Im Interview erläutert Professor Michael Prilla die Herausforderungen auf dem Weg zur Pflegebrille.
Sehr geehrter Herr Professor Prilla. Sie weisen über 15 Jahre an Forschungserfahrung im Bereich der Interaktion zwischen Mensch und Computer auf. Was hat Sie zum Start des Projekts Pflegebrille bewogen?
Michael Prilla: Mich hat schon immer die Frage beschäftigt, wie Technik im Arbeitsalltag von Menschen sinnvoll unterstützen kann. Dabei fand ich Anwendungen im Gesundheits- und Sozialwesen besonders wichtig, weil sie für uns alle eine große gesellschaftliche Relevanz haben. Als wir uns zum ersten Mal mit Datenbrillen und Augmented Reality beschäftigt haben, hat es „klick“ gemacht: Wir hatten eine Technologie vor uns, mit der Pflegekräfte eine wichtige digitale Unterstützung bekommen und gleichzeitig ihre Hände frei haben für die Pflege. Das löste gleich eine Reihe von Problemen, die in Projekten zum Einsatz von Handys und Tablets in der Pflege auftauchten. Auch wenn am Anfang nur wir und unsere engsten Partner von dem Projekt überzeugt waren, wollten wir die Idee unbedingt umsetzen.
Wenn Sie an die bisherigen Forschungsphasen zurückdenken: Welcher Punkt war für Sie besonders schwer zu überwinden? Was hat Ihnen und Ihrer Forschung gegebenenfalls im Weg gestanden, was hat Ihnen die Arbeit erleichtert und wie konnte das Bundesforschungsministerium (BMBF) Sie dabei unterstützen?
Es gab sicherlich mehrere Punkte, an denen es schwierig war. Eins vorweg: Bei den Pflegediensten hatten wir nie besondere Schwierigkeiten, da wir hier auf sehr viele offene und an Innovationen interessierte Menschen gestoßen sind. Ein wichtiger Punkt war aber sicher die Skepsis, die man in der Forschungscommunity zunächst hatte, da wir lange Zeit die Einzigen waren, die Datenbrillen in der Pflegepraxis eingesetzt haben. Als wir aber mit unseren Studien deren Potenzial nachweisen konnten, war auch diese Hürde schnell überwunden und viele haben ihre Meinung geändert. Ein weiterer Punkt war, dass wir am Ende des Projekts leider keine Möglichkeit mehr hatten, den langfristigen Nutzen in der Praxis zu zeigen. Wir sind sehr froh, dass das BMBF das Potenzial erkannt hat und wir im aktuellen Projekt Pflegebrille 2.0 die Gelegenheit bekommen, unsere Arbeit weiterzuführen.
Als wir uns zum ersten Mal mit Datenbrillen und Augmented Reality beschäftigt haben, hat es „klick“ gemacht: Wir hatten eine Technologie vor uns, mit der Pflegekräfte eine wichtige digitale Unterstützung bekommen und gleichzeitig ihre Hände frei haben für die Pflege.
Michael Prilla
Wie ist die Idee zur Ausgründung eines Start-ups entstanden? Welche Potenziale sehen Sie hierbei für den Transfer der Ergebnisse in die Praxis?
Meine Partner und ich auch haben schon viele Forschungsprojekte durchgeführt. Aber wir waren uns schnell einig, dass das Ergebnis des Projekts Pflegebrille etwas Besonderes war: Wir hatten ein Konzept, mit dem tatsächlich eine große positive Veränderung für alle Beteiligten in der Pflege möglich war. Daher haben wir nach Gelegenheiten gesucht, die Pflegebrille als Produkt an den Markt zu bringen. Die Förderung in der Maßnahme „Start MTI“ erlaubt uns dies unter Nutzung unserer wissenschaftlichen Methoden und bietet ideale Voraussetzungen für den Transfer unserer Ergebnisse in die Praxis.
Wird die Zertifizierung der Pflegebrille als Medizinprodukt angestrebt? Welche Hürden gilt es hierzu zu meistern und welche Vorteile hätte eine entsprechende Zulassung?
Ja, wir wollen die Pflegebrille perspektivisch als Medizinprodukt zertifizieren lassen und haben mit der Arbeit daran bereits begonnen. Hintergrund ist, dass sie beispielsweise auch eingesetzt werden kann, um Ärztinnen und Ärzte in eine pflegerische Besprechung einzubeziehen. Das setzt eine Zulassung als Medizinprodukt voraus. Allerdings ist der Weg dorthin nicht ganz einfach und zudem langwierig. Zudem gibt es eine Reihe von Vorschriften, die entweder nicht auf Datenbrillen passen oder die wir – vorsichtig gesagt – als nicht nachvollziehbar empfinden. So gibt es für die Übertragung von Videobildern für ärztliche Besprechungen beispielsweise Mindestanforderungen an die Bildauflösung. Derzeit verfügbare Basismodelle für Datenbrillen mit Kamera – also letztlich die Hardware, auf der die Software der Pflegebrille läuft – erfüllen diese Voraussetzung aber oftmals nicht. All das erschwert den Transfer einer innovativen Idee in die Praxis schon ein wenig. Aufgrund solcher Herausforderungen wollen wir für Fragen der Zertifizierung der Pflegebrille als Medizinprodukt externe Beratung in Anspruch nehmen.
Was motiviert und begeistert Sie weiterhin für das Projekt Pflegebrille?
Ich möchte mit Technologien Menschen bei der Arbeit und beim Lernen helfen. Und ich bin absolut überzeugt von dem Konzept der Pflegebrille und denke, dass dieses Werkzeug in der Praxis einen deutlichen Unterschied für Patienten und Pflegekräfte machen kann. Ich lebe das auch in meinem Team vor und kommuniziere es bei allen Gelegenheiten, bei denen wir die Pflegebrille vorstellen. Außerdem spornt es an, aus der Praxis einen so großen Zuspruch zu bekommen, und das motiviert uns natürlich zusätzlich. Es passiert nicht so häufig, dass wir als universitär Forschende ein solches Konzept entwickeln und dann noch die Gelegenheit bekommen, es in der Praxis umzusetzen. Dafür bin ich allen Partnern und dem BMBF sehr dankbar.
Vielen Dank für das Gespräch!