April 2018

| Newsletter 89

VorteilJena – Vorbeugung durch soziale Teilhabe

Mehr als 30 Institutionen setzen in Jena ein Konzept um, das Bürgerinnen und Bürgern mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Dadurch soll die Gesundheit positiv beeinflusst und gefördert werden.

Der Einsatz von Übungsboxen in Schulklassen soll das Wir-Gefühl der Kinder stärken.

Der Einsatz von Übungsboxen in Schulklassen soll das Wir-Gefühl der Kinder stärken.

Julia Mühleck, Universitätsklinikum Jena

In allen Lebensphasen – von der Kindheit bis ins hohe Alter – müssen wir uns um unsere Gesundheit kümmern, um gesund zu bleiben. In Jena unterstützen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Bürgerinnen und Bürger hierbei mit einem neuen Ansatz der Gesundheitsförderung. Es geht darum, die gesellschaftliche Teilhabe aller Altersgruppen zu verbessern, um damit eine wichtige weitere Voraussetzung für die Gesundheit des Einzelnen zu schaffen. „Denn gesellschaftliche Teilhabe könnte ein wichtiger, bislang zu wenig beachteter Faktor für erfolgreiche Gesundheitsförderung sein“, sagt Dr. Uwe Berger. Er ist Privatdozent am Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Jena und koordiniert den Forschungsverbund VorteilJena. „Unsere ersten empirischen Daten belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialer Teilhabe und Gesundheit gibt“, so Berger.

In VorteilJena werden für die drei Lebensphasen Kindheit, Arbeitsleben und Alter in den Lebensorten Schule, Unternehmen und Seniorenheim konkrete Praxishilfen zur besseren gesellschaftlichen Teilhabe erarbeitet und wissenschaftlich evaluiert.

Das Selbstwertgefühl gezielt stärken

In VorteilJena werden zudem Angebote für Kinder und Jugendliche entwickelt, da in dieser Altersgruppe das Gefühl „dazuzugehören“ sehr wichtig ist. Das Gefühl, ausgegrenzt zu sein, kann zu mangelndem Selbstwert führen. „Wir wollen durch unsere Praxishilfen die Selbstwirksamkeit der Kinder und Jugendlichen fördern“, erläutert Berger „Denn, wenn sie wissen und erfahren, dass sie in der Lage sind, schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich zu bewältigen, stärkt das ihr Selbstwertgefühl und sie sind dann weniger gefährdet für gesundheitliche Risiken.“ Dazu wurden „Übungsboxen“ gemeinsam mit Lehrkräften entwickelt und in 120 Klassen getestet. Eine Übungsbox beinhaltet Aufgaben und Spiele, die die Zusammengehörigkeit der Kinder und Jugendlichen fördern sollen. Die Box soll den Lehrkräften helfen, den Umgang mit schwierigen und herausfordernden Themen im Klassengeschehen zu vereinfachen und das Wir-Gefühl der Klasse zu stärken. „Die Resonanz zu den Materialien an zehn Pilotschulen in Thüringen ist überaus positiv“, so Berger. Begleitet wird das Projekt von einer Plakataktion: Gemeinsam mit Jugendlichen wurden insgesamt neun unterschiedliche Poster entwickelt, die zukünftig überall in Jena auf typische Herausforderungen im Kindes- und Jugendalter aufmerksam machen. Es geht um Ängste, Essstörungen, Toleranz, Freundschaft, Sucht und Entspannung, aber auch um den Gebrauch digitaler Medien. Auf den Postern erfahren die Jugendlichen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und wo sie Hilfe bekommen können.

Soziale Teilhabe – Was ist damit gemeint?

Kurz gesagt bedeutet soziale Teilhabe, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben soll, an den Errungenschaften unseres „sozialen Gemeinwesens“ Anteil zu nehmen – angefangen von guten Lebens- und Wohnverhältnissen, Sozial- und Gesundheitsschutz, allgemein zugänglichen und gleichen Bildungschancen und der Integration in den Arbeitsmarkt bis hin zu vielfältigen Freizeit- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten.

„Die Ergebnisse unserer Pilotstudien bestätigen bereits, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialer Teilhabe, Selbstwert und körperlicher sowie psychischer Gesundheit gibt“, so Berger. Eine weitere Praxishilfe unterstützt Lehrkräfte, Eltern und Kinder bei der Bewältigung der Übergänge vom Kindergarten in die Schule, von der Grundschule in die weiterführenden Schulen und von der Schule in den Beruf. Mit der Entwicklung einer Anti-Stress-Box und einer Box zur Organisation sogenannter „Kollegialer Fallberatungen“ möchten die Jenaer Wissenschaftler zudem die Gesundheit der Lehrkräfte positiv beeinflussen.

Der Pausenwürfel hilft bei der aktiven Pausengestaltung – gerade auch von Beschäftigten mit Bildschirmarbeitsplatz.

Der Pausenwürfel hilft bei der aktiven Pausengestaltung – gerade auch von Beschäftigten mit Bildschirmarbeitsplatz.

Julia Mühleck, Universitätsklinikum Jena

Gesund im gesamten Arbeitsleben

Die Teilhabe von Auszubildenden und jungen Beschäftigten innerhalb regionaler Unternehmen und Institutionen wird durch die Etablierung eines Patenprogramms gefördert. „Dadurch soll die Gesundheit und Zufriedenheit der jungen Beschäftigten gestärkt werden. Teilhabe bedeutet für uns, sich als Teil des Betriebes zu sehen und hierbei Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren“, sagt Dr. Heike Kraußlach. Sie ist Professorin im Fachbereich Betriebswirtschaft an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und leitet bei VorteilJena den Bereich „Gesund Arbeiten“.

Mit zwei weiteren Praxishilfen sollen auch ältere Beschäftigte unterstützt werden. So wurde im Projekt „Gesund – auch wenn nicht mehr alles geht“ ein Leitfaden entwickelt, der Führungskräfte dabei unterstützt, Gespräche mit Mitarbeitenden zu führen, die aus gesundheitlichen Gründen nur bedingt arbeitsfähig sind.

In einem weiteren Projekt geht es um die Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz. Hierzu wurde der „Pausenwürfel“ entwickelt. Dieser Würfel dient der aktiven Pausengestaltung von Beschäftigten mit Bildschirmarbeitsplatz. Auf den sechs Seiten des Würfels sind Symbole für sechs verschiedene Bewegungsübungen abgebildet. Nun können sich Beschäftigte beispielsweise in der Pause treffen, zusammen den „Pausenwürfel“ werfen und gemeinsam die auf dem Würfel angezeigte Bewegungsübung durchführen. So wird die Bewegung spielerisch in den Arbeitsalltag eingebaut.

Wissenschaftsjahr 2018 – Arbeitswelten der Zukunft

Das Wissenschaftsjahr 2018 widmet sich dem Thema Arbeitswelten der Zukunft. Durch die Digitalisierung, alternative Arbeitsmodelle und die Entwicklung künstlicher Intelligenz stehen Forschung und Zivilgesellschaft vor neuen Chancen und Herausforderungen: Wie werden die Menschen in Zukunft arbeiten? Wie machen sie sich fit dafür? Und welche Rolle spielen Wissenschaft und Forschung bei der Gestaltung eben dieser neuen Arbeitswelten? Das Wissenschaftsjahr 2018 zeigt, welchen Einfluss soziale und technische Innovationen auf die Arbeitswelten von morgen haben und wie diese den Arbeitsalltag verändern.

Lebensrückblickgespräche im täglichen Einsatz

Urlaubsziel Frankreich: Imaginäre Reisen können Erinnerungen auslösen und so in der Gruppe schnell zu angeregten Gesprächen führen.

Urlaubsziel Frankreich: Imaginäre Reisen können Erinnerungen auslösen und so in der Gruppe schnell zu angeregten Gesprächen führen.

Julia Mühleck, Universitätsklinikum Jena

Auch die Gesundheit im Alter beschäftigt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von VorteilJena. Ein Beispiel: In Lebensrückblickgesprächen blicken ältere Menschen gemeinsam mit einem geschulten Gesprächspartner in drei aufeinanderfolgenden strukturierten Gesprächen auf ihr Leben und ihre Geschichte zurück. Erste Ergebnisse zeigen, dass ein solcher Lebensrückblick den Menschen hilft, belastende Erlebnisse aus der Vergangenheit zu verarbeiten und ihr Leben zu akzeptieren. In der Psychotherapie wird diese sogenannte biografische Arbeit schon seit längerem zur erfolgreichen Behandlung von Depressionen und bei beginnender Demenz im Alter eingesetzt. „Mit unserem Handbuch, das eine Anleitung zur Durchführung der Lebensrückblickgespräche enthält, ermöglichen wir nun auch Laien, die in der Altenarbeit aktiv sind, diese wertvollen Lebensrückblickinterviews in drei Sitzungen zu führen, beispielsweise in Begegnungsstätten oder anderen generationenübergreifenden Einrichtungen. Das könnte Depressionen im Alter vorbeugen“, erklärt Dr. Bernhard Strauß. Er ist Professor für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Jena und leitet bei VorteilJena den Bereich „Gesund Altern“. Denn durch das Erzählen kommt in der Gruppe ein generationsübergreifender Dialog zustande. Drei von vier befragten älteren Menschen gaben an, dass sie sich durch die Gespräche mehr Gedanken über ihr eigenes Leben machten. Über die Hälfte berichteten, sich danach selbst besser zu verstehen.

VorteilJena

VorteilJena ist eine von fünf „Gesundheits- und Dienstleistungsregionen von morgen“, die vom Bundesforschungsministerium gefördert werden. Bei allen fünf Regionen handelt es sich um herausragende regionale Netzwerke, die präventive und soziale Konzepte für mehr Lebensqualität und Gesundheit entwickeln und erproben. Das Besondere: Wissenschaft, Wirtschaft und Politik arbeiten mit den Bürgerinnen und Bürgern auf regionaler Ebene, also „vor Ort“, eng zusammen. Start von VorteilJena war im Oktober 2015. Viele Praxishilfen wurden bereits entwickelt. Inwiefern es gelungen ist, durch ihren Einsatz soziale Teilhabe zu steigern und damit einen Beitrag zur Gesundheitsförderung in der Bevölkerung zu leisten, wird die Auswertung der Wirkungsstudien zeigen.

Ansprechpartner:
PD Dr. Uwe Berger
Universitätsklinikum Jena
Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie
Stoystraße 3
07740 Jena
uwe.berger@med.uni-jena.de