31.03.2022

„Wir retten Leben – was könnte motivierender sein“

Professorin Renate Schnabel setzt sich für eine verbesserte Behandlung und Prävention der gefährlichen Herzerkrankung Vorhofflimmern ein. Durch individuelle Risikoabschätzungen will sie schlimme Folgen wie Schlaganfälle künftig verhindern.

Porträtaufnahme von Prof. Dr. Renate Schnabel in der Klinik.

Spagat zwischen Klinikalltag und Wissenschaft: Professorin Renate Schnabel arbeitet als Oberärztin an der Klinik für Kardiologie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf und engagiert sich zugleich in einem europäischen Forschungsprojekt.

UKE

Zum Interview kommt Renate Schnabel in OP-Kleidung und FFP2-Maske. „Ich war gerade noch bei einem Herzkatheter-Eingriff“, sagt sie. Die Anspannung ist ihr noch ein wenig anzumerken. Doch dann beginnt sie von ihrer Forschungsarbeit zu erzählen, sprudelnd schnell und voller Begeisterung. Renate Schnabel ist Clinician Scientist. Sie arbeitet als Oberärztin an der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zugleich forscht sie in internationalen Projekten an der Verbesserung personalisierter Therapien von Herzerkrankungen. Der Spagat zwischen Klinikalltag und Wissenschaft gehört für sie dazu. „Es macht ja beides Spaß“, sagt sie. „Die Patientinnen und Patienten gehen natürlich vor.“

Ihre Leidenschaft als Wissenschaftlerin gilt dem Vorhofflimmern – einer Erkrankung des Herzens. „Sie ist viel zu wenig bekannt, dabei erkrankt jeder dritte Mensch im Laufe seines Lebens daran, wenn er ein höheres Alter erreicht“, erklärt Schnabel. Betroffen sind also überwiegend ältere Menschen. Die Vorkammern, auch Vorhöfe des Herzens genannt, pumpen das Blut dann nicht mehr richtig – sie flimmern. Die Folge: Wenn sich in den Vorhöfen das Blut zu wenig bewegt, können sich Blutgerinnsel bilden, die im schlimmsten Fall ins Gehirn wandern und dort einen Schlaganfall auslösen.

Wertvolle Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen

Die Gefahr für Blutgerinnsel lässt sich durch sogenannte Gerinnungshemmer deutlich reduzieren, allerdings erhöhen diese ebenfalls das Blutungsrisiko im Gehirn und damit wiederum das Risiko für Schlaganfälle. Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam arbeitet Schnabel daher an einem Computermodell, das die individuellen Risiken für Schlaganfälle vorhersagen und damit Ärztinnen und Ärzten bei der Dosierung der Gerinnungshemmer helfen kann. Dabei werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.

An dem europäischen Projekt sind Forschende aus ganz unterschiedlichen Disziplinen beteiligt. Die norwegischen Partner modellieren die Blutflüsse im Herzen. Die französischen Partner entwickeln die Algorithmen, die später in der Klinik Vorhersagen über das Schlaganfall-Risiko ermöglichen sollen. „Unser Team steuert die klinischen Daten und vor allem die langjährige Erfahrung mit den betroffenen Patientinnen und Patienten bei“, ergänzt Schnabel.

Das Forschungsprojekt hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengebracht, die vorher keine Berührungspunkte hatten. „Was die Kolleginnen und Kollegen aus den Ingenieurs- und Computerwissenschaften da machen, ist ganz weit weg von meinem Klinikalltag. Aber mir war gleich klar, dass uns das enorm weiterhelfen könnte“, so die Kardiologin. „Ohne die BMBF-Förderung wäre diese neue Zusammenarbeit nicht möglich gewesen.“ Die verschiedenen Erkenntnisse und Herangehensweisen sollen am Ende in einer Software zusammenfließen, die Ärztinnen und Ärzten in der Klinik eine Empfehlung auf Basis der verschiedenen individuellen Risikofaktoren der einzelnen Patientinnen und Patienten gibt.

„Ich stehe oft als Mahnerin da“

Grafische Darstellung des Herzens und der Lungenflügel in einem durchsichtigen Oberkörper.

Faszination Herz: Für Kardiologie hat sich Renate Schnabel schon zu Beginn ihres Studiums begeistert. Als Wissenschaftlerin beschäftigt sie sich mit dem Vorhofflimmern, einer Erkrankung, die überwiegend ältere Menschen betrifft.

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Die Einschätzung der individuellen Risikofaktoren soll künftig jedoch nicht nur bei der Auswahl der richtigen Therapien weiterhelfen, sondern auch bei der Prävention. Denn Bluthochdruck, Vorbote vieler Herzleiden, zeigt sich oftmals schon Jahrzehnte zuvor. „Den Betroffenen fällt es häufig schwer, den Lebensstil zu ändern, also sich ausgewogen zu ernähren und körperlich aktiv zu sein oder Medikamente einzunehmen wegen einer Gefahr, die weit in der Zukunft liegt“, sagt Schnabel. „Da ist es sehr hilfreich für uns, wenn wir ihnen zeigen können, dass sie ein deutlich höheres Risiko für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt haben und sich dringend um ihren Bluthochdruck kümmern müssen.“ Die Prävention ist für die Kardiologin ein zentrales Anliegen. „Ich stehe oft als Mahnerin da, aber ich möchte verhindern, dass die Patientinnen und Patienten später bei mir im Schockraum landen“, sagt sie. „Ich weiß schließlich, wie schlimm das enden kann.“

Das Herz – der Motor, der den Körper am Leben erhält – hat Renate Schnabel schon zu Beginn ihres Studiums fasziniert. Als sie sich dann in ihrer Doktorarbeit mit dem Ultraschall des Herzens beschäftigte, schlug sie endgültig den Weg zur Kardiologie ein. „Das ist auch einer der Bereiche in der Medizin, in dem die Digitalisierung am weitesten fortgeschritten ist“, schwärmt sie. Zudem schätze sie die schnellen Versorgungs- und Entscheidungswege, aber auch die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten sofort zu helfen. „Wir retten Leben akut und langfristig“, sagt sie. „Ich wüsste nicht, was motivierender für meine Arbeit sein könnte.“

Systemmedizin-Förderung

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die Arbeit von Prof. Dr. Renate Schnabel und ihrem Team im Rahmen der europäischen Fördermaßnahme „ERACoSysMed - Systemmedizin auf dem Weg in die klinische Forschung“. Ziel der Maßnahme ist es, die Systemmedizin in Europa weiter zu etablieren. Bei diesem interdisziplinären Forschungszweig geht es darum, das Zusammenspiel von Faktoren wie genetischer Veranlagung, persönlichem Lebensstil und äußeren Einflüssen umfassend und mit Hilfe mathematischer Modelle zu entschlüsseln. So soll der Weg für neue Therapien und Präventionsstrategien geebnet werden. Dafür verbindet sie neueste Erkenntnisse aus der lebenswissenschaftlichen Grundlagenforschung und der Medizin mit dem Wissen und den Methoden aus Informatik, Mathematik und Physik.