Von Bienen lernen - Intelligenter Roboter trifft Entscheidungen und löst Aufgaben

Honigbienen kennen sich in der Landschaft aus. Sie finden immer zu ihrem schützenden Stock zurück, fliegen gezielt zu nektarreichen Blüten und suchen neue Nistplätze. Neurowissenschaftler versuchen jetzt, Roboter zu entwickeln, die diese Fähigkeiten der Bienen besitzen. Die neuartigen Roboter sollen dazu in der Lage sein, zu lernen, Entscheidungen zu treffen und selbstständig Aufgaben zu lösen. Was wie Science Fiction klingt, könnte schon bald Realität sein. (Newsletter 66 / Februar 2014)

Wie lernt das Gehirn? Wie bildet sich ein Gedächtnis? Und wie werden Entscheidungen getroffen? Diese Fragen möchte Professorin Dr. Dorothea Eisenhardt von der Freien Universität Berlin nicht nur beantworten. Sie möchte gemeinsam mit ihren Projektpartnern Roboter bauen, die genau das können: Lernen, Erinnern und Entscheiden. Kein leichtes Unterfangen. Inspirieren lassen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei vom Verhalten der Insekten, unter anderem von Honigbienen, aber auch von Fruchtfliegen.

Klein, aber oho – das Insektengehirn

Bildquelle: ThinkstockHonigbienen: Fleißiges Vorbild für intelligente Roboter. Bienen haben – absolut gesehen – im Vergleich zu Wirbeltieren ein recht kleines Gehirn: Es ist weniger als einen Kubikmillimeter groß, also kleiner als eine Laus, und besteht nicht einmal aus einer Million Nervenzellen. Im Vergleich: Das menschliche Gehirn besitzt schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen, also 100.000 Mal mehr. Dennoch zeigen Bienen ein erstaunlich komplexes Verhalten. Seit den Untersuchungen des Verhaltensforschers Karl von Frisch zwischen 1919 und 1960 ist zum Beispiel bekannt, dass Bienen ihren Stockgenossinnen wichtige Orte per Schwänzeltanz mitteilen. „Aus unseren Experimenten wissen wir, dass Honigbienen dabei eine Reihe von Gedächtnisformen nutzen: ein geografisches Gedächtnis für den Weg, ein optisches Gedächtnis für die Umgebung und ein räumliches Gedächtnis für geometrische Bezüge zwischen verschiedenen Landmarken“, beschreibt Professor Randolf Menzel, Neurobiologe an der Freien Universität Berlin. „Im Gehirn fügen die Bienen alle Informationen zu einer Art Karte der erkundeten Landschaft zusammen.“ Wie diese Landkarte allerdings im Gehirn der Honigbiene niedergelegt ist, und wie die Tiere sie als Basis für die Entscheidungsfindung nutzen, ist noch völlig unbekannt. „Es muss neuronale Muster geben, also Schaltkreise bestimmter Nervenzellen im Gehirn der Bienen, die diese Aufgabe erfüllen“, sagt Menzel. Ein Ziel des Verbundprojektes ist es, genau zu verstehen, welche Abschnitte des Insektengehirns für die einzelnen Fähigkeiten zuständig sind.

Dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen

Bildquelle: Kirsa Neuser, Universität WürzburgUnter dem Rasterelektronenmikroskop wirkt der Kopf einer harmlosen Fruchtfliegenlarve etwas befremdlich. Mit ihrer Hilfe wollen die Wissenschaftler verstehen, wie ein neuronales Netzwerk der Entscheidungsfindung organisiert ist. Um die Landkarte im Kopf der Bienen deuten zu können, hat das Forschungsteam um Menzel eine Methode entwickelt, die ermöglicht, den Nervenzellen im Gehirn der Bienen beim Lernen, Erinnern und Entscheiden zuzuschauen. Hierfür laufen die Bienen im Labor durch eine virtuelle Landschaft und die Neurobiologen messen dabei die Aktivität einzelner Nervenzellen. Ob und wie gut sich eine Biene beispielsweise an eine Blumenwiese erinnert, hängt davon ab, wie viel Nektar sie dort gefunden hat. Experten sprechen von einem Belohnungsgedächtnis. „Wir untersuchen zum Beispiel wie die Menge der Belohnung, in unserem Falle einer Zuckerlösung, die Stabilität des Gedächtnisses und somit auch die Entscheidung der Bienen beeinflusst“, so Eisenhardt.
Auch die Frage, wie ein neuronales Netzwerk organisiert ist, das der Entscheidungsfindung der Insekten zugrunde liegt, ist bislang ungelöst. Antworten wollen die Projektpartner mit einem zweiten Insektenmodell finden: der Fruchtfliegenlarve. Diese Untersuchungen werden unter der Leitung von Professor Bertram Gerber am Leibniz­Institut für Neurobiologie in Magdeburg durchgeführt. Das Gehirn der Larve ist klein, besteht aber immerhin aus mehreren Tausend Nervenzellen. Damit können die Larven Gerüche mit einer Futterbelohnung verknüpfen und so vielversprechende Nahrungsquellen schneller auffinden – was für die nimmersatten Larven wichtig ist. „Die Einfachheit des Larvengehirns ist von großem Vorteil, um die Neurobiologie von Lernvorgängen zu verstehen“, sagt Gerber. „Außerdem sind die molekularen Bausteine des Gedächtnisses bei Fliegen, und natürlich auch bei den Larven, im Wesentlichen die gleichen wie beim Menschen.“

Kluge Roboter

Bildquelle: Birgit Michels, Universität WürzburgBlick in das Gehirn einer Fliegenlarve unter dem Fluoreszenzmikroskop. Die kugeligen Gehirnhälften und das Bauchmark sind grün gefärbt. Die gedankliche Verknüpfung von Duft und Futter findet innerhalb des Gehirns statt; das Bauchmark dient der unmittelbaren Steuerung des Verhaltens. Die violette Färbung markiert die sich bereits entwickelnden Augen der erwachsenen Fliege. Die Erkenntnisse werden genutzt, um mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entscheidungsfähige Roboter zu konstruieren, die trotz ihres geringen Wissens selbständig Aufgaben lösen können.Kein leichtes Unterfangen, das die am Projekt beteiligten Informatiker da vor sich haben. Beteiligt an der Roboterentwicklung sind die Teams um die Professoren Raul Rojas und Martin Nawrot von der Freien Universität Berlin sowie Professor Martin Riedmiller von der Universität Freiburg. „Diese neue Art, einen Roboter zu steuern, könnte in allen Bereichen genutzt werden, in denen es notwendig ist, dass ein Roboter nicht nur autonom agiert, sondern sich auch an Veränderungen der Umwelt anpassen soll“, erklärt die Projektleiterin Eisenhardt. Die neuartigen Roboter könnten wesentlich flexibler als bisherige eingesetzt werden. „Denn unsere Roboter können durch ihre Lernfähigkeit auch in Situationen zurechtkommen, die zum Zeitpunkt der Entwicklung gar nicht vorhergesehen waren.“ Ein einfaches Beispiel: Fällt ein Roboter um, soll er nicht nur in der Lage sein, selbstständig wieder aufzustehen. Vielmehr soll er zukünftig die Aktion vermeiden, die ihn zum Umfallen gebracht hat beziehungsweise sie so verändern, dass er zukünftig dabei nicht mehr hinfällt. Auf die Frage, wo solche Roboter zum Einsatz kommen könnten, sagt Eisenhardt: „Beispielsweise könnten sie als Minensuchroboter, zur Erkundung von Planeten, als Unterstützung für hilfsbedürftige Menschen, als Putzroboter für den Haushalt oder als Roboter für die Landwirtschaft genutzt werden.“

Was ist Computational Neuroscience?

Das Gehirn ist wohl die komplexeste Struktur,die die Evolution hervorgebracht hat. Zwar sind in den letzten Jahrzehnten maßgebliche Fortschritte in der Erforschung der Funktionsweise des Gehirns erzielt worden, doch von einem tiefgreifenden Verständnis komplexer kognitiver Leistungen wie Wahrnehmung, Lernen oder Handeln sind wir bis heute noch weit entfernt. Computational Neuroscience kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. In ihrem interdisziplinären Forschungsansatz vereint sie die Kompetenz aus den Bereichen Mathematik, Physik, Biologie, Medizin, Psychologie, Informatik und Ingenieurswissenschaften. Dadurch wird es möglich, Hypothesen in Formeln zu fassen, die man im Computer simulieren und überprüfen kann. Die Computational Neuroscience ermöglichen es, grundlegende Prozesse und Funktionsprinzipien des Gehirns aufzuklären und die gewonnenen Erkenntnisse für medizinische und technologische Anwendungen verfügbar zu machen.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dorothea Eisenhardt
Freie Universität Berlin – Neurobiologie
Königin-Luise-Straße 28/30
14195 Berlin
Tel.: 030 838-56781
Fax: 030 838-55455
E-­Mail: dorothea.eisenhardt@fu-berlin.de