Februar 2025

| Newsletter Spezial

Wirkungsvoll und erstattungsfähig: Telemedizin in Herzensangelegenheiten

Bei der Betreuung von Menschen mit chronischer Herzschwäche hilft die Telemedizin, Leben zu verlängern und Klinikaufenthalte zu verringern. Seit 2022 wird die telemedizinische Mitbetreuung auch von den Krankenkassen erstattet.

Grafik Kreislauf Telemedizin


Wie Telemedizin hilft: Wichtige Vitalwerte wie Blutdruck, Körpergewicht und Sauerstoffsättigung werden drahtlos an das telemedizinische Herzzentrum übertragen und täglich von Ärztinnen und Ärzten ausgewertet. Verschlechtern sich die Werte, informieren sie den Patienten bzw. die Patientin sowie die Ärztinnen und Ärzte, bei denen die Betroffenen in Behandlung sind.

BMBF

Die Ziffern 13586 und 13587 stehen für eine wichtige Wegmarke in der deutschen Herzmedizin – und einen gelungenen Transfer von der Forschung in die Patientenversorgung. Über diese Zahlenfolge in der Gebührenordnung (GOP) kann die ergänzende telemedizinische Betreuung von Menschen mit fortschreitender Herzschwäche bei den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Und nicht nur das. Die Ziffern 13586 und 13587 stehen auch für das Zusammenspiel von leidenschaftlich betriebener Wissenschaft, innovativer Entwicklung und engagierter Forschungsförderung.

„Wir haben ein wirkungsvolles neues medizinisches Verfahren entwickelt, wie Menschen mit einer schweren Erkrankung deutlich länger leben können und dabei weniger Zeit im Krankenhaus verbringen müssen“, fasst der Berliner Kardiologe Professor Dr. Friedrich Köhler zusammen, „davon träumt wohl jeder Arzt und jede Ärztin, aber nicht jeder und jede hat das Glück, dass sich dieser Traum erfüllt.“ Gemeinsam mit seinem Team hat Köhler entscheidend dazu beigetragen, dass die digitale Mitbetreuung von Herzschwäche-Patienten als erste telemedizinische Anwendung überhaupt den Weg in die Regelversorgung geschafft hat.

Die Herausforderung: Die technische Entwicklung und ihr wissenschaftlicher Nachweis

Nach wie vor ist Herzschwäche, in der Fachsprache auch Herzinsuffizienz genannt, in Deutschland die häufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt. Und die Häufigkeit der Erkrankungen nimmt zu: Hierzulande sind mehr als 2,9 Millionen Menschen von einer Herzschwäche betroffen, jedes Jahr kommen etwa 300.000 Neuerkrankungen hinzu.

Eine Frau sitzt an einem Schreibtisch, auf dem große Monitore und Überwachungsgeräte stehen

Dauerbeobachtung: Die an das Telemedizinische Zentrum der Charité übermittelten Daten der Studienteilnehmenden wurden von Ärzten und Pflegekräften ausgewertet – rund um die Uhr und an sieben Tagen der Woche, um im Notfall schnell reagieren zu können.

Deutsches Herzzentrum der Charité

Um diesen Patientinnen und Patienten besser helfen zu können, brachte Köhler, Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin an der Berliner Charité, 2013 die klinische Studie TIM-HF2 (Telemedical Interventional Management in Heart Failure II) auf den Weg. Sie sollte klären, ob es möglich ist, Betroffene über einen längeren Zeitraum außerhalb eines Krankenhauses zu behandeln und gleichzeitig ihre Lebenserwartung und Lebensqualität zu erhöhen. Auch wollte man herausfinden, ob telemedizinische Anwendungen in der Lage sind, Hausärzte und -ärztinnen zu entlasten, die gerade im ländlichen Raum vielfach die Versorgung übernehmen.

Bevor diese klinische Studie starten konnte, galt es jedoch, einen Partner zu finden, der die dafür nötige innovative Technologie bereitstellen konnte. „Das hat drei Jahre gedauert und war ein fordernder Prozess“, sagt Friedrich Köhler, „wir mussten schauen, was in der klinischen Anwendung gebraucht wird und lernen, was technisch möglich sowie bei der Übertragung über das Mobilfunknetz machbar ist. Es gab große und kleine Partner, es galt, Zeitpläne einzuhalten – hier als Arzt und Projektleiter zu vermitteln, war nicht immer nur ein Kuschelkurs.“

Herz- und Kreislauf-Erkrankungen

Die meisten Menschen in Deutschland sterben an den Folgen einer Herz- oder Kreislauf-Erkrankung – Herzinfarkte, Herzschwäche, der plötzliche Herztod, Schlaganfälle, Bluthochdruck und Lungenembolien fordern weit mehr Todesopfer als Krebs. Ein Lichtblick dabei: Eine Herzschwäche, in der Fachsprache Herzinsuffizienz genannt, kann immer besser behandelt werden, die Zahl der damit verbundenen Todesfälle geht zurück. Große Hoffnungen in der Behandlung dieser Volkskrankheit verbinden sich mit der Telemedizin.

Allen Projektbeteiligten wurde persönlich viel abverlangt: Um die angestrebten 200 Studienzentren zu finden, besuchte Köhler selbst mehr als 800 Praxen von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in ganz Deutschland, hatten die Techniker ein einfach zu bedienendes System zur sicheren Messung und Übertragung von Patientendaten zu entwickeln, galt es Pflegekräfte zu finden, die die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer notfalls auch am Wochenende in der Bedienung dieser Geräte schulten, und nicht zuletzt eventuelle Funklöcher im deutschen Mobilnetz bei der drahtlosen Übermittlung von Daten zu überwinden.

Die Methode: Betreuung rund um die Uhr dank drahtloser Übermittlung

Am Ende wurden für die Studie TIM-HF2 mehr als 1.500 Patientinnen und Patienten ausgewählt. Ergänzend zur Standardversorgung erhielten sie vier verschiedene Messgeräte: ein EKG-Gerät, ein Blutdruckmessgerät, eine Personenwaage und ein Tablet, auf dem sie ihren Gesundheitszustand selbst einschätzen konnten. Wichtige Vitalwerte wie Blutdruck, Körpergewicht und Sauerstoffsättigung wurden über das Tablet an das telemedizinische Herzzentrum der Charité übertragen, ohne dass die Patientinnen und Patienten Arztbesuche und damit oft lange Anfahrtswege auf sich nehmen mussten. An der Charité wurden die übermittelten Daten von Ärzten und Pflegekräften ausgewertet – rund um die Uhr und an sieben Tagen der Woche. Verschlechterten sich die Werte, konnten die Ärzte die Medikation anpassen oder Empfehlungen für einen ambulanten Arztbesuch bzw. eine Krankenhauseinweisung aussprechen.

Das Besondere: Forschung „im Team“ mit den Betroffenen

Für den Erfolg der Untersuchung entscheidend war, dass sie gut in den Lebensalltag der Patienten passte: „Unsere Patienten sind keine IT-Spezialisten. Außerdem sollten sie nicht das Gefühl bekommen, anonym über technische Geräte betreut zu werden“, beschreibt Köhler. Deshalb wurden Pflegekräfte zu den Studienteilnehmern geschickt, um sie im Umgang mit den Geräten zu schulen, und die gleichen Pflegekräfte führten alle vier Wochen Gespräche mit ihnen. Dieser persönliche Kontakt und die enge Betreuung habe den Patienten das Gefühl gegeben, dass „alle ein Team bilden und die Patienten auch offener gegenüber der Technik und der Telemedizin werden lassen“, erinnert sich der Kardiologe. „Das große Engagement aller Beteiligten und nicht zuletzt der Patienten hat mich bei der Stange gehalten.“

Das Ergebnis der TIM-HF2-Studie gab Köhler und seinem Team auf überzeugende Weise recht. Die Studie zeigte, dass die zusätzlich über Telemonitoring betreuten Patientinnen und Patienten spürbar besser versorgt werden konnten. Sie mussten weniger Tage stationär in einer Klinik behandelt werden, gleichzeitig erhöhte sich die Überlebensrate in der Telemonitoring-Gruppe im ersten Jahr um 27 Prozent. Ein echter Durchbruch – der im Lancet veröffentlicht wurde, einem der renommiertesten medizinischen Fachmagazine. „Weltweit wurde unsere Studie mehr als 525-mal zitiert – das war richtig großes medizinisches Kino und macht mich bis heute stolz“, so Köhler.

Der Einschnitt: Pandemie ändert Sicht auf die Telemedizin

Zählte Köhler zum Start seiner Forschungsarbeiten noch zu den Pionieren der Telemedizin in Deutschland, war die Coronapandemie auch für ihn ein Wendepunkt: Mit ihr wurde die Telemedizin für die Betreuung jener Herzpatientinnen und -patienten unverzichtbar, bei denen Eingriffe verschoben werden mussten. Für Köhler eine persönliche Bestätigung: „Plötzlich war das Tor für die Telemedizin weit offen, hat sich die Sicht auch der Ärzteschaft auf die Telemedizin verändert – was nicht zuletzt daran erkennbar ist, dass das Fernbehandlungsverbot inzwischen weitgehend gefallen ist.“

Im Dezember 2020, knapp zwei Jahre nach Abschluss seiner Studie, war das datengestützte Management für Patienten mit Herzschwäche als eigenständige Methode anerkannt worden – die Voraussetzung für die Überführung eines Verfahrens in die Regelversorgung. Ein weiteres Jahr später wurden die EBM-Ziffern festgelegt, seit dem 1. Januar 2022 übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die telemedizinische Mitbetreuung.

Die nächste Größenordnung: Telemed5000

Zu diesem Zeitpunkt und auf der TIM-HF2-Studie aufbauend hatte Friedrich Köhler mit Telemed5000 längst schon das nächste Projekt am Start. Hier ging es darum, „ein Alltagsmodell zu entwickeln, um ein Vielfaches der Patientenzahl unserer Studie zu versorgen.“ Ein einzelnes Telemedizinzentrum (TMZ) wie an der Charité kann laut Köhler etwa 500 Patientinnen und Patienten versorgen, für die Mitbetreuung von mehreren Tausend Betroffenen brauchte es eine „intelligente“ Lösung. Gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft entwickelte die Charité ein System, das sich auf Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) stützt und die täglich im TMZ eingehenden Vitaldaten „vorverarbeitet“ und damit das medizinische Personal in seinen Entscheidungen unterstützt. Zusätzlich zu bereits zuvor ermittelten Werten sollen mittels Smartphones und Wearables neue Vitalparameter aufgezeichnet werden – beispielsweise die Stimme des Patienten und seine körperliche Aktivität –, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes frühzeitig erkennen zu können.

Technisch ist es machbar, mit diesem System eine große Zahl von Patientinnen und Patienten zu versorgen – das ergaben drei klinische Studien, die bis 2022 im Projekt Telemed5000 durchgeführt wurden. Dank KI konnten bei gleichbleibender Personalstärke rund 5.000 Patienten pro TMZ betreut werden. Wie bei allen neuen Technologien wird aber auch hier noch etwas Zeit ins Land gehen müssen, bis sie im klinischen Alltag ankommen. Was für die Herzmedizin gut ist, könnte aber auch für andere Erkrankungen gelten, ist Friedrich Köhler überzeugt: „Hier sind wir als Forscher noch längst nicht am Ende der Fahnenstange angelangt“, sagt er, „ganz im Gegenteil.“

Von TIM-HF2 bis Telemed5000

Die von Professor Dr. Friedrich Köhler geleitete klinische Studie TIM-HF2 wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens „Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg – Fontane“ gefördert, mit dem die Betreuung von Herz-Kreislauf-Erkrankten im strukturschwachen ländlichen Raum verbessert werden sollte. Von 2009 bis 2018 stellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dafür insgesamt rund 10,2 Millionen Euro bereit.

Ebenfalls an der Berliner Charité wurde von 2019 bis 2023 das Folgeprojekt Telemed5000 durchgeführt, das Fördergelder des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, dem heutigen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), in Höhe von rund 4,5 Millionen Euro erhielt.