In Deutschland sterben jedes Jahr etwa 95.000 Menschen an den Folgen eines Schlaganfalls. Besonders gefährlich wird es, wenn eine Hirnblutung an der Basis des Gehirns auftritt. Das Blut, das sich dort auf der Gehirnoberfläche verteilt, zersetzt sich innerhalb weniger Tage und kann einen ischämischen Schlaganfall auslösen, der nicht selten tödlich endet.
Neurologen der Charité in Berlin haben jetzt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine diagnostische Methode entwickelt, mit deren Hilfe Patienten auf der Intensivstation erstmals in jeder Phase der Erkrankung am Monitor überwacht werden können. Ein solches Frühwarnsystem ist die Voraussetzung dafür, dass für diese Patienten die richtige Therapie genau zum richtigen Zeitpunkt eingeleitet werden kann.
Ursache für einen Schlaganfall kann entweder eine Hirnblutung oder eine Mangeldurchblutung (Ischämie), etwa aufgrund eines Gefäßverschlusses, sein. Hirnblutungen sind zwar nur in etwa 20 Prozent der Fälle Auslöser eines Schlaganfalls, sie sind aber für mehr als die Hälfte aller tödlichen Schlaganfälle verantwortlich. Eine besondere Form der Hirnblutung ist die sogenannte Subarachnoidalblutung, die zumeist durch das Platzen eines arteriellen Gefäßes an der Basis des Gehirns hervorgerufen wird. Vier von zehn Patienten sterben an den Folgen einer solchen Blutung. Dies liegt allerdings nicht nur an der Blutung selbst. Der Neurowissenschaftler und Projektleiter Prof. Dr. Jens P. Dreier erläutert die Problematik: „Selbst wenn es gelingt, die Gefahr einer weiteren Blutung durch einen neurochirurgischen Eingriff oder eine neuroradiologische Intervention zu bannen, bleiben doch Blutreste im Gehirn zurück. Diese Blutzellen zersetzen sich innerhalb von etwa sieben Tagen. Es entstehen toxische Abbauprodukte. Dieser Prozess löst dann einen sogenannten ischämischen Schlaganfall aus, der Hirngewebe zerstört.“ Nun haben die Wissenschaftler ein neues diagnostisches Verfahren entwickelt, mit dem sich die Entstehung eines solchen ischämischen Schlaganfalls auf der Intensivstation am Monitor erfassen lässt. Erstmals kann man den Patienten dadurch rechtzeitig gezielt therapieren.
Auswirkungen eines "Nervenzell-Tsunamis"
Bereits vor etwa zehn Jahren hat eine Arbeitsgruppe um Dr. Dreier an der Charité in Berlin in tierexperimentellen Untersuchungen einen vermutlich entscheidenden Mechanismus entdeckt, über den Blutabbauprodukte nach einer Subarachnoidalblutung zum ischämischen Schlaganfall führen. „Durch die toxischen Blutabbauprodukte wird eine Welle von Nervenzellentladungen ausgelöst, die wie ein „Tsunami“ durch die Hirnrinde fegt“, erläutert Dreier. „Dadurch steigt der Energiebedarf des Gehirns massiv. Unter normalen Bedingungen bewältigt das Gehirn einen erhöhten Energiebedarf durch einen gesteigerten Blutfluss. Die toxischen Blutabbauprodukte stören aber die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen“, so Dreier weiter. Der „Nervenzell-Tsunami“ wird daher von den kleinen Hirnblutgefäßen mit einer extremen Verengung beantwortet. Die entstehende Mangeldurchblutung wandert in der Hirnrinde und breitet sich dort aus. Dieser Prozess wird als „spreading ischaemia“ bezeichnet. Am Ende sind die Nervenzellen zerstört. Das erklärt, weshalb bei Patienten mit Subarachnoidalblutung nach etwa sieben Tagen ein verzögerter ischämischer Schlaganfall auftreten kann.
Frühwarnsystem ermöglicht eine rechtzeitige Behandlung
Durch die Entwicklung eines neuen diagnostischen Verfahrens kann nun bei Patienten mit Subarachnoidalblutung die Entstehung eines solchen verzögerten ischämischen Schlaganfalls in der Hirnrinde wie bei einem Frühwarnsystem am Monitor erfasst werden. Dadurch wird es möglich, bei den betroffenen Patienten die Therapie auf der Intensivstation rechtzeitig und sehr gezielt zu beginnen. Dazu wird im richtigen Moment der Blutdruck erhöht, das Blut verdünnt und das Blutvolumen gesteigert. Möglich ist das Verfahren durch neu entwickelte Sonden mit speziellen Lichtfasern, die beim neurochirurgischen Eingriff auf der Hirnoberfläche implantiert werden. Damit können die elektrische Aktivität und der regionale Hirnblutfluss an mehreren Positionen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung gemessen und überwacht werden. Zusätzlich werden Hirnstoffwechsel und Sauerstoffpartialdruck des Gehirns aufgezeichnet. Die ersten Patienten profitieren bereits von dem neuen Verfahren. Insbesondere jungen Patienten kommen die Forschungsergebnisse zugute. Denn im Gegensatz zu anderen Schlaganfällen ist vor allem die Altersklasse um die 40 von einer Subarachnoidalblutung betroffen.
Formen des Schlaganfalls
Eine plötzlich auftretende Mangeldurchblutung führt zu einem ischämischen Schlaganfall bzw. zum Hirninfarkt. Die Mangeldurchblutung entsteht aufgrund von einengenden oder verschließenden Prozessen der arteriellen Hirngefäße, wodurch das Hirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Glukose versorgt wird. Nervenzellen sterben in der Folge in den betroffenen Hirnregionen ab (Infarkt). Unter den Schlaganfällen bilden die ischämischen Schlaganfälle mit etwa 80 Prozent die größte Gruppe. Die Symptome variieren stark, am häufigsten treten lokalisierte neurologische Funktionsstörungen wie die Lähmung einzelner Gliedmaßen oder eine Sprachstörung auf. Eine Mangeldurchblutung tritt zumeist im höheren Lebensalter auf, Männer sind im Durchschnitt 70 Jahre, Frauen in etwa 75 Jahre alt. Eine akute Hirnblutung führt zu einem hämorrhagischen Infarkt. Die häufigste Form der Hirnblutung ist die sogenannte Hirnmassenblutung als Folge eines jahrelangen Bluthochdrucks. Sie betrifft vor allem ältere Patienten. Die zweithäufigste Form der Hirnblutung ist die Subarachnoidalblutung. Als Leitsymptom einer Subarachnoidalblutung tritt ein plötzlicher Kopfschmerz mit Übelkeit und Erbrechen auf. Nicht selten kommt es darüber hinaus zu einem Bewusstseinsverlust, Lähmungen und anderen neurologischen Funktionsstörungen. Wenn die Patienten sich erholen, droht etwa eine Woche nach der Subarachnoidalblutung das Auftreten weiterer diesmal ischämischer Schlaganfälle, die nicht selten tödlich verlaufen. Diese werden durch eine komplexe Wechselwirkung zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen hervorgerufen, die erst Ende der neunziger Jahre von Dr. Dreier und seiner Arbeitsgruppe in Tierexperimenten entdeckt wurde und als „inverse neurovaskuläre Kopplung“ bezeichnet werden.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jens Dreier
Klinik für Neurologie
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