März 2023

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Wichtig für die Wissenschaft: Die Erfahrung von Betroffenen

Schon kleine Fortschritte können viel bewirken: Für Menschen mit einer Seltenen Erkrankung ist die Vernetzung von Forschung und Versorgung besonders wichtig. Benjamin Köhler, selbst von CTLA4-Defizienz betroffen, berichtet über seine Erfahrungen.

Ein Mann schaut im Vordergrund in die Kamera, dahinter stehen mehrere Erwachsene und Kinder

Trotz Erkrankung: Benjamin Köhler schaut positiv aufs Leben.

privat

Ihre CTLA4-Defizienz, ein vererbbarer Gendefekt, blieb lange unerkannt. Wie hat sich diese sehr seltene Erkrankung auf Ihr Leben ausgewirkt?

Schon als Kind war ich oft krank, ohne dass mir jemand helfen konnte. Ich bekam Diabetes und mir musste die Milz entfernt werden, ich hatte immer wieder Infektionen und musste zweimal ins künstliche Koma versetzt werden. Trotzdem habe ich Sportwissenschaften studiert und auch selbst intensiv Sport betrieben. Natürlich habe ich einen großen Teil meiner Energie und Kraft für die Bewältigung der Krankheit aufbringen müssen, hatte dabei aber auch immer ganz große Unterstützung von meiner Familie und meinen Freunden.

Sie wurden an das Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) in Freiburg überwiesen – wie hat man dort die Ursache für Ihre Erkrankung gefunden?

Ich hatte einen ausgezeichneten Lungenfacharzt, der trotz all seiner Erfahrung letztlich keine Ursache für meine Erkrankungen finden konnte und deshalb weitere Spezialisten hinzuziehen wollte. In Freiburg wurde ich Ende 2016 zum ersten Mal vorstellig. Zunächst ging es um eine gründliche Anamnese, die Dokumentation meiner Krankheitsgeschichte.

In der Spezialambulanz wurde eine Genanalyse vorgenommen, und ich erhielt endlich – mit fast 40 Jahren – eine Diagnose. Bei mir wurde eine CTLA4-Defizienz entdeckt, ein seltener Gendefekt, für den zum damaligen Zeitpunkt international etwa 150 Fälle bekannt waren. Fast alle der bekannten Symptome einer CTLA4-Defizienz trafen auf mich zu. Relativ schnell habe ich dann ein Medikament aus der Rheumatherapie bekommen, dessen Wirksamkeit aktuell in einer klinischen Studie des GAIN-Verbundes überprüft wird.

War die Therapie erfolgreich?

Leider musste die Gabe dieses Medikaments schon nach kurzer Zeit wieder abgebrochen werden, nachdem bei mir ein bösartiger Tumor im Halsbereich diagnostiziert worden war. Eine Chemotherapie blieb erfolglos, ich brauchte eine Stammzelltransplantation. Dadurch wurde mein eigenes Immunsystem quasi ausgeschaltet und durch die gespendeten Stammzellen ersetzt. Dieser „Reset“ hat bewirkt, dass mein Immunsystem keine defekten Gene mehr aufweist. Gut drei Jahre nach der Transplantation ist mein Immunsystem jetzt das eines gesunden Mittzwanzigers.

Zum Zeitpunkt der Diagnose hatten Sie bereits Familie – medizinische Hilfe ist damit nicht nur für Sie persönlich wichtig. Werden auch Ihre Kinder am CCI behandelt?

Als ich die Diagnose erhielt, hatten wir bereits zwei Kinder und meine Frau war schwanger mit Zwillingen. Drei meiner Kinder tragen ebenfalls den Gendefekt, aber die frühe Diagnose erspart ihnen eine lange Odyssee. Auch bei den Kindern macht sich die Krankheit bemerkbar, aber die Ärzte können jetzt schnell reagieren, und ihre Symptome werden weniger, weil die medikamentöse Behandlung anschlägt. Darüber hinaus wurden sie in ein vom GAIN-Verbund aufgebautes Patientenregister aufgenommen. Dadurch können sie an einer im Januar 2023 gestarteten Studie teilnehmen, in der es darum geht, das Krankheitsmanagement und die Lebensqualität von Menschen mit Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen zu verbessern.

Bei sehr seltenen Erkrankungen werden Betroffene zu wichtigen Partnern der Wissenschaft, denn Forschende und Behandelnde müssen regelrechte Detektivarbeit leisten – haben Sie sich und Ihre Erfahrungen einbringen können?

Für mich persönlich ist es wichtig, möglichst viel über meine Erkrankung zu wissen, um aktiv damit umgehen zu können. Ich bin jemand, der Fragen stellt, ich will ein mündiger Patient sein. In Freiburg bin ich damit auf offene Ohren gestoßen. Professor Grimbacher hat mich nach der Transplantation sogar in der Reha besucht, um aus erster Hand zu erfahren, wie es mir geht. Neu war für mich, dass ich als Patientenvertreter auch an Gutachtersitzungen zur möglichen Anschlussfinanzierung des GAIN-Verbundes teilnehmen durfte.

Über Krankheiten sprechen die meisten Menschen allenfalls im privaten Bereich – was motiviert Sie, an die Öffentlichkeit zu gehen?

Viele Patientinnen und Patienten wissen gar nicht so genau, was auf sie zukommt – und dabei geht es nicht nur um das Medizinische. Braucht nicht jeder mit einer solchen Erkrankung Hilfe, um die veränderte Lebenssituation bewältigen zu können? Mir ist es wichtig, informiert zu sein, um mitreden zu können, wenn es um meinen eigenen Körper und mein Leben geht. Genauso wichtig ist für mich die Frage, was ich selbst tun kann, wie es mir gelingen kann, trotz aller Belastung auch die schönen Dinge zu sehen – das kann für den Heilungsverlauf entscheidend sein. Ich möchte eben nicht nur darauf schauen, was mich krank macht, sondern auch darauf, dass ich trotzdem wieder eine Treppe hochkomme, mit meiner Familie aufs Trampolin oder zum Eisessen gehen kann. Diesen Blickwinkel möchte ich weitergeben: Dass man selbst in schweren Zeiten aus allem das Beste machen kann.

Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI)

Das Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) des Universitätsklinikums Freiburg widmet sich der Diagnose und Behandlung von Immundefekten sowie der Erforschung des Immunsystems. Hier arbeiten Expertinnen und Experten aus den Bereichen Immunologie, Infektionsimmunologie, Immunbiologie, Rheumatologie, Hämatologie, Zell- und Gentherapie unter einem Dach. In zwei spezialisierten Ambulanzen werden Patientinnen und Patienten aller Altersstufen behandelt, die an angeborenen oder erworbenen Immundefekten, häufigen oder ungewöhnlichen Infektionen, unklaren Entzündungen, Autoimmunerkrankungen oder den Folgen einer HIV-Infektion leiden.
Centrum für Chronische Immundefizienz