Kleiner Aufwand, gesunde Wirkung: Schon leichte körperliche Aktivität wirkt sich positiv auf das Gehirn aus und kann Erkrankungen möglicherweise entgegenwirken. Das belegen Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).
Bewegung hält Körper und Geist gesund – doch wie und wo genau sich körperliche Aktivität in unserem Gehirn auswirkt, darüber ist bislang kaum etwas bekannt. Befunde der „Rheinland Studie“ des DZNE haben aber gezeigt, dass bestimmte Bereiche des Gehirns bei körperlich aktiven Personen größer sind als bei Personen, die weniger aktiv sind. Insbesondere Hirnregionen, die relativ viel Sauerstoff benötigen, profitieren von diesem Effekt.
„In bisherigen Forschungsansätzen wurde das Gehirn meist als Ganzes betrachtet“, sagt Fabienne Fox, Neurowissenschaftlerin und Erstautorin der aktuellen Studie. „Wir wollten einen detaillierteren Blick auf das Gehirn werfen und herausfinden, auf welche Hirnregionen körperliche Aktivität die größten Auswirkungen hat.“ Fox ist Doktorandin in der von Dr. Ahmad Aziz geleiteten Forschungsgruppe „Populationsbezogene & Klinische Neuroepidemiologie“ am DZNE.
Der Welt-Alzheimer-Tag wird jedes Jahr am 21. September begangen. In diesem Jahr lautet das Motto des Tages: „Demenz – verbunden bleiben“. Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sollen erleben, dass sie trotz der Erkrankung akzeptiert werden und dazugehören. Allein in Deutschland sind rund 1,8 Millionen Menschen von unterschiedlichen Formen der Demenz betroffen, die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Demenz-Erkrankung.
Umfangreiche Daten aus der Rheinland Studie
Für seine Forschungsarbeiten nutzte das Team Untersuchungsergebnisse aus der Rheinland Studie, einer großangelegten, bevölkerungsbasierten Studie des DZNE im Bonner Stadtgebiet. Konkret analysierten die Forschenden Daten zur körperlichen Aktivität von 2.550 Probandinnen und Probanden im Alter zwischen 30 und 94 Jahren sowie Aufnahmen des Gehirns, die mittels Magnetresonanztomografie (MRT) erstellt wurden. Für eine Stichprobe der körperlichen Aktivität trugen die Studienteilnehmenden für sieben Tage einen Beschleunigungssensor am Oberschenkel. Die MRT-Aufnahmen lieferten Informationen insbesondere zum Gehirnvolumen und der Dicke des Kortex (Hirnrinde).
Rheinland Studie
Die vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) durchgeführte „Rheinland Studie“ erforscht die Faktoren für gesundes Altern. Ein Ziel ist es, Risikofaktoren für Erkrankungen des Gehirns und des Nervensystems zu finden, die für die Prävention relevant sein könnten. Dazu soll die Gesundheit von bis zu 20.000 Menschen ab einem Alter von 30 Jahren über mehrere Jahrzehnte beobachtet werden. In drei- bis vierjährigen Abständen werden beispielsweise Lebensführung, körperliche Betätigung und Ernährung untersucht, aber auch Erbanlagen als mögliche Ursache neurodegenerativer und neuropsychiatrischer Erkrankungen. Zudem werden verschiedene Biomarkerprofile erhoben, also biologische Merkmale wie etwa Botenstoffe oder Eiweiße, die man im Blut oder im Urin messen kann.
Je aktiver, umso größer die Effekte
„Körperliche Aktivität machte sich in nahezu allen untersuchten Hirnregionen deutlich bemerkbar. Prinzipiell kann man sagen: Je höher und intensiver die körperliche Aktivität, umso größer waren die Hirnregionen, entweder in Bezug auf das Volumen oder auf die Dicke des Kortex“, fasst Fabienne Fox die Forschungsergebnisse zusammen. „Das haben wir unter anderem beim Hippocampus beobachtet, der als Schaltzentrale des Gedächtnisses gilt. Größere Hirnvolumina bieten einen besseren Schutz vor Neurodegeneration als kleinere.“ Allerdings nehmen die Ausmaße der Hirnregionen nicht linear mit der körperlichen Aktivität zu: Eine geradezu sprunghafte Volumenzunahme machte das Forschungsteam beim Vergleich zwischen nicht aktiven und nur leicht körperlich aktiven Studienteilnehmenden aus – das zeigte sich vor allem bei älteren Menschen über 70 Jahren.
„Das ist grundsätzlich eine sehr gute Nachricht – insbesondere für Bewegungsmuffel“, sagt Forschungsgruppenleiter Aziz. „Schon kleine Verhaltensänderungen, wie etwa 15 Minuten am Tag Spazierengehen oder die Treppe statt des Aufzugs zu nehmen, können eine erhebliche positive Wirkung auf das Gehirn haben und möglicherweise auch einem altersbedingten Verlust an Hirnsubstanz sowie der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen entgegenwirken.“ Vor allem ältere Erwachsene, so die Beobachtung, können bereits von einer leichten Zunahme der körperlichen Aktivität bei geringer Intensität profitieren.
Hirnregionen, die am meisten profitieren
In den Hirnregionen, die von körperlicher Aktivität am meisten profitierten, hat das Forschungsteam zudem besonders aktive Gene gefunden – Gene, die für die Funktion der Mitochondrien essenziell sind, die Kraftwerke unserer Zellen. Das heißt: In diesen Hirnregionen kommen besonders viele Mitochondrien vor. Sie stellen unserem Körper Energie zur Verfügung und benötigen dafür viel Sauerstoff. „Im Vergleich zu anderen Hirnregionen wird daher ein erhöhter Blutfluss benötigt. Der wird besonders gut bei körperlicher Aktivität gewährleistet, was erklären könnte, warum diese Hirnregionen von Bewegung profitieren“, sagt Ahmad Aziz.
Bewegung schützt
Weitergehende Analysen zeigten auch, dass es eine große Schnittmenge gibt zwischen Genen, deren Expression durch körperliche Aktivität beeinflusst wird und solchen, die durch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder die Huntington-Krankheit beeinträchtigt werden. Das könnte eine mögliche Erklärung dafür sein, warum körperliche Aktivität helfen kann, Nervenzellen vor Schäden zu schützen, folgert das Forschungsteam.
„Mit unserer Studie konnten wir Hirnregionen, die von körperlicher Aktivität profitieren, in einem noch nie dagewesenen Detailgrad charakterisieren“, sagt Ahmad Aziz. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse wichtige Ansatzpunkte für die weitere Forschung liefern.“ Und auch solche für die tägliche Anwendung: „Wir möchten mit unseren Ergebnissen einen weiteren Anstoß geben, körperlich aktiver zu werden – um die Gesundheit des Gehirns zu fördern und Erkrankungen des Nervensystems vorzubeugen“, sagt Fabienne Fox. „Selbst bescheidene körperliche Aktivität kann helfen. Es ist also nur ein kleiner Aufwand, mit dem sich eine große Wirkung erzielen lässt.“
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Das DZNE ist ein von Bund und Ländern gefördertes Forschungsinstitut, das bundesweit zehn Standorte umfasst. Es widmet sich Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Bis heute gibt es keine Heilung für diese Erkrankungen, die eine enorme Belastung für unzählige Betroffene, ihre Familien und das Gesundheitssystem bedeuten. Ziel des DZNE ist es, neuartige Strategien der Vorsorge, Diagnose, Versorgung und Behandlung zu entwickeln und in die Praxis zu überführen. Dafür kooperiert das DZNE mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen im In- und Ausland. Das Institut ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und zählt zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung.