Immer mehr Kinder und Jugendliche sind zu dick. Neben falschen Essgewohnheiten und zu wenig Bewegung gibt es noch weitere Faktoren, die schon in jungen Jahren die Entstehung von Übergewicht bestimmen. Besonders Eltern haben durch ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten einen großen Einfluss auf das Gewicht ihrer Kinder. Und dieser Einfluss beginnt schon während der Schwangerschaft. Welche Faktoren das Risiko für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen erhöhen, untersuchen Wissenschaftler vom Kompetenznetz Adipositas und entwickeln so neue Maßnahmen zur Prävention.
Die Zahlen sind alarmierend: Bereits jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat Übergewicht. Oftmals beginnen die Gewichtsprobleme aber schon im Kindesalter. Hierzulande ist mittlerweile jedes sechste Kind übergewichtig, viele sogar adipös – ein gewichtiges Problem, dem Maßnahmen zur Prävention entgegenwirken sollen. „Leider sind diese präventiven Maßnahmen bislang nicht von großem Erfolg gekrönt“, sagt Prof. Dr. Manfred Müller vom Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde in Kiel. Der Grund: Es gibt zahlreiche Faktoren, die das Gewicht von Kindern bestimmen und die bislang nicht von Präventionsmaßnahmen berücksichtigt werden. „Ein Kind wird nicht nur dann übergewichtig, wenn es sich falsch ernährt oder zu wenig bewegt – die Ursachen von Übergewicht im Kindes- und Jugendalter sind vielschichtiger.“ Deshalb erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsverbund PreVENT, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Kompetenznetzes Adipositas gefördert wird, die Ursachen von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen und entwickeln neue Maßnahmen zur Prävention.
Welche Faktoren erhöhen das Risiko für Übergewicht bei Kindern? „Die Auswertung der Daten von mehr als 34.000 Kindern und Jugendlichen aus Deutschland hat ergeben, dass zum Beispiel der Zigarettenkonsum der Eltern ein wichtiger Risikofaktor für Übergewicht bei Kindern ist“, erläutert Professor Müller. Denn Kinder, deren Eltern rauchen, haben im Vergleich zu Kindern von Nichtrauchern ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko übergewichtig zu werden. Und der blaue Dunst ist schon sehr früh für Gewichtsprobleme von Bedeutung: Raucht eine Frau während ihrer Schwangerschaft, ist für das Baby das Risiko, als Kind einmal übergewichtig zu werden, um 40 Prozent erhöht.
„Zwischen den Rauchgewohnheiten der Eltern und dem Übergewicht der Kinder besteht jedoch kein physiologischer Zusammenhang“, betont Professor Müller. Vielmehr sei das Rauchen ebenso wie die Essgewohnheiten oftmals ein indirektes Anzeichen für den Sozial- und Bildungsstatus der Eltern. „Denn Übergewicht tritt besonders häufig in Familien mit geringer Bildung auf“, erklärt Professor Müller. „Und gerade eine geringe Bildung stellt oftmals eine Barriere für erfolgreiche Präventionsmaßnahmen dar.“ Auch Kinder von Alleinerziehenden und Kinder mit Migrationshintergrund haben, den Ergebnissen der Auswertung zufolge, ein erhöhtes Risiko übergewichtig zu werden.
Auch die Zeit, die Kinder vor dem Fernseher oder dem Computer verbringen dürfen, entscheidet über ihre Körpermaße: Sitzen Kinder am Tag mehr als eine Stunde vor dem Bildschirm, steigt ihr Risiko, dick zu werden. „Im Vergleich zu Kindern, die weniger als eine Stunde pro Tag fernsehen oder am Computer spielen dürfen, haben Kinder, die dort beispielsweise drei Stunden verbringen, ein um 80 Prozent erhöhtes Risiko für Übergewicht“, sagt Professor Müller.
Ebenso ist das Gewicht der Eltern, das deren biologische Anlagen sowie ihren Ernährungs- und Lebensstil widerspiegelt, für das Adipositas-Risiko der Kinder von Bedeutung: Kinder und Jugendliche, deren Eltern übergewichtig sind, haben ein um bis zu 80 Prozent erhöhtes Risiko, selbst einmal Übergewicht zu bekommen. „Sind die Eltern adipös, ist das Risiko der Kinder auch übergewichtig zu werden sogar um 300 Prozent erhöht im Vergleich zu Kindern mit normalgewichtigen Eltern.“
Ein weiterer Risikofaktor für Übergewicht im Kindesalter ist zum Beispiel, wenn Mütter während der Schwangerschaft mehr als 17 Kilogramm zunehmen – als normal gilt eine Gewichtszunahme von zwölf bis 16 Kilogramm. Ebenso ist ein Geburtsgewicht der Babys von mehr als 3.890 Gramm bei Mädchen und 4.030 Gramm bei Jungen ein Risiko für späteres Übergewicht.
Um aus diesen Erkenntnissen geeignete Maßnahmen zur Prävention zu entwickeln, berechnen die Forscher derzeit, wie sich der Alltag der Kinder und ihrer Eltern verändern müsste, um die Sprösslinge vor Übergewicht zu schützen. „Klar ist, dass sich zukünftige Präventionsprogramme nicht mehr nur auf gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung beschränken sollten. Vielmehr müssen wir die Eltern der Kinder erreichen und deren Gesundheitskompetenz bereits bei der Familienplanung und während der Schwangerschaft stärken“, so Professor Müller.
Wenn nun alle Eltern auf das Rauchen verzichten, alle werdenden Mütter während der Schwangerschaft nicht rauchen und alle Kinder und Jugendliche weniger als eine Stunde am Tag vor dem Fernseher oder Computer verbringen würden – wären dann tatsächlich deutlich weniger Kinder übergewichtig als bisher? „Genau diese Szenarien berechnen wir derzeit in unseren Modellen, um so die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit neuer und gezielter Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Leider müssen wir realistisch betrachtet aber davon ausgehen, dass wir mit unseren Maßnahmen sicher nie mehr als ein Drittel der Kinder und Eltern erreichen werden“, sagt Professor Müller. Übergewicht im Kindes- und Jugendalter wird also vermutlich ein Problem bleiben – „aber hoffentlich ein abnehmendes“.
Mediziner unterscheiden grundsätzlich zwischen Übergewicht und schwerem Übergewicht, also Adipositas oder Fettleibigkeit. Ob eine Person unter-, normal-, übergewichtig oder adipös ist, lässt sich mit dem Body-Mass-Index, kurz BMI, unterscheiden. Dabei wird das Körpergewicht in Kilogramm durch das Quadrat der Körpergröße in Metern geteilt. Für Erwachsene werden von der Weltgesundheitsorganisation WHO feste Grenzwerte zur Definition von Übergewicht und Adipositas empfohlen: Ab einem BMI von 25 kg/m² oder mehr ist ein Erwachsener übergewichtig und ab einem BMI von 30 kg/m² adipös.
Auch im Kindes- und Jugendalter wird für die Definition von Übergewicht und Adipositas der BMI verwendet. Allerdings können bei Kindern und Jugendlichen im Gegensatz zu Erwachsenen keine festen BMI-Grenzwerte festgesetzt werden, da sich der BMI während der Entwicklung verändert. Deshalb müssen bei Kindern und Jugendlichen das Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. Tabellen geben Aufschluss über das Ergebnis.
Für Kinder wurden die BMI-Grenzen statistisch festgelegt: Demnach ist ein Kind übergewichtig, wenn sein BMI höher ist als bei 90 Prozent der Kinder aus einer Vergleichsgruppe deutscher Kinder, deren BMI zwischen 1985 und 1999 gemessen wurde. Als adipös gelten Kinder, deren BMI höher ist als bei 97 Prozent der Kinder aus dieser Vergleichsgruppe.
Seit 2008 fördert das BMBF das „Krankheitsbezogene Kompetenznetz Adipositas“. Bundesweit vernetzt erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel Ursachen und Risikofaktoren von Adipositas. Zudem entwickeln und verbessern sie die Diagnostik, Therapie und Prävention von Adipositas und Folgeerkrankungen. Das Kompetenznetz Adipositas ist zunächst auf drei Jahre angelegt und soll dann in drei weiteren Förderphasen bis zum Jahr 2020 fortgeführt und ausgebaut werden. Sprecher des Kompetenznetzes ist Prof. Dr. Hans Hauner von der Technischen Universität München. Das Kompetenznetz besteht aus acht Forschungsverbünden. Einer dieser Verbünde ist das Interdisziplinäre Konsortium zur Prävention von Adipositas im Kindes- und Jugendalter (PreVENT), das von Prof. Dr. Manfred Müller von der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel koordiniert wird.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Manfred J. Müller
Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Düsternbrooker Weg 17
24105 Kiel
Tel.: 0431 880-5670
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E-Mail: mmueller@nutrfoodsc.uni-kiel.de