Eine BMBF-geförderte Forschungsgruppe hat jetzt eine seltene Autoimmunkrankheit von Kindern und Jugendlichen und deren Auslöser entdeckt. Das eröffnet neue Therapieoptionen für diese Art von Erkrankungen, aber auch für Virusinfektionen oder Krebs.
In ganz seltenen Fällen kann es vorkommen, dass das angeborene Immunsystem ununterbrochen aktiv ist und so eine chronische Entzündung (Inflammation) auslöst, obwohl gar keine Krankheitserreger vorhanden sind, die es abzuwehren gilt. Fachleute sprechen daher von autoinflammatorischen Erkrankungen. Die Fehlfunktionen des Immunsystems sind bislang unheilbar. Die Entzündungen beginnen meist bei der Geburt, führen zu immer stärkeren Störungen der verschiedenen Organsysteme und der körperlichen Entwicklung, sodass die betroffenen Kinder meist noch vor dem Erwachsenenalter an den Folgen der Erkrankung sterben. Bei etlichen autoinflammatorischen Erkrankungen sind die Ursachen erforscht, bei einigen sind die Auslöser aber noch unbekannt.
Eine Nachwuchsgruppe um den Ulmer Virologen Professor Dr. Konstantin Sparrer hat nun zusammen mit französischen Kooperationspartnern eine neue Variante einer angeborenen Immunstörung (aus der Gruppe der Typ-I-Interferonopathien) und deren Auslöser gefunden: Es ist eine Mutation im Gen ARF1. Wie bei den meisten dieser Erkrankungen wird auch diese Mutation nicht vererbt, sondern entsteht spontan in den Keimzellen der Eltern, aus denen sich das erkrankte Kind entwickelt hat. „Damit haben wir ganz neue Einblicke in die Ursachen dieser schweren Erkrankung gewonnen, und das ermöglicht uns hoffentlich, neue Therapieansätze zu entwickeln“, sagt Sparrer. Da diese Art von Erkrankungen zumeist von einem Defekt in einem einzigen Gen verursacht wird, erlaubt es aussagekräftige Rückschlüsse über die Rolle des Gens bei der körpereigenen Immunabwehr. Daher hat die aktuelle Entdeckung noch eine viel umfassendere Bedeutung. „Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, molekulare Mechanismen vieler Erkrankungen, bei denen das eigene Immunsystem chronische Entzündungsreaktionen auslöst, besser zu verstehen und wirksame Therapien zu finden“, erklärt der Wissenschaftler. Gemeinsam mit seiner Nachwuchsgruppe IMMUNOMOD will Sparrer neuartige Strategien zur Stärkung der angeborenen Immunabwehr entwickeln und wird dafür vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
„Rare Disease Day“ am 29. Februar 2024
Bewusst wurde der seltenste Tag im Kalender gewählt, um Aufmerksamkeit zu schaffen: Immer am letzten Tag im Februar ist der „Rare Disease Day“, der Tag der Seltenen Erkrankungen. 2024 fällt dieser Tag auf den 29. Februar, und auch in Deutschland sollen vielfältige Aktionen unter dem Motto „Teilen Sie Ihre Farben“ die Anliegen und Bedürfnisse betroffener Menschen sichtbar machen.
Weltweit leben rund 300 Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung – rund fünf Prozent der Weltbevölkerung. Eine Erkrankung gilt dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. „Selten“ sind diese Erkrankungen in ihrer Gesamtheit jedoch nicht – mehr als 6.000 Seltene Erkrankungen sind bekannt, 72 Prozent davon genetisch bedingt. Allein in Deutschland sind mehr als vier Millionen Menschen von einer solchen Krankheit betroffen.
Mutation im ARF1-Gen löst fehlgesteuerte Immunreaktionen aus
Um die Mechanismen des Immunsystems näher zu untersuchen, hatte das deutsch-französische Forschungsteam das Gen ARF1 besonders unter die Lupe genommen, denn es spielt dabei eine wichtige Rolle: Es ist dafür zuständig, Stoffe an den richtigen Ort innerhalb einer Zelle zu transportieren oder auch den Energiehaushalt der Zelle zu steuern. Dabei fanden die Forschenden jetzt heraus, dass bei der krank machenden Mutation im ARF1-Gen die für den Energiehaushalt verantwortlichen Mitochondrien instabil werden. Dadurch dringen DNA-Bestandteile der Mitochondrien durch die instabile Membran in die Zellflüssigkeit (Zytoplasma). Sie werden fälschlicherweise als fremd wahrgenommen, da sie normalerweise nicht im Zytoplasma vorkommen; zugleich verhindert die Mutation, dass die Aktivierung der Immunabwehr beendet wird. „Das führt zu einem Teufelskreis an Fehlreaktionen und schließlich zu fatalen chronischen Entzündungsreaktionen“, erklärt Sparrer.
Ziel der Forschenden: Konzertierte Immunabwehr aktivieren
Im Gesamtprojekt IMMUNOMOD will das Forschungsteam herausfinden, wie man das Immunsystem beim Erkennen, Verhindern und Bekämpfen von Krankheitserregern unterstützen kann, um am Ende über Medikamente eine umfassende Immunantwort auszulösen. Zu diesem Zweck untersuchen die Forschenden, was genau Viren oder Bakterien an sich haben, damit die körpereigene Immunabwehr anspringt, wie die Immunreaktion im Detail aussieht und welche Wirkstoffe geeignet sind, das Immunsystem von außen gezielt zu aktivieren. Die Ergebnisse werden computergestützt zusammengeführt und könnten dabei helfen, über maschinelles Lernen für den jeweiligen Fall individuell passende Arzneiwirkstoffe zu identifizieren.
Erste Patienten profitieren von den Ergebnissen
Von den aktuellen Erkenntnissen können bereits die ersten jungen Patientinnen und Patienten profitieren. „Wir haben die Betroffenen beziehungsweise ihre Angehörigen über ihre Ärztinnen und Ärzte informiert und freuen uns natürlich, dass aktuell ein erster Patient gezielt mit verfügbaren entzündungshemmenden Medikamenten behandelt wird“, berichtet Sparrer. Damit haben er und sein Team einen ersten wichtigen Schritt geschafft auf dem Weg, die Mechanismen des Immunsystems besser zu verstehen und damit neue Therapieoptionen auch für andere Erkrankungen mit Entzündungsreaktionen wie Infektionen, aber auch Neurodegenerationen und sogar Krebs zu eröffnen.
Über die Richtlinie zur Förderung von Nachwuchsgruppen in der Infektionsforschung unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt „IMMUNOMOD“ von 2020 bis 2025 mit ca. 1,8 Millionen Euro. Ziel der Fördermaßnahme ist es, die Karriere qualifizierter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in der klinischen und anwendungsorientierten Infektionsforschung gezielt zu fördern und die wissenschaftliche Basis in der Infektionsforschung in Deutschland zu stärken.
Originalpublikation:
Hirschenberger, M., Lepelley, A., Rupp, U., et al. (2023). ARF1 prevents aberrant type I interferon induction by regulating STING activation and recycling. Nature Communications 14, 6770 (2023). DOI: 10.1038/s41467-023-42150-4
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Konstantin Sparrer
Institut für molekulare Virologie
Universitätsklinikum Ulm
Meyerhofstraße 1
89081 Ulm
Tel.: 0731 50065-155
E-Mail: konstantin.sparrer@uni-ulm.de