzig
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