Welche Medikamente sind im Alter gefährlich? - Erstmals fasst eine Liste ungeeignete Arzneimittel zusammen

Rheuma, Herzschwäche und Diabetes – im Alter kommt eine Erkrankung selten allein. Das Ergebnis: Viele ältere Menschen schlucken eine reihe unterschiedlicher Medikamente, was mitunter gefährlich sein kann. Denn einige Arzneimittel beeinflussen sich in Wirkung und Nebenwirkung gegenseitig oder sind für ältere Menschen gar nicht geeignet. Erstmals hat nun eine Forschergruppe von der Universität Witten/Herdecke alle Medikamente zusammengestellt, die für ältere Menschen problematisch sein könnten – eine wichtige Hilfestellung für Ärzte und Apotheker zum Schutz für alle älteren Patienten.

Eine rote und eine blaue Tablette morgens, zwei gelbe und eine weiße Pille abends – nicht selten sieht die Tablettendose eines älteren Patienten mit mehreren Erkrankungen so aus. Doch vertragen sich eigentlich die rote Pille gegen Bluthochdruck und die blaue gegen Harndrang miteinander? Und sind die gelben Schmerztabletten und weißen Magensäurehemmer tatsächlich für einen alten Menschen geeignet? Jetzt gibt es erstmals einen Wegweiser, mit dem sich Ärzte und Apotheker im Medikamenten-Dschungel für ältere Patienten zurechtfinden können. „Unsere Liste fasst die Arzneimittel zusammen, die für die Behandlung von älteren Menschen mit mehreren Erkrankungen nicht geeignet sind“, sagt Prof. Dr. Petra Thürmann vom Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie an der Universität Witten/Herdecke.


Aber mit einer reinen Auflistung gaben sich die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Wissenschaftler nicht zufrieden. „Wir bieten den Ärzten auch Informationen darüber, bei welchen Erkrankungen ein Medikament wenn möglich nicht verwendet werden sollte“, erklärt Professor Thürmann. Das heißt praktisch: Hat ein älterer Patient zum Beispiel eine schlechte Nierenfunktion, sollte der Arzt auf die Verschreibung bestimmter Schmerzmittel verzichten. „So können Nebenwirkungen minimiert werden.“ Sofern vorhanden, benennt die Liste deshalb auch alternative Wirkstoffe, die weniger riskant für alte Menschen sind. „In manchen Fällen ist die Verordnung eines potenziell ungeeigneten Stoffes nicht zu vermeiden, etwa weil es keine wirksamen Alternativen gibt. In solchen Fällen gibt es dann eine Empfehlung, wie die Dosis angepasst werden könnte und welche Maßnahmen sich eignen, um den Verlauf der Therapie zu kontrollieren“, weiß Professor Thürmann.

83 Arzneimittel sind für Ältere nicht geeignet
Die Aufstellung umfasst 83 Arzneimittel, die für ältere Menschen potenziell ungeeignet sind, darunter zum Beispiel eine Reihe von Schmerzmitteln. „Wir hoffen, dass unsere Auflistung dazu beiträgt, die medikamentöse Therapie von älteren Patienten effizienter und sicherer zu machen.“

Für die Bestandsaufnahme haben Professor Thürmann und die Apothekerin Stefanie Holt die wissenschaftliche Literatur auf Informationen zu gefährlichen Arzneistoffen für Ältere durchsucht. „Daraus entstand eine vorläufige Liste, die anschließend 25 Experten aus verschiedenen Fachrichtungen unabhängig voneinander bewertet und kommentiert haben. So ist in mehreren Befragungsrunden unsere Liste entstanden“, beschreibt Professor Thürmann.

In anderen Ländern, etwa in den USA, gibt es bereits vergleichbare Auflistungen von Arzneistoffen, die für ältere Patienten mit mehreren Erkrankungen nicht geeignet sind. Diese Listen konnten die Wissenschaftler allerdings nicht direkt auf Deutschland übertragen. Denn zahlreiche Arzneimittel sind zum Beispiel in Deutschland, nicht aber in den USA auf dem Markt oder umgekehrt. Auch wie und wann ein Medikament verordnet wird, variiert wegen der unterschiedlichen Leitlinien oftmals von Land zu Land.

Wissenschaftlich überprüft sind die Empfehlungen für ältere Patienten bisher in den seltensten Fällen, da sie vornehmlich auf Expertenmeinungen beruhen. Die neue Zusammenstellung zeigt jedoch, für welche Medikamente in Zukunft eine klinische Studie zur Überprüfung der Zusammenhänge notwendig ist.

Eine Krankheit kommt selten allein
Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird es in Zukunft immer mehr ältere Menschen geben. Besonders für die Zahl der über 80-Jährigen prognostiziert das Statistische Bundesamt eine deutliche Zunahme: Lebten im Jahr 2006 noch etwa vier Millionen über 80-Jährige in Deutschland, werden es im Jahr 2050 schätzungsweise zehn Millionen sein.
Mit zunehmendem Alter leiden Menschen oftmals an mehreren Erkrankungen gleichzeitig, was in der Fachsprache Multimorbidität genannt wird. Deshalb müssen ältere Patienten meist eine Reihe unterschiedlicher Arzneimittel einnehmen. Doch je mehr unterschiedliche Arzneimittel ein Patient schluckt, desto größer ist das Risiko für Arzneimittelwechselwirkungen und Nebenwirkungen. Zudem reagiert ein älterer Körper häufig anders auf ein Medikament als ein junger. Mit der Zeit verändert sich der Stoffwechsel, sodass im Alter Arzneimittel meist langsamer abgebaut werden und oftmals stärker wirken als bei jüngeren Menschen – auch dadurch steigt das Risiko für Nebenwirkungen.
Aus diesem Grund werden bestimmte Arzneistoffe für ältere Patienten als potenziell ungeeignet eingestuft. Professor Thürmann und ihre Kollegen haben nun diese Arzneistoffe zusammen gestellt, die bei älteren Menschen mehr und stärkere Nebenwirkungen hervorrufen als bei Jüngeren und für die es besser verträgliche Alternativen gibt. Ebenso wurden Wirkstoffe als potenziell ungeeignet eingestuft, wenn die Wirksamkeit bei älteren Menschen fraglich ist.

Wie ist die Liste entstanden?
Vergleichbar zu der US-amerikanischen Liste wollten Professor Thürmann und ihre Kollegen eine Liste für den deutschen Arzneimittelmarkt entwickeln, die für ältere Patienten potenziell ungeeignete Medikamente benennt, Alternativen anbietet und für die Fälle, in denen diese problematische Medikation nicht vermieden werden kann, Maßnahmen zur Therapieüberwachung aufführt.
Zunächst analysierten die Forscher die wissenschaftliche Literatur. Sie suchten nach bereits bestehenden Listen, Therapieleitlinien und Risiken im Alter. Daraus wurde eine vorläufige, auf den deutschen Arzneimittelmarkt bezogene Liste erstellt und Experten zur Bewertung gegeben. Die 25 Experten aus verschiedenen Fachrichtungen bewerteten unabhängig voneinander die Liste und stuften die Medikamente je nach ihrer Eignung für ältere Patienten ein. Außerdem schlugen die Experten unter anderem Dosisanpassungen und medikamentöse Alternativen vor oder benannten Krankheiten, bei deren Vorliegen ein erhöhtes Risiko für mögliche Nebenwirkungen besteht. Nach der ersten Befragungsrunde wurden die Antworten ausgewertet und diejenigen Stoffe in einer zweiten Runde erneut bewertet, bei denen sich die Experten nicht eindeutig festgelegt hatten.
Das Ergebnis: 83 Arzneistoffe wurden als potenziell ungeeignet bewertet und 26 Arzneistoffe als geeignet bzw. mit einem vergleichbaren Risiko für ältere und jüngere Patienten beurteilt. Für 46 Arzneistoffe konnte auch nach der zweiten Befragungsrunde keine abschließende eindeutige Beurteilung durch die Experten erfolgen.

Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Petra Thürmann
Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie
der Universität Witten/Herdecke
Philipp Klee-Institut für Klinische Pharmakologie
Helios Klinikum Wuppertal
Heusnerstr. 40
42283 Wuppertal
Tel.: 0202 896-1851
Fax: 0202 896-1852
E-Mail: petra.thuermann@helios-kliniken.de