Studie aus Jena kippt internationale Sepsis-Leitlinien

Aktuelle Forschungsergebnisse fordern eine sofortige Umstellung der Sepsis-Therapie. Die Therapie der lebensbedrohlichen Blutvergiftung muss zur Sicherheit der Patienten künftig auf ein häufig eingesetztes Volumenersatzmittel und eine zu strenge Blutzuckereinstellung verzichten. Zu diesem Resultat kommt eine Studie des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetzes Sepsis (SepNet). (Stand Januar 2008)

Die in Fachkreisen für Aufsehen sorgenden Ergebnisse werden unmittelbar in nationale und internationale Therapieleitlinien einfließen. Im Januar 2008 wurden sie in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.

Aus für zwei zentrale Bausteine der Sepsis-Therapie
Die Forscher mussten ihre Studie aus Sicherheitsgründen vorzeitig abrechen. Denn es zeichnete sich ab, dass zwei wichtige therapeutische Elemente, die auf Intensivstationen zur Standardbehandlung der Sepsis zählen, für die Patienten riskant sind. Die Infusionsbehandlung mit Hydroxyethylstärke (HES) verdoppelte das Risiko für ein Nierenversagen und führte - abhängig von der Dosis - sogar zu einer erhöhten Sterblichkeit.

Im septischen Schock treten große Mengen der Blutflüssigkeit in das Gewebe über. Um eine ausreichende Durchblutung der Organe aufrecht zu erhalten, gleichen Ärzte den Flüssigkeitsverlust mit Infusionen aus. Die Ersatzlösungen enthalten Elektrolyte (z. B. Ringer-Laktat), Stärke (z. B. HES) oder Proteine, die das Wasser binden und so verhindern, dass weitere Flüssigkeit im Gewebe „versickert“. Die Jenaer Wissenschaftler zeigten nun erstmals in einem direkten Vergleich, welches Volumenersatzmittel sich günstiger auf die Organfunktion bei septischen Patienten auswirkt.

Auch eine zu strenge Einstellung des Blutzuckers gefährdete die Sicherheit der Patienten. Die sogenannte intensivierte Insulintherapie mit dem Ziel, den Blutzucker im Normbereich zwischen 80 und 100 mg/dl zu halten, erhöhte das Risiko lebensbedrohlicher Unterzuckerungen um das Fünf- bis Sechsfache. „Wahrscheinlich ist das Risiko sogar noch größer, da das künstliche Koma bei Sepsis-Patienten die Warnzeichen einer Unterzuckerung verschleiert“, erklärt Dr. Frank Martin Brunkhorst von der Uniklinik Jena. Bisher gingen Mediziner davon aus, dass die intensivierte Insulintherapie bei Patienten auf Intensivstationen die Komplikationsrate, die Sterblichkeit und die Dauer ihres Krankenhausaufenthalts reduziert. Das gilt jedoch nicht für Sepsis-Patienten, wie die Studie zeigt.

Neue Empfehlungen verbessern die Überlebenschancen
„Ab sofort sollten die intensivierte Insulintherapie und der Volumenersatz mit den derzeit verfügbaren HES-Produkten bei Sepsis-Patienten nicht mehr eingesetzt werden“, resümiert Brunkhorst. Er empfiehlt stattdessen, den Blutzucker auf moderate Werte einzustellen und den Flüssigkeitsverlust mit Ringer-Laktat auszugleichen. Die Untersuchung aus Jena zeigt, wie wichtig es ist, auch etablierte Behandlungsabläufe mit qualitativ hochwertigen Studien zu überprüfen. Dies gilt auch für nicht einwilligungsfähige Patienten auf Intensivstationen, denn langfristig kann dadurch die Sicherheit aller Patienten erhöht werden. Im SepNet arbeiten Experten verschiedener Fachdisziplinen zusammen und führen gemeinsam mit dem Koordinierungszentrum für Klinische Studien in Leipzig (KKSL) epidemiologische und klinische Studien durch, um die Prognose der Patienten zu verbessern und die Sterblichkeit in Deutschland zu senken.

Jeder zweite Patient verstirbt
„Wir schätzen, dass sich mit einer konsequenten Umsetzung der Leitlinien die Sterblichkeit der schweren Sepsis um 10 bis 25 Prozent reduzieren lässt“, so Brunkhorst. Für fast die Hälfte der 150.000 Menschen, die pro Jahr in Deutschland an einer Sepsis erkranken, verläuft diese tödlich. Damit sind septische Erkrankungen hierzulande die dritthäufigste Todesursache, nach dem akuten Herzinfarkt und Krebserkrankungen. Allein die direkten Kosten für die intensivmedizinische Behandlung belaufen sich auf circa 1,8 Milliarden Euro jährlich. Die Blutvergiftung kann als Komplikation bei jeder Infektion auftreten - zum Beispiel in Folge einer Lungen- oder Blinddarmentzündung. Alte Menschen, chronisch Kranke, Patienten mit schweren Verletzungen oder nach großen Operationen sind aufgrund ihrer geschwächten Immunabwehr besonders gefährdet. Gelingt es dem Körper nicht, die Entzündung auf den Ursprungsort einzudämmen, breiten sich die Krankheitserreger über das Blut aus und greifen auf sämtliche Organe über. Die ausgedehnte und heftige Entzündungsreaktion führt innerhalb von Stunden zu Lungen-, Leber- und Nierenversagen sowie zum Kreislaufschock. Ohne sofortige künstliche Beatmung, Herz-Kreislaufunterstützung und Blutwäsche auf der Intensivstation besteht für die Betroffenen kaum eine Überlebenschance.

Ansprechpartner:
Dr. Frank Martin Brunkhorst
Universitätsklinikum Jena
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Erlanger Allee 101
07747 Jena
Tel.: 03641 9-323384
Fax: 03641 9-34795
E-Mail: frank.brunkhorst@med.uni-jena.de

Weitere Informationen zum SepNet finden Sie unter
www.kompetenznetz-sepsis.de