Wenn das Krankenhaus krank macht - Studie zur Verringerung von Krankenhausinfektionen in Jena gestartet

Spätestens seit dem Tod von drei Babys auf der Frühgeborenen-Intensivstation in Bremen im November vergangenen Jahres ist die Diskussion um Krankenhausinfektionen und -hygiene erneut entfacht. In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 400.000 bis 600.000 Patientinnen und Patienten an einer Infektion, die sie im Krankenhaus erworben haben. Bis zu 15.000 Menschen sterben daran. Experten schätzen, dass etwa ein Drittel dieser zum Teil tödlichen Infektionen verhindert werden könnte. (Newsletter 55 / Januar 2012)

Eine großangelegte Studie des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums für Sepsis und Sepsisfolgen am Universitätsklinikum Jena soll nun zeigen wie. Die einfachste Maßnahme zur Vorbeugung von Infektionen im Krankenhaus: die Desinfektion der Hände.Beatmungsschläuche, Blasen- und Venenkatheter oder nicht desinfizierte Hände – dies sind die vier häufigsten Risikofaktoren für Krankenhausinfektionen. Fast jeder zehnte Patient, der in einem Krankenhaus länger als 48 Stunden behandelt wird und deshalb einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt ist, erkrankt an einer Krankenhausinfektion, auch nosokomiale Infektion genannt. Am häufigsten sind Harnwegsinfektionen, Lungenentzündungen, Blutstrominfektionen nach Legen eines Gefäßkatheters und Wundinfektionen nach Operationen. Meistens sind die Erreger dieser Infektionen körpereigene Mikroorganismen der Patienten, die eigentlich Haut und Schleimhäute besiedeln, also vom Patienten „mitgebracht“ werden. Unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel während einer Operation, können sie in sterile Körperbereiche gelangen und eine Infektion auslösen. Seltener sind körperfremde Erreger die Ursache nosokomialer Infektionen. Sie stammen entweder aus der direkten Umgebung des Patienten bzw. von anderen Personen, also etwa von Mitpatienten oder dem Krankenhauspersonal. „Das Problem der nosokomialen Infektionen existiert zweifellos seit Patienten in Krankenhäusern behandelt werden“, sagt Dr. Stefan Hagel vom Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums am Universitätsklinikum Jena. „Aber heutzutage könnten vermutlich ein Drittel vermieden werden.“ Das heißt in Deutschland könnten wahrscheinlich bis zu 4.500 Todesfälle durch Krankenhausinfektionen verhindert werden. Effektive Strategien entwickeln, um lebensgefährliche Infektionen im Krankenhaus zu vermeiden – das ist das Ziel einer großen Studie, der ALERTS-Studie, die kürzlich in Jena begonnen hat, und die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums für Sepsis und Sepsisfolgen mit rund 1,8 Millionen Euro gefördert wird.

Saubere Hände – die Nummer 1, um Infektionen zu vermeiden

Das ALERTS-Team um Prof. Dr. Frank Brunkhorst (l.) und Dr. Stefan Hagel (r.) wird gemeinsam mit den Pflegekräften auf den Stationen insgesamt etwa 75.000 Patienten des Universitätsklinikums Jena in der Präventionsstudie für Krankenhausinfektionen erfassen. In der ALERTS-Studie werden zunächst ein Jahr lang alle Krankenhausinfektionen und patientenbezogene Risikofaktoren im Uniklinikum Jena systematisch erfasst. „Sobald ein Patient während der stationären Behandlung ein Antibiotikum bekommt, bzw. die Art eines verschriebenen Antibiotikums geändert wird, nehmen wir ihn in unsere Untersuchung auf“, erklärt der Studienleiter Dr. Hagel. In einem zweiten Studienabschnitt werden dann die gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt, indem maßgeschneiderte – an Patienten und Stationen angepasste – „Bündel“ an Maßnahmen zur Infektionsprävention eingeführt werden. „Danach erfassen wir wieder über einen Zeitraum von zwei Jahren alle Krankenhausinfektionen und können so erkennen, wie wirksam die Maßnahmen tatsächlich waren“, erklärt Prof. Dr. Frank M. Brunkhorst, Koordinator der Studie. Zu den Präventionsmaßnahmen gehören unter anderem die Optimierung von Arbeitsabläufen mit Hilfe von Checklisten, spezielle Schulungen für Ärzte und Pflegende, der Verzicht auf Katheter, wann immer es möglich ist, und natürlich die einfachste und unumstritten wichtigste Maßnahme zur Infektionsvermeidung: die Händedesinfektion. „Wir hoffen, mit unseren alltagstauglichen Maßnahmen die Rate der nosokomialen Infektionen um mindestens 20 Prozent zu reduzieren.“ Gerade der letzte Punkt zum Thema Händedesinfektion klingt fast banal. Doch Studien haben gezeigt, dass in 60 Prozent der Fälle, in denen eine Desinfektion der Hände erforderlich wäre, die Hände nicht desinfiziert werden. „Hohe Arbeitsbelastung, mangelnde Schulung und fehlende Einsicht, dass eine Desinfektion der Hände notwendig ist, sind Gründe hierfür“, so Professor Brunkhorst.

Kosten: 30 Milliarden Dollar

Insgesamt werden in den kommenden vier Jahren rund 75.000 Patientinnen und Patienten im Universitätsklinikum Jena systematisch auf Krankenhausinfektionen untersucht. Damit ist die ALERTS-Studie weltweit einzigartig, denn in bisherigen Studien wurden nur jeweils einzelne Maßnahmen, ausgewählte Patientengruppen oder einzelne Bereiche im Krankenhaus, also zum Beispiel die Intensivstation, untersucht. Die Daten der Jenaer Studie sollen auch dazu genutzt werden, um zuverlässige Zahlen zu den Kosten zu erhalten, die durch Krankenhausinfektionen verursacht werden. Vorsichtige Schätzungen aus den USA beziffern die dort durch nosokomiale Infektionen entstehenden Mehrkosten auf jährlich bis zu 30 Milliarden US-Dollar.


CSCC: Im Kampf gegen die Sepsis

Die Sepsis, umgangssprachlich oft als Blutvergiftung bezeichnet, ist die übersteigerte Antwort des Körpers auf eine lokale Infektion. Wenn es dem Körper nicht gelingt, diese Infektion auf den Ursprungsort zu begrenzen, lösen die Gifte der Krankheitserreger eine Entzündung in allen Organen des Körpers aus. Innerhalb weniger Stunden weisen dann alle lebenswichtigen Organe Entzündungszeichen auf und drohen zu versagen. Die Hälfte der Patienten, die eine Sepsis entwickeln, sind bereits wegen anderer Erkrankungen in ärztlicher Behandlung. Mit 220 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr ist die Sepsis in Deutschland vergleichbar häufig wie der Herzinfarkt. Etwa die Hälfte der Betroffenen stirbt an ihren Folgen. Die meisten Patienten, die überleben, leiden ein Leben lang unter den Langzeitfolgen einer Sepsis. Das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum für Sepsis und Sepsisfolgen (Center for Sepsis Control and Care, kurz CSCC) am Universitätsklinikum Jena schafft neue Strukturen und Karriereperspektiven in der Hochschulmedizin und eröffnet dabei neue Ansätze im gesamten Behandlungspfad von Sepsispatienten: von der Risikoabschätzung, über die korrekte Diagnose des Erregers, bis hin zu rehabilitativen Maßnahmen, um die Langzeitfolgen einer Sepsis erträglich zu machen.

Seit dem Jahr 2008 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) insgesamt acht Integrierte Forschungs- und Behandlungszentren (IFB) in Deutschland mit jeweils maximal fünf Millionen Euro pro Jahr. Jedes der für fünf Jahre geförderten Zentren hat dabei einen anderen thematischen Schwerpunkt.



Ansprechpartner:
Prof. Dr. Frank M. Brunkhorst
Paul-Martini-FG für Klinische Sepsisforschung
Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie
Universitätsklinikum Jena
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Erlanger Allee 101
07737 Jena
Tel.: 03641 932-3383
Fax: 03641 932-3102
E-Mail: frank.brunkhorst@med.uni-jena.de