Betreutes Wohnen, häusliche Pflege oder Pflegeheim? Damit Pflegeangebote den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden, untersucht Professor Dr. Hans-Helmut König vom Hamburg Center for Health Economics (HCHE) die Vorlieben der Deutschen.
Herr Professor König, wie möchten ältere Menschen leben, wenn sie pflegebedürftig werden?
Herr Professor König: Die überwältigende Mehrheit der Deutschen – fast 90 Prozent – möchte zu Hause gepflegt werden. Jeder Zweite kann sich aber auch ein betreutes Wohnen vorstellen, für jeden Dritten ist die Pflege durch Angehörige in deren Zuhause bzw. das Pflegeheim eine Option. Eine mögliche Pflege im Ausland ist nur für jeden Zwanzigsten relevant.
Gibt es Faktoren, die diese Wünsche beeinflussen?
Die Favorisierung der Pflege in den eigenen vier Wänden ist von Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen oder Herkunft nahezu unabhängig. Bei den anderen Pflegesettings sieht das anders aus: So wird das betreute Wohnen eher von Menschen mit höherer Bildung bevorzugt. Der Wunsch nach einer Pflege in der Wohnung von Angehörigen ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Das Ausland bevorzugen überwiegend Personen mit Migrationshintergrund, die vermutlich in ihre Heimat zurückkehren möchten. Aber auch jüngere Befragte können sich Pflege im Ausland vorstellen.
Welche Eigenschaften sollten die Pflegenden mitbringen?
Am wichtigsten sind für fast alle Befragten Empathie, Zuverlässigkeit und ein ordentliches Auftreten. In anderen Punkten sind Unterschiede erkennbar. So wünschen sich Frauen im Pflegefall eher eine Pflegerin. Auch gute Deutschkenntnisse sind Frauen wichtiger als Männern. Pflegekräfte mit dem gleichen kulturellen Hintergrund sind besonders in den neuen Bundesländern gefragt. Personen, die bereits selbst gepflegt haben, räumen der Zeit, die Pflegende über die körperliche Versorgung hinaus aufwenden können, z. B. für Gespräche oder kleine Hilfen im Haushalt, keine so hohe Präferenz ein. Wahrscheinlich weil sie wissen, wie anstrengend die Realität des Pflegealltags ist.
Welche Aspekte sind den Menschen bei ambulanten Pflegediensten besonders wichtig?
Die Pflegequalität erweist sich als das mit Abstand wichtigste Merkmal eines Pflegedienstes. Die Höhe dieser Präferenz hat uns überrascht: Für „sehr gute“ Qualität sind die Menschen bereit, monatlich rund 430 Euro zuzuzahlen. Das ist fast das Doppelte der Zuzahlungsbereitschaft für eine „gute“ Qualität.
Ebenfalls unerwartet ist die geringe Wertschätzung eines erweiterten Leistungsangebotes, etwa in Form der Organisation von Handwerkerterminen und der Erledigung von Schriftverkehr. Vielleicht fürchten die Menschen, dass sie dadurch an Selbstständigkeit verlieren, oder sie möchten diese Aufgaben lieber Angehörigen anvertrauen.
Erstaunlich ist auch die geringe Zahlungsbereitschaft für zusätzliche Pflegestunden: Sie fällt mit durchschnittlich neun Euro pro Stunde sehr gering aus. Ein professioneller Pflegedienst kostet ein Vielfaches!
Was sind mögliche Konsequenzen aus Ihrer Studie?
Die geringe Zuzahlungsbereitschaft pro Pflegestunde zeigt, dass viele Menschen den Aufwand und die Kosten der Pflege völlig unterschätzen. Hier herrscht Aufklärungsbedarf. Das Ergebnis zeigt aber auch: Viele Menschen glauben, dass es ihnen im Alter schwerfallen wird, ihre Pflege zu finanzieren. Wir sollten daher überdenken, in welcher Höhe wir Zuzahlungen von älteren Menschen erwarten können.
„Discrete Choice Experiment“
Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf dem Forschungsprojekt „Bevölkerungspräferenzen für Langzeitpflege“, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.
Die Präferenzen für das Pflegesetting und die Eigenschaften professionell Pflegender wurden über Telefoninterviews ermittelt. Rund 1.000 Seniorinnen und Senioren im Alter von mindestens 65 Jahren beurteilten Aussagen auf einer mehrstufigen Skala von „Trifft voll und ganz zu“ bis „Trifft überhaupt nicht zu“.
Die Aspekte ambulanter Pflegedienste – Pflegezeit, Leistungsumfang, Pflegequalität, Zahl der Pflegepersonen und die Bereitschaft, für diese Leistungen Zuzahlungen zu erbringen – analysierten die Forschenden mit einer komplexen Befragungstechnik, einem „Discrete Choice Experiment“. Der Fragebogen umfasste 16 Auswahlszenarien. In jedem entschieden sich die Befragten für eines von zwei Pflegepaketen, beispielsweise zwischen einem Pflegepaket mit befriedigender Qualität, langer Pflegezeit und hoher Zuzahlung oder einem Alternativpaket mit guter Qualität, aber geringerer Pflegezeit und weniger Zuzahlung pro Monat. So konnten die Forschenden ermittelten, wie viel den Befragten beispielsweise eine bessere Qualität oder eine zusätzliche Stunde Pflegezeit wert ist. 1.200 Personen im Alter zwischen 45 und 64 Jahren füllten diese Fragebögen aus.
Und wie bewerten Sie die hohe Präferenz für die häusliche Pflege?
Diese überwältigende Präferenz ist problematisch. Denn die Kinder leben und arbeiten heute oft weit vom Wohnort der Eltern entfernt. Sie müssten unter Umständen ihren Beruf aufgeben, um ihre Eltern zu pflegen. Dies ist – aus volkswirtschaftlicher Sicht – die teuerste Form der Pflege.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Wir sollten die neuen Technologien besser nutzen. Denn sie können die Pflegebedürftigen in ihren eigenen vier Wänden unterstützen. Wir sollten ambulante und stationäre Pflegedienste stärken und das Image der Pflegeheime verbessern. Andere Studien haben bereits gezeigt, dass der Übergang in ein Pflegeheim keineswegs mit dem Verlust an Lebensqualität verbunden ist, den viele Menschen damit verbinden. Im Gegenteil: Das Pflegeheim verschafft oft eine Entlastung, die sowohl die Angehörigen als auch die Gepflegten selbst empfinden.
Die Erforschung der Pflegepräferenzen soll es künftigen Reformen der Pflegeversicherung und Anbietern von Pflegediensten erleichtern, die Zufriedenheit mit den erbrachten Leistungen, das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Gepflegten zu verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ansprechpartner:
Professor Dr. Hans-Helmut König
Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
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h.koenig@uke.uni-hamburg.de