Die Behandlung von Schlaganfällen wird meist im Tiermodell, das heißt an Schweinen, erforscht und trainiert – das BMBF-geförderte Projekt COSY-SMILE-2 zeigt, dass es Alternativen gibt. Professor Dieter Krause erläutert sie im Interview.
Rund 270.000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall, jeder 40. Erwachsene hatte bereits einmal einen Schlaganfall. Der demografische Wandel wird voraussichtlich zu einer weiteren Zunahme der Zahl an Schlaganfallpatientinnen und -patienten in Deutschland führen. Eine Behandlungsoption bei Schlaganfällen ist die endovaskuläre Thrombektomie, wobei der Verschluss der großen hirnversorgenden Arterien wieder geöffnet wird. Für Trainings- und Forschungsaktivitäten für Medizinerinnen und Mediziner werden meist Schweine als Tiermodelle eingesetzt. Um das in Zukunft zu vermeiden, entwickelte das Forschungsteam im Projekt COSY-SMILE ein synthetisches Trainings- und Forschungsmodell. Professor Dieter Krause von der Technischen Universität Hamburg ist Projektkoordinator und erläutert die Ziele des Forschungsteams im Rahmen des in diesem Frühjahr neu gestarteten Folgeprojekts COSY-SMILE-2.
Der Begriff „endovaskulär“ wird im medizinischen Kontext vor allem für die Behandlungsart des Schlaganfalls verwendet. Es bedeutet übersetzt: innerhalb des Gefäßes. Für den ischämischen Schlaganfall, also den Schlaganfall, bei dem ein Gefäß durch ein Blutgerinnsel, einen sogenannten Thrombus, verstopft ist, gibt es zwei Behandlungsverfahren: Zum einen lassen sich kleinere Thromben durch die Lysetherapie medikamentös auflösen. Zum anderen hat sich das endovaskuläre Verfahren der mechanischen Thrombektomie als Standard zur Entfernung größerer Thromben bewährt. Hierbei handelt es sich um ein katheterbasiertes Verfahren, bei dem ein sogenannter Stent-Retriever – ein medizinisches Instrument – über die Leistenarterie bis zum betroffenen Gefäß vorgeschoben wird. Durch das Aufspannen eines Geflechts am Stent-Retriever wird dabei der Thrombus mechanisch entfernt. Die Behandlung müssen Medizinerinnen und Mediziner vor Anwendung am Menschen trainieren.
COSY-SMILE ist ein physisches Simulationsmodell zum Training und Erforschung der endovaskulären Schlaganfallbehandlung. Es ermöglicht ein Training mit Originalinstrumenten des kompletten Ablaufs der Behandlung unter standardisierten und reproduzierbaren Bedingungen. Im Folgeprojekt COSY-SMILE-2 wollen wir dies nun weiterentwickeln und für die nutzergerechte Anwendung optimieren. Da es mit der additiven Fertigung möglich ist, Modelle aus originalen Patientendaten wie beispielsweise CT-Daten zu erstellen, konnten wir auf dieser Grundlage ein breites Trainingsportfolio aufbauen. Dies beinhaltet verschiedene Anatomien, zum Beispiel Gefäßkurvigkeiten, aber auch eine Nachbildung von Stenosen – also Engstellen –, die nach der Behandlung ein Öffnungsverhalten zeigen. Mit verschiedenen, neu entwickelten und tierblutfreien Thromben wird ein sehr realitätsnahes Training ermöglicht. Wir konnten bereits im Rahmen der bei unserem Partner, dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), regelmäßig stattfindenden Trainingskurse für Fachärztinnen und Fachärzte aus ganz Deutschland unter Einsatz des Modells feststellen, dass es zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von angehenden Neuroradiologinnen und Neuroradiologen beiträgt.
Durch die durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ermöglichte Anschlussförderung haben wir die Chance, im Verbund mit UKE, anwendungsnah auf den Ergebnissen der ersten Projektlaufzeit aufzubauen. Wir wollen in der Kooperation und der begleitenden Evaluation das Modell noch realitätsnäher gestalten. Es umfasst nun auch weitere Pathologien, Normvarianten und Behandlungsmöglichkeiten. Wir wollen es außerdem um eine weitere Messtechnik ergänzen, um eine mehr objektivierte Beurteilung des Behandlungserfolgs zu ermöglichen.
Das umfangreiche Modell zur Simulation der Schlaganfallbehandlung ermöglicht es, die zuvor am Tiermodell Schwein stattgefundenen Trainingskurse sowie Forschungsaktivitäten im Sinne des 3R-Konzeptes vollständig zu ersetzen. Wir bewegen uns also im Bereich von Replacement. Neben den ethischen und bürokratischen Vorteilen, die mit dem synthetischen Simulationsmodell verbunden sind, weist das Modell auch anatomische Vorteile auf, da es originale Patientenanatomien abbilden kann. Das Modell wird in der weiterentwickelten Form nach Projektende am UKE für Trainings- und Forschungszwecke eingesetzt und leistet somit hier auch langfristig einen Beitrag zur Tierversuchsvermeidung. Ein nationaler Einsatz des Modells wäre langfristig natürlich ideal.
Forschungsverbund COSY-SMILE-2:
Technische Universität Hamburg (TUHH)
Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik (PKT)
Leitung und Koordinator des Projekts: Prof. Dr.-Ing. Dieter Krause
Nadine Wortmann M.Sc.
Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Klinik und Poliklinik für Neuroradiologische Diagnostik und Intervention
Leitung: Prof. Dr. med. Jens Fiehler
Teilprojektleitung: Dr. med. Helena Guerreiro
Dr. med. Anna Kyselyova