Wie kommunizieren Nervenzellen miteinander? Was unterscheidet dabei junge Gehirne von erwachsenen? Medizinerinnen und Mediziner erforschen die zellulären Grundlagen des Lernens, um die Therapien für Menschen nach einem Schlaganfall zu verbessern.
Eine Durchblutungsstörung im Gehirn, ein Schlaganfall, verursacht den Tod von Nervenzellen, den Neuronen. Es kommt zu einem Funktionsverlust. Je nach betroffener Hirnregion sind Lähmungen, Sprachstörungen oder andere Ausfälle die Folge. Doch nach einem Schlag ist das Gehirn zu einer erstaunlichen Leistung fähig: Es kompensiert den erlittenen Funktionsverlust, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Dabei lernt unversehrtes Hirngewebe, die Aufgaben der zerstörten Neuronen zu übernehmen. Diese Eigenschaft nennen Fachleute neuronale Plastizität – sie ist die Grundlage aller Lernprozesse.
Aus Erfahrung wissen wir, dass junge Gehirne schneller lernen als alte. Nach einem schwerwiegenden Ereignis wie einem Schlaganfall reaktiviert das Gehirn jugendliche Plastizitätsmechanismen. Es „verjüngt“ sich sozusagen, um Funktionsverluste durch eine gesteigerte Lernfähigkeit besser ausgleichen zu können. Das Zeitfenster ist jedoch begrenzt. Um in dieser therapeutisch wertvollen Phase nach einem Schlaganfall den Lernerfolg des Gehirns durch rehabilitative Therapien optimal fördern zu können, untersuchen Forscherinnen und Forscher die Grundlagen der neuronalen Plastizität. Ihre Erkenntnisse helfen, Therapiemodelle für Schlaganfallpatientinnen und -patienten zu verbessern.
In alten Gehirnen kommunizieren Nervenzellen anders als in jungen
Am Universitätsklinikum Jena sind Professor Knut Holthoff und Professor Otto Witte den zellulären Grundlagen des Lernens auf der Spur – sowohl im intakten als auch im geschädigten Gehirn. Im Rahmen der Initiative „Bernstein Fokus: Neuronale Grundlagen des Lernens“ förderte das Bundesforschungsministerium ihre Arbeit.
„In biologischen Systemen geht es immer um die richtige Balance. So auch im Gehirn. Erregende und hemmende Nervenzellen regulieren die Aktivität neuronaler Schaltkreise. Im erwachsenen Gehirn schütten erregende Nervenzellen den Botenstoff Glutamat aus. Der aktiviert andere Neurone. Hemmende Nervenzellen schütten dagegen Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) aus. Sie hemmt die Aktivität anderer Neurone“, so Holthoff. Ein klares und einfaches Konzept – so scheint es. Doch im jungen, sich noch entwickelnden Gehirn sind die Verhältnisse anders. Der aktivierende Botenstoff Glutamat ist hier noch unterrepräsentiert. Dafür wirkt GABA sowohl aktivierend als auch hemmend. GABA muss die Aktivität der Schaltkreise im sich entwickelnden Gehirn also zum Teil allein ausbalancieren. Warum die Natur dies so eingerichtet hat, ist ein Rätsel.
„Den janusköpfigen, zugleich aktivierenden und hemmenden Charakter von GABA in der frühen, plastischen Phase der Hirnentwicklung konnten wir jetzt erstmals am intakten Gehirn nachweisen“, erläutert Holthoff. Dafür untersuchten die Jenaer Forscher die Aktivität von Nervenzellverbänden im Gehirn narkotisierter Mäuse. Um erregende und hemmende Neurone voneinander zu unterscheiden, nutzen sie einen Trick: Sie schleusten in das Erbgut der Maus ein Gen ein, das für ein rötlich leuchtendes Protein namens tdTomato (engl. Tomate) codiert. Das Eiweiß leuchtet rötlich auf, wenn man es mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt – es fluoresziert. „Da nur die erregenden Nervenzellen tdTomato produzieren, leuchten nur diese rot auf. Hemmende Nervenzellen erscheinen unter dem Mikroskop als schwarze Löcher“, erläutert Holthoff.
Um aktivierende (rote) und hemmende (dunkle) Nervenzellen nicht nur voneinander zu unterscheiden, sondern zugleich ihre Aktivität zu studieren, nutzen Holthoff und Witte einen weiteren Lichteffekt: Im Zellplasma aktivierter Nervenzellen schnellt die Kalziumkonzentration hoch. „Dies machen wir durch eine Substanz sichtbar, die leuchtet, sobald sie mit Kalzium in Berührung kommt. Um mithilfe der verschiedenen Lichtsignale zu studieren, wie Nervenzell-Netzwerke Informationen verarbeiten, müssen wir dreidimensionale Zellverbände beobachten. Dafür setzen wir in Jena eine Technik ein, über die weltweit nur wenige Labore verfügen: die 2-Photonen-Mikroskopie“ (siehe Infokasten), so Holthoff.
Das geschädigte Gehirn „verjüngt“ sich, um besser lernen zu können
Im Randbereich von Hirnschädigungen beobachtete Witte eine verminderte Hemmung von Nervenzellen durch GABA – quasi eine Rückkehr des Botenstoffs zu seiner aktivierenden Natur, welche die frühe und plastische Phase der Hirnentwicklung kennzeichnet. Damit widerlegte er die bisher geltende gegensätzliche Auffassung, dass es im Randbereich von Hirnverletzungen zu einer gesteigerten Hemmung komme.
Die neuen Ergebnisse haben eine hohe klinische Relevanz. Sie erklären die Übererregbarkeit von Hirngewebe nach einem Schlaganfall und damit die epileptischen Anfälle, unter denen viele Schlaganfallopfer leiden. „Bei einer zu frühen und zu intensiven Krankengymnastik kann diese Übererregbarkeit erlittene Funktionsverluste des Gehirns sogar verstärken“, erläutert Witte. „Gleichzeitig zeigen unsere Ergebnisse, dass bereits auf der Schlaganfallstation mit der Krankengymnastik begonnen werden muss, um die Funktionserholung des Gehirns bestmöglich zu fördern.“
Dies bestätigen weitere Versuche: Witte behandelte Mäuse nach einem Schlaganfall physiotherapeutisch und untersuchte ihren Lernerfolg. Dabei mussten sich die Tiere auf einem Stab halten, der sich um seine Längsachse dreht. Sie mussten lernen, so zu tippeln, dass sie nicht herunterfallen. Mäuse mit einer frisch erlittenen Hirnschädigung meisterten diese Übung besser als gesunde. Die Forscher führen dieses erstaunliche Ergebnis auf die beschriebene neuroplastische „Verjüngung“ des Gehirns nach einer Verletzung zurück.
Die Aufklärung neuronaler Mechanismen trägt so dazu bei, die wertvolle „plastische Phase“ des Gehirns nach einem Schlaganfall künftig besser zu nutzen, um Hirnfunktionen und damit die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten bestmöglich wiederherzustellen.
Bestrahlt man einen fluoreszierenden Farbstoff mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, dann nimmtein Farbstoffmolekül die Energie eines Lichtteilchens, eines Photons, auf. Kurz danach strahlt dasMolekül die Energie des absorbierten Photons als Fluoreszenzlicht ab. Weil dabei ein Teil der Energieverloren geht, ist das abgestrahlte Licht energieärmer als das anregende.Bei der 2-Photonen-Fluoreszenz-Mikroskopie wird die fluoreszierende Substanz dagegen mit Lichtangeregt, das energieärmer ist als das von der Substanz abgestrahlte Licht. Das funktioniert nur,wenn das absorbierende Molekül zwei Photonen gleichzeitig aufnimmt. Die Summe der Energie beiderPhotonen entspricht dabei der Energie eines energiereichen Photons, das den Farbstoff alleinzur Fluoreszenz anregt. Bei der Untersuchung lebender Gewebe hat die 2-Photonen-Fluoreszenz-Mikroskopie entscheidende Vorteile:
• Das energiearme Anregungslicht verursacht weniger Strahlungsstress. Energiereiche Strahlung wrde die Zellen schnell schädigen.
• Der 2-Photonen-Effekt tritt nur bei hoher Photonendichte auf, also im Fokuspunkt des anregenden Lasers. Das verleiht dieser Form der Mikroskopie außergewöhnlich hohe Kontraste in stark lichtstreuendem Gewebe.
• Da energiearmes Licht weniger gestreut wird, dringt es besonders tief in das untersuchte Gewebe vor und ermöglicht entsprechend tiefe Einblicke.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Otto W. Witte und Prof. Dr. Knut Holthoff
Hans-Berger-Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Jena
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
03641 932-3401
03641 932-3402
otto.witte@med.uni-jena.de
knut.holthoff@med.uni-jena.de