Die rheumatoide Arthritis ist eine entzündliche Gelenkerkrankung. Über eine halbe Million Erwachsene sind schätzungsweise in Deutschland betroffen. Wie sieht ihre medizinische Versorgung aus? Werden alle gleich gut behandelt oder gibt es Unterschiede?
Steife Finger, starke Rückenschmerzen oder Verschleiß der Gelenke: Rheumatische und muskuloskelettale Erkrankungen können sich unterschiedlich bemerkbar machen und auch verschieden stark voranschreiten. Die Erkrankten leiden dabei vor allem unter chronischen Schmerzen und körperlichen Einschränkungen. Genaue Zahlen, wie hoch die Krankheitslast ist und wie gut die Betroffenen versorgt sind, liegen allerdings nicht vor.
Kassendaten liefern Überblick
Eine komplette Heilung von rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen ist nicht möglich. Aber ihr Krankheitsverlauf kann aufgehalten werden. In den vergangenen zwanzig Jahren konnte die medizinische Behandlung enorm verbessert werden. Doch profitieren alle Patientinnen und Patienten gleichermaßen von dieser Entwicklung? Fühlen sich die Deutschen rheumatologisch gut versorgt? „Es gibt nicht viele Daten zur Krankheitslast von Personen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen oder Arthrosen auf Bevölkerungsebene“, sagt Dr. Angela Zink. Die Professorin am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin koordiniert seit 2015 den Forschungsverbund PROCLAIR. Bisher ist nur sehr wenig darüber bekannt, wie Betroffene versorgt werden, die sich ausschließlich in hausärztlicher oder nicht rheumatologisch spezialisierter Versorgung befinden. Bei der rheumatoiden Arthritis dauert es zum Beispiel im Durchschnitt fast ein Jahr, bis Erkrankte in rheumatologischer Fachbehandlung sind.
Ziel des Verbundes ist es daher, neue und grundlegende Erkenntnisse über die Versorgungssituation, die Krankheitslast und die Kosten der Behandlung von Personen mit folgenden rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen zu gewinnen: Die rheumatoide Arthritis, die ankylosierende Spondylitis und die Arthrosen der Hüft- oder Kniegelenke.
„Aus der Kerndokumentation der Rheumazentren, einer früher auch vom Bundesforschungsministerium geförderten und nun schon seit 23 Jahren laufenden Erhebung bei rund 17.000 rheumatologisch versorgten Patienten pro Jahr, wissen wir, dass sich die klinische Situation der Betroffenen eindrucksvoll verbessert hat. Die rheumatoide Arthritis schreitet heute häufig deutlich langsamer fort, oft wird sogar ein Stillstand der Erkrankung erreicht. Viele Betroffene leiden aber noch immer unter erheblichen Beschwerden und Funktionseinschränkungen“, fasst Zink die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert rheumatische und muskuloskelettale Erkrankungen als schmerzhafte Einschränkungen des Bewegungsapparates, die progressiv verlaufen. Das heißt, dass sie unbehandelt immer weiter fortschreiten und die Symptome zunehmen. Diese Definition umfasst sowohl entzündlich-rheumatische Erkrankungen wie die rheumatoide Arthritis oder die entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen als auch degenerativ-rheumatische Erkrankungen wie Arthrosen.
Die rheumatoide Arthritis geht auf Fehlsteuerungen im Immunsystem zurück. Sie kann viele Gelenke, vor allem Hände und Füße, aber auch innere Organe betreffen. In Deutschland sind etwa 550.000 Menschen betroffen.
Bei der ankylosierenden Spondylitis, auch als Morbus Bechterew bekannt, führen die entzündlichen Veränderungen der Wirbelsäule zu starken Rückenschmerzen und einer Versteifung der Wirbelsäule. Von entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäule sind ebenfalls rund 550.000 Personen in Deutschland betroffen.
An Arthrosen leiden in Deutschland mindestens fünf Millionen, vorwiegend ältere Menschen. Es handelt sich um eine degenerative Gelenkerkrankung, die durch langjährige Überbelastung entsteht und zum Abbau von Knorpel und Knochen und schließlich zur Gelenkzerstörung führt. Am häufigsten sind Arthrosen der Knie-, Hüft- und Fingergelenke.
Versorgungssituation im Blick
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von PROCLAIR haben nun als erstes Teilprojekt die Patientensicht bei rheumatoider Arthritis mittels eines Fragebogens erhoben. Insgesamt sind über 6.000 Versicherte befragt worden. Die Fragen umfassen dabei unter anderem das aktuelle Befinden, den bisherigen Krankheitsverlauf und das Beschwerdemuster. Denn diese Informationen lassen Rückschlüsse auf die Schwere der Erkrankung zu.
Die Befragung bestätigt, dass viele der Behandelten stark unter Schmerzen oder körperlichen Einschränkungen leiden.
Darüber hinaus zeigen die Analysen auch, dass besondere Bevölkerungsgruppen Gefahr laufen, nicht ausreichend behandelt zu werden. Dazu gehören ältere Menschen, Personen mit einem niedrigen Einkommen und Erkrankte mit rheumatoider Arthritis, bei denen im Blut kein spezieller Rheumafaktor nachgewiesen werden kann.
„Auf Basis dieser Ergebnisse können wir nun gemeinsam mit unseren Verbundpartnern Strategien entwickeln, um die Versorgung der Versicherten zu verbessern“, so Zink.
Hintergrund: Wie werden die Daten ausgewertet?
Im Verbund PROCLAIR arbeiten die Universitäten Oldenburg und Dresden mit der Charité Berlin, dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum sowie der Krankenversicherung BARMER GEK zusammen.
Die Kooperation mit einer gesetzlichen Krankenversicherung ermöglicht es den Verbundpartnern, unter strenger Wahrung des Datenschutzes Abrechnungsdaten zu nutzen. Das können beispielsweise Laboruntersuchungen sein, die nötig sind, um Entzündungsparameter zu messen – häufig die ersten Tests bei Verdacht auf Rheuma. Oder der Nachweis des Rheumafaktors, eines spezifischen Autoantikörpers bei rheumatoider Arthritis. Aber auch die Verschreibung von entzündungshemmenden Medikamenten gibt Hinweise auf den Krankheitsverlauf. Um die Zahl der Betroffenen verlässlich aus den Krankenkassendaten zu schätzen, wurden verschiedene Szenarien durchgespielt: Zunächst wurden alle Versicherten, bei denen Ärztin oder Arzt die Diagnose einer „chronischen Polyarthritis“ gestellt haben, berücksichtigt. Anschließend wurden die Analysen auf die Patienten eingeschränkt, bei denen auch ein Test auf Autoantikörper durchgeführt wurde, sowie auf Betroffene, die zusätzlich spezifische entzündungshemmende Medikamente erhalten haben. Je nach Analyseart betrug die geschätzte Häufigkeit der rheumatoiden Arthritis zwischen 1,6 und 0,9 Prozent der Bevölkerung. Die letzte Zahl stimmt gut mit bisherigen Schätzungen über die Häufigkeit der rheumatoiden Arthritis überein. Etwa zwei Drittel der Betroffenen waren aktuell bei einem internistischen Rheumatologen in Behandlung. Dies spiegelt eine Verbesserung gegenüber der Situation vor 10 oder 20 Jahren wider, dennoch sollte die spezialisierte Behandlung möglichst allen Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zukommen.
Die nächsten Projekte in PROCLAIR widmen sich der Krankheitslast und Versorgungssituation von Versicherten mit entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen und Arthrosen.
Der Forschungsverbund PROCLAIR ist Teil des „Forschungsnetzes zu muskuloskelettalen Erkrankungen“. Darin fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) insgesamt acht Verbünde über vier Jahre. Hier werden deutschlandweite Expertisen zusammengeführt, um durch Forschung und Entwicklung die Versorgung muskuloskelettaler Erkrankungen zu verbessern.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Angela Zink
Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin
Programmbereich Epidemiologie
Charitéplatz 1
10117 Berlin
030 28460-622
030 28460-626
zink@drfz.de