Interview mit Professor Walter Paulus vom Universitätsklinikum Göttingen über die transkranielle Gleichstromstimulation
Herr Professor Paulus, Sie wenden bei Schmerzpatienten die transkranielle Gleichstromstimulation an. Ist diese Behandlungsmethode gefährlich?
Die transkranielle Gleichstromstimulation ist ein sicheres Verfahren. Es wurde bereits bei mehr als 1.000 Probanden eingesetzt. Weder in der Kernspintomographie, im EEG - also der Messung der Gehirnströme - noch in Blutuntersuchungen fanden sich nach der Behandlung Hinweise für Schädigungen des Gehirns.
Können ernste Nebenwirkungen, zum Beispiel Krampfanfälle, auftreten?
Nein, Krampfanfälle traten nicht auf. Das liegt wahrscheinlich an der geringen Stromstärke und dem gleichmäßigen Stromfluss. Leichte Müdigkeit, seltener Kopfschmerzen und Übelkeit, zählen zu den am häufigsten genannten Nebenwirkungen.
Der Gedanke an Strombehandlungen löst bei vielen Menschen Unbehagen aus, nicht zuletzt durch Darstellungen wie in dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“.
Mit Szenarien wie in dem Film hat das überhaupt nichts zu tun. Bei der Gleichstromstimulation setzen wir sehr schwachen, gleichmäßig fließenden Strom ein. Die 10-minütige Behandlung ist für die Patienten schmerzlos. Die Elektrokrampftherapie mit starken, kurzen Stromstößen ist etwas völlig anderes. Sie kommt heutzutage bei schwer depressiven Patienten, die nicht auf die medikamentöse Therapie ansprechen, zum Einsatz - und zwar in Vollnarkose. Die oft unmenschlich wirkende Darstellung der Elektrokrampftherapie ist falsch und basiert auf unzureichenden Informationen.
Also handelt es sich bei der transkraniellen Gleichstromtherapie um ein neues Verfahren?
Nein. Bereits in den 60-er Jahren zeigten Tierexperimente, dass die Gleichstromtherapie das Ruhemembranpotenzial der Hirnzellen verändern kann. Erste Untersuchungen beim Menschen brachten damals jedoch keine eindeutigen Ergebnisse. Dann kamen die modernen Psychopharmaka auf den Markt und die Methode geriet fast in Vergessenheit. Als ich 1999 auf einer Tagung einen Vortrag über diese Tierexperimente hörte, dachte ich, dass das auch beim Menschen möglich sein müsste. So haben wir uns an die ersten Versuche gemacht und die Gleichstromtherapie sozusagen wiederentdeckt. Heute wissen wir: Um eine Wirkung zu erzielen, müssen wir länger und intensiver stimulieren als es damals in den Versuchen getan wurde.
Gibt es neben der Schmerztherapie weitere Anwendungsgebiete?
Weltweit laufen Studien, die den Nutzen der Gleichstrombehandlung bei neurologischen und psychischen Erkrankungen untersuchen. Beispielsweise bei Patienten mit einem Schlaganfall, Morbus Parkinson, Multipler Sklerose, Epilepsie oder Tinnitus - alles potenzielle Einsatzmöglichkeiten. Auch bei diesen Erkrankungen hofft man, die Neuroplastizität mit der transkraniellen Gleichstrombehandlung therapeutisch beeinflussen zu können.
Wie könnte die Schmerztherapie mit der Gleichstrombehandlung in Zukunft aussehen?
Die Patienten könnten die Behandlung selbst zu Hause durchführen. Die Technik ist im Grunde genommen recht einfach. Die Kosten für ein Stimulationsgerät liegen derzeit bei 5.000 Euro. Wir denken, dass sie sich auf unter 1.000 Euro reduzieren lassen. Die Elektroden integrieren wir in eine Art Badekappe, die sich die Patienten aufsetzen können, um die Stimulation selbst durchzuführen. Damit stünde in Zukunft eine effektive und kostengünstige Therapiealternative für chronische Schmerzpatienten zur Verfügung.