Februar 2017

| Newsletter 82

Wenn die elterliche Prägung fehlschlägt

Imprinting-Erkrankungen sind bestimmte seltene Erkrankungen. Bislang sind sie nicht ursächlich behandelbar. Deshalb wollen Forschende im Erbgut der Betroffenen die Mechanismen der Krankheiten entschlüsseln, um neue Therapien entwickeln zu können.

Im Moment der Befruchtung geben sowohl der Vater als auch die Mutter ihr Erbgut an ihr Kind weiter. Die Körperzellen des Kindes besitzen daher zwei Kopien des Erbgutes. Das birgt einen großen Vorteil: Es existiert von Anfang an eine Sicherheitskopie, die das Kind in vielen Fällen vor den Folgen einer genetischen Veränderung schützen kann.

Beide Elternteile geben eine Kopie ihres Erbgutes an ihre Kinder weiter.

Beide Elternteile geben eine Kopie ihres Erbgutes an ihre Kinder weiter.

monkeybusinessimages_Thinkstock

Bei bislang rund 100 bekannten Genen des menschlichen Körpers wird allerdings eine der beiden Genkopien bereits in der Eizelle oder im Spermium „stumm geschaltet“. Dieser Vorgang wird als elterliche Prägung oder Imprinting bezeichnet und beruht auf einer chemischen Veränderung der DNA, der sogenannten DNA-Methylierung. Die DNA-Methylierung ist ein natürlicher Vorgang. Sie dient beispielsweise dazu, die Genaktivität in der Zelle zu regulieren. Anders als bei Mutationen wird die Basenfolge der Erbsubstanz, d. h. der DNA-Strang des betreffenden Gens an sich, durch die Methylierungen nicht verändert.

Wenn beide Genkopien intakt sind, fällt die elterliche Prägung in der Regel nicht auf. Enthält das aktive Gen allerdings einen Fehler, so kann das schwerwiegende Folgen haben. Denn ausgerechnet die elterlich geprägten Gene tragen meist Informationen für wichtige Stoffwechsel- und Wachstumsprozesse. Während der Prägung können aber auch Fehler in unterschiedlichen Mechanismen dazu führen, dass beide Genkopien „stumm geschaltet“ werden und der Zelle keine aktive Kopie mehr zur Verfügung steht. Dies sind Imprinting-Fehler.

Das Prader-Willi-Syndrom (PWS) gehört zu den bekanntesten der sogenannten Imprinting-Erkrankungen. Dabei ist ein väterlicher Chromosomenabschnitt auf Chromosom 15 fehlerhaft. Es beeinträchtigt die körperliche und geistige Entwicklung des Neugeborenen. Säuglinge mit PWS haben häufig eine schlaffe Muskulatur und trinken nur schlecht. Im Kleinkindalter entwickeln viele ein übermäßiges Hungergefühl, oft erlernen sie motorische Fähigkeiten wie Sitzen, Krabbeln und Laufen verzögert und weisen eine Lernbehinderung auf. Ist dagegen an derselben Stelle der mütterliche Chromosomenabschnitt defekt, entwickeln betroffene Kinder ein Angelman-Syndrom. Betroffene Kinder sind körperlich oft überaktiv, können wenige Worte sprechen und leiden im Kindesalter oft unter Epilepsie. Sie sind jedoch auch oft sehr sozial und lächeln viel.

Forschende suchen nach den Ursachen im Erbgut der Patientinnen und Patienten

Professor Dr. Bernhard Horsthemke koordiniert das Netzwerk Imprinting-Erkrankungen.

Professor Dr. Bernhard Horsthemke koordiniert das Netzwerk Imprinting-Erkrankungen.

Universitätsklinikum Essen

Imprinting-Erkrankungen sind seltene Erkrankungen. Heilbar im Sinne einer Behebung der Krankheitsursache sind sie nicht. „Zunächst müssen wir die grundlegenden Mechanismen besser verstehen, die zu einer fehlerhaften Prägung führen“, erläutert Prof. Bernhard Horsthemke, Koordinator des Netzwerks Imprinting-Erkrankungen. „Erst dann können wir Therapien entwickeln, die diese Prägung aufheben.“ An dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbund beteiligen sich die Universitäten Kiel, Lübeck, Aachen, Essen, Mainz, Stuttgart und Ulm.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen im Erbgut der Erkrankten nach Veränderungen und Auffälligkeiten, die Imprinting-Fehler verursachen könnten. „Viele der fehlerhaften Prägungen scheinen wirklich eine Laune der Natur zu sein. Sie geschehen einfach“, verdeutlicht Horsthemke. „Aber auch kleine Veränderungen in der DNA-Sequenz, sogenannte Mutationen, können die Ursache sein.“ Denn Mutationen können die Funktion des Genbereiches beeinflussen, in dem sie auftreten. Je nachdem, wo sie auftreten, können sie sogar dazu führen, dass ein Gen ganz ausfällt. Eine Mutation in einem Gen, das für den Prägemechanismus wichtig ist, kann daher dazu führen, dass die Prägung an mehreren Stellen fehlerhaft abläuft. Einige dieser wichtigen Mutationen konnten die Forschenden bereits entschlüsseln.

Vor Kurzem entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsverbundes eine weitere Form der Imprinting-Erkrankungen. Sie verglichen das Erbgut von 37 Betroffenen. Dabei stellte sich heraus, dass 21 von ihnen nicht nur in einem, sondern gleich in mehreren DNA-Bereichen Veränderungen der Methylierung aufwiesen. „Wir sprechen hier von einem multiplen Imprinting-Fehler“, so Horsthemke. Dieser sei möglicherweise darauf zurückzuführen, dass ein Gen mutiert ist, dem eine zentrale Rolle während des Imprinting-Vorgangs innewohnt. Aufgrund der Mutation kann dieses seine Funktion nicht mehr fehlerfrei ausüben, sodass als Folge gleich an mehreren Stellen die beobachteten Fehler im Methylierungsmuster entstehen.

Damit es in Zukunft vielleicht möglich wird, Imprinting-Erkrankungen heilen zu können, sind diese Erkenntnisse wichtig. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsverbundes planen bereits den nächsten Schritt in diese Richtung: Zukünftig werden sie versuchen, Fehlprägungen gezielt aufzuheben, indem sie die Methylierungen rückgängig machen. Diese Versuche finden allerdings zunächst im Labor und an isolierten Zellen statt. „Aber bereits heute können die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung genutzt werden“, ergänzt Horsthemke. „Neuartige Tests, die auf diesen Erkenntnissen aufbauen, ermöglichen eine frühere Diagnose der Erkrankungen – und geben damit den Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, schneller einzugreifen. Darüber hinaus können wir die betroffenen Eltern bei ihrer zukünftigen Familienplanung besser beraten.“

Ansprechpartner:
Prof. Bernhard Horsthemke
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Essen
Universität Duisburg-Essen
Hufelandstraße 55
45122 Essen
0201 723-4556
bernhard.horsthemke@uni-due.de