Wenn plötzlich das Gehör zurückkehrt

Das Cochlea-Implantat – eine Art künstliches Innenohr – ist für viele Patienten mit schweren Hörstörungen die letzte Hoffnung. Durch die moderne Technik können sie endlich wieder akustische Reize wahrnehmen. Aber ist das nach Jahrzehnten eines Lebens in der Stille überhaupt sinnvoll? "Meistens ja", sagen zwei Forscherinnen aus Halle. Sie haben festgestellt, dass die Behandlungserfolge weit über das verbesserte Hörvermögen hinausgehen.

Wie ist es, plötzlich wieder hören zu können? Zum ersten Mal nach 10 oder 15 Jahren. Kann man mit den vielen Lauten und Geräuschen etwas anfangen – oder stören sie? Wird das Leben besser? Judith Rodeck und Manuela Mendler von der Universität Halle-Wittenberg haben knapp 100 Jugendliche und Erwachsene, die in dieser Situation waren, per Fragebogen beziehungsweise per Interview befragt. Die Studienteilnehmer waren in früher Kindheit oder als Erwachsene aufgrund eines schweren Innenohrschadens ertaubt, hatten aber Jahre später durch eine Innenohrprothese das Hörvermögen zumindest teilweise zurückerlangt. "Die Implantation einer Innenohrprothese lohnt sich", fasst Mendler die Ergebnisse der Studie zusammen. "Bei fast allen Studienteilnehmern hat sich dadurch die Lebensqualität erheblich verbessert. Voraussetzungen sind eine entsprechende Motivation und lautsprachliche Förderung in der Kindheit." Das Projekt, das von Frau Professor Christa Schlenker-Schulte geleitet wird, ist Teil des Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die deutsche Rentenversicherung unterstützen die Forschungsarbeiten finanziell.

Feine Elektroden ziehen ins Innenohr
Eine Innenohrprothese, in der Fachwelt Cochlea-Implantat genannt, kommt bei Menschen zum Einsatz, deren Hörzellen im Innenohr nicht mehr funktionieren. Das Prinzip: Ein Mikrofon fängt Geräusche auf, die ein Sprachwandler dann in elektrische Signale umsetzt. Diese Signale werden auf das Implantat übertragen, das hinter dem Ohr unter der Haut am Schädelknochen fixiert ist. Von hier laufen feine Elektroden ins Innenohr. Sie stimulieren dort direkt den Hörnerv. Die zerstörten Hörzellen werden umgangen. Dass ein Cochlea-Implantat das Hörvermögen verbessert, ist unstrittig. Darüber, wie es die Lebensqualität der Patienten verändert, herrschte bisher aber Unklarheit. "Hören allein reicht ja nicht", so Mendler. "Die akustischen Informationen müssen den Patienten auch Vorteile bringen." Das ist nicht selbstverständlich. Denn wie soll ein Jugendlicher, der ertaubte, bevor er sprechen lernte, auf einmal gehörte Sprache umsetzen? Und wer sich mit einem Leben ohne Hörreize arrangiert hatte, kann den permanenten Lärmpegel in unserer Umwelt auch als lästig empfinden.

Das Selbstwertgefühl steigt
Mendler und Rodeck räumen jetzt aber viele Bedenken aus: Alle Studienteilnehmer – selbst solche, die das Gehör verloren, bevor sie sprechen konnten – gaben an, durch ein Cochlea-Implantat besser kommunizieren zu können. Viele Betroffene, die erst als Erwachsene ertaubten, verstehen ihre Gesprächspartner jetzt auch dann, wenn sie keinen Blickkontakt haben und daher nicht aus Mundbewegungen und Mimik auf das Gesagte schließen können. Studienteilnehmer, die seit ihrer frühen Kindheit taub sind, müssen ihrem Gegenüber allerdings trotz Cochlea-Implantat auf den Mund schauen, um das Gesagte zu verstehen. Die positiven Effekte der Innenohrprothese beschränken sich nicht auf das Verstehen: Ein großer Teil der Befragten kann jetzt auch deutlicher sprechen. "Den Befragten fällt es durch ein Cochlea-Implantat leichter, soziale Kontakte zu knüpfen. Die meisten werden ausgeglichener, das Selbstwertgefühl steigt, und viele gewinnen eine positivere Einstellung zum Leben", ergänzt Rodeck. Die beiden Wissenschaftlerinnen betonen allerdings, dass es mit der Innenohrprothese alleine nicht getan ist. "Der Einsatz eines Cochlea-Implantats sollte unbedingt eine intensive Rehabilitation nach sich ziehen. Denn die Patienten müssen das Hören erst wieder lernen. Die Cochlea-Implantat-Träger müssen in die Lage versetzt werden, akustische Informationen richtig zu verarbeiten." Wie die Studienergebnisse zeigen, schätzen die Befragten dabei eine stationäre Rehabilitation als effektiver ein als die rein ambulante Nachbetreuung.

Ansprechpartnerinnen:
Judith Rodeck und Manuela Mendler
Forschungsstelle zur Rehabilitation
von Menschen mit kommunikativer Behinderung
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Selkestraße 9, Haus F
06122 Halle (Saale)
Tel.: 0345 / 55-2 29 80
Fax: 0345 / 55-2 72 71
E-Mail: rodeck@fst.uni-halle.de
Internet: http://www.fst.uni-halle.de/

Ein Cochlea-Implantat ermöglicht Menschen mit schwerem Innenohrschaden wieder zu hören. Die Abbildung verdeutlicht seine Funktionsweise:

1. Ein Mikrofon hinter dem Ohr fängt Schallwellen auf und leitet sie an einen Sprachwandler weiter.
2. Der Sprachwandler setzt die akustischen Informationen in elektrische Impulse um und überträgt sie über eine Sendespule an einen Empfänger, der hinter dem Ohr auf dem Schädelknochen fixiert ist. Dieser Empfänger ist das eigentliche Implantat.
3. Vom Empfänger gelangen die Signale über eine Elektrode in die Gehörschnecke und
stimulieren dort den Hörnerv.