Tierstall und Gemüsefeld – Wo resistente Keime lauern - Ein Forschungsverbund auf Spurensuche

Gegen bakterielle Infektionen helfen Antibiotika – diese goldene Regel der Medizin gerät zunehmend ins Wanken. Denn immer häufiger sind Bakterien gegen die gängigen Antibiotika resistent. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung wird oftmals für diese Entwicklung verantwortlich gemacht. Doch welches Risiko geht tatsächlich von den Nutztierbeständen aus? Ein Forschungsverbund hat sich auf die Spurensuche begeben. (Newsletter 59 / Oktober 2012)

LogoResistente Bakterien verbreiten sich zunehmend und gefährden die Gesundheit. In welchem Umfang allerdings der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zur Verbreitung der resistenten Bakterien beiträgt, ist bislang unklar. Es fehlt an Informationen und Daten. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsverbund RESET untersucht und bewertet deshalb die Herkunft und Übertragungswege resistenter Bakterien sowie das Risiko für Menschen, solchen resistenten Keimen ausgesetzt zu sein. Die vorläufigen Ergebnisse klingen tatsächlich alarmierend: In der Mehrzahl der untersuchten Schweine- und Hähnchenmastbetriebe haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler antibiotikaresistente Bakterien, sogenannte ESBL-bildende Bakterien (siehe Infobox), nachgewiesen. „Wir haben bisher 44 Schweinemastbetriebe und 16 Masthähnchenbestände auf ESBL-produzierende Bakterien hin untersucht. Dabei erwiesen sich fast 60 Prozent der Schweine- und sogar jeder der getesteten Hähnchenbestände als ESBL-verdächtig“, fasst Prof. Dr. Uwe Rösler vom Institut für Tier- und Umwelthygiene an der Freien Universität Berlin, zusammen.

Warum sind die resistenten Bakterien so weit verbreitet? In der konventionellen Nutztierhaltung werden häufig Antibiotika eingesetzt, um Infektionen bei den Tieren zu heilen oder deren Ausbreitung zu verhindern. Dies kann zu einem Vorteil für resistente Bakterien werden. Denn die Medikamente töten nur Bakterien, die nicht resistent sind. Keime, die gegen das eingesetzte Antibiotikum resistent sind, können sich hingegen ungestört und ohne Konkurrenz anderer Bakterien vermehren.

Gülle – nicht nur Dünger, sondern auch Überträger

Besonders oft fanden die RESET-Forscher die resistenten Keime im Stall, auf dem Boden um den Stall herum und im Kot der Tiere. „Das bedeutet für uns, dass resistente Keime nicht nur über den Kontakt mit infizierten Menschen und Tieren sowie den Verzehr kontaminierter tierischer Lebensmittel übertragen werden können. Auch die oftmals als Dünger eingesetzte Gülle ist ein möglicher Überträger“, so Professor Rösler. Eine nicht zu unterschätzende Bedrohung: Jedes Jahr fallen in Deutschland etwa 30 Millionen Tonnen an tierischen Exkrementen, überwiegend Schweinegülle, an. 30 Millionen Tonnen – umgerechnet in LKW-Ladungen sind das so viele vollbeladene Gülle-LKWs, dass sie von Berlin bis Peking und zurück Stoßstange an Stoßstange stünden.

Antibiotika im Gemüse

Bildquelle: Fachbereich Agrarwirtschaft, FH Südwestfalen, Abteilung SoestDiesem Weißkohl sieht man nicht an, dass er mit Antibiotika und resistenten Keimen belastet sein könnte. Prof. Dr. Manfred Grote von der Universität Paderborn und sein Team haben auf einer Versuchsfläche der FH Südwestfalen in Soest Weißkohl und Porree angebaut. Sie düngten das Gemüse mit tierischen Exkrementen aus der Schweine und Geflügelhaltung, die mit einer definierten Menge an Antibiotika belastetet waren. „Sowohl im Boden als auch im Gemüse selbst konnten wir die Antibiotika nachweisen“, sagt Professor Grote. Auf der Suche nach ESBLproduzierenden Mikroorganismen sind die Wissenschaftler der Freien Universität Berlin in einer ersten Versuchsreihe auf den Gemüsesetzlingen und in einem Einzelfall auch in reifen Weißkohlblättern fündig geworden. Würde ein solcher Kohlkopf roh verzehrt, könnten die resistenten Bakterien möglicherweise auf den Menschen übertragen werden oder sie könnten ihre ESBL-Resistenzgene etwa im Darm auf andere Bakterien übertragen.

Wie häufig es tatsächlich zu einem Austausch der Antibiotika-Resistenzen zwischen Bakterien von Tieren und Menschen kommen kann, wird derzeit erforscht. „Wir wissen jedoch, dass beim Menschen und beim Tier vorkommende Bakterienstämme oftmals identische Resistenzgene besitzen. Das spricht dafür, dass die Bakterien ihre Resistenzgene tatsächlich zwischen Tier und Mensch austauschen“, so Dr. Beatriz Guerra Román vom Bundesinstitut für Risikobewertung, das auch an den Forschungsarbeiten im RESET-Verbund beteiligt ist.

Doch auch die über den Tierkot direkt in die Umwelt verschleppten Antibiotika selbst sind bedeutsam. „Denn sie können wieder von anderen Tieren aufgenommen werden und fördern dort schon in sehr geringen Mengen die Entstehung resistenter Bakterien“, beschreibt Prof. Dr. Manfred Kietzmann von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover.

Umdenken erforderlich

Bildquelle: Department Chemie – Anorganische und Analytische Chemie, Fakultät für Naturwissenschaften, Universität PaderbornAuf dem Versuchsfeld der FH Südwestfalen in Soest wird im Rahmen des RESETVerbundprojektes das Gemüse per Gießkanne mit Antibiotika belasteter Gülle gedüngt.Basierend auf den Ergebnissen des RESET-Forschungsverbundes, an dem Fachleute ganz unterschiedlicher Disziplinen beteiligt sind, soll zukünftig eine Strategie zur verbesserten Kontrolle von resistenten Bakterien in Deutschland entwickelt werden. Damit trägt der Forschungsverbund zur Umsetzung der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie der Bundesregierung bei. Das Fazit des Verbundleiters Prof. Dr. Lothar Kreienbrock: „Unser Wissen über die Entstehung und Verbreitung von resistenten Bakterien sollte uns ermahnen, sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin antibakterielle Medikamente sehr umsichtig zu verwenden. Hierfür ist langfristig ein Umdenken auf Seiten der Betriebe, des Einzelhandels und der Verbraucher, aber auch innerhalb der Humanmedizin erforderlich. Denn nur so können wir uns auch für die Zukunft therapeutische Optionen erhalten und sichere Lebensmittel aus gesunden Tierbeständen genießen.“


Resistente Bakterien – Was sie können und wie sie entstehen

Neben den berühmt berüchtigten multiresistenten MRSA-Keimen, zählen ESBL-bildende Enterobakterien zu den wichtigen antibiotikaresistenten Bakterien. ESBL steht für Extended-Spectrum Beta-Laktamasen. Das sind spezielle von den Bakterien gebildete Enzyme, die die molekulare Struktur von vielen ß-Laktam-Antibiotika mit weitem Wirkungsspektrum, z.B. die der Penicilline und Cephalosporine, spalten können. Die Antibiotika werden damit unwirksam. Die genetische Information für diese Antibiotikaresistenz liegt meist auf mobilen genetischen Elementen, den so genannten Plasmiden. Plasmide können zwischen Bakterien einer Art oder auch unterschiedlicher Arten ausgetauscht werden, was zur Ausbreitung der ESBL-tragenden Bakterien beiträgt. „Allein beim Menschen scheint der Anteil an ESBL-tragenden Darmbakterien in den vergangenen Jahren stetig zu steigen, so dass dies weitergehend untersucht werden muss“, sagt der Leiter des RESET-Verbundes, Prof. Dr. Lothar Kreienbrock. Da ESBL-bildende Erreger oft auch multiresistent sind, stehen für eine erfolgreiche Therapie im Infektionsfall nur noch wenige wirksame Antibiotika zur Verfügung.



Ansprechpartner/-in:
Prof. Dr. Lothar Kreienbrock
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Institut für Biometrie, Epidemiologie und
Informationsverarbeitung
Buenteweg 2
30559 Hannover
Tel.: 0511 953-7950
Fax: 0511 953-7974
E-Mail: lothar.kreienbrock@tiho-hannover.de 
Internet: www.reset-verbund.de