Warum sind manche Leukämiezellen resistent gegen die Chemotherapie?
Wissenschaftler des Kompetenznetzes Pädiatrische Onkologie haben einen wichtigen Weg der Signalübertragung in Krebszellen identifiziert. Er ermöglicht es, in Zukunft wirksamere und verträglichere Strategien zur Behandlung von Blutkrebs zu entwickeln.
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste Krebserkrankung bei Kindern. Von den rund 2.000 Kindern, die pro Jahr neu an Krebs erkranken, leiden ca. 600 an einer ALL. Obwohl sich die Therapie in den letzten 30 Jahren wesentlich weiterentwickelt hat, können auch heute noch 20 bis 30 Prozent aller Kinder nicht endgültig geheilt werden. Denn manchmal gelingt es den Ärzten nicht, mit einer Chemotherapie alle Leukämiezellen vollständig und dauerhaft zu vernichten, da diese zum Teil resistent gegen die eingesetzten Zytostatika sind. Eine Arbeitsgruppe von Professor Klaus-Michael Debatin (s. auch Interview auf S. 3) an der Universitäts-Kinderklinik Ulm erforscht die Mechanismen, die bei Tumorzellen zu solchen Resistenzen führen.
Die Wissenschaftler greifen dabei auf eine Erkenntnis zurück, die sich seit einigen Jahren immer mehr durchsetzt: Der Erfolg einer Chemotherapie hängt davon ab, ob die eingesetzten Zytostatika Tumorzellen dazu bringen können, Selbstmord zu begehen. Wirksame Medikamente aktivieren den so genannten programmierten Zelltod. Er kann prinzipiell in allen Zellen ablaufen und ist überlebenswichtig für den Gesamtorganismus. Sterben um zu leben – das erscheint zunächst paradox, doch die Apoptose, wie der programmierte Zelltod auch genannt wird, sorgt dafür, dass überflüssige, kranke oder defekte Zellen sich selbst zerstören, ohne den Organismus zu schädigen. Die Apoptose kann auf verschiedenen Wegen in Gang gesetzt werden und läuft wie eine Kettenreaktion über mehrere Schritte ab. Am Ende steht der Tod der Zelle.
Die Forscher vom Kompetenznetz für Pädiatrische Onkologie fragten sich, an welcher Stelle der Kettenreaktion sich resistente Krebszellen von Zellen unterscheiden, die durch eine Chemotherapie zerstört werden.
Umfangreiche Studie bei Kindern mit ALL
"Bisher fanden entsprechende Untersuchungen an Laborkulturen von Leukämiezellen statt," erklärt Dr. Karsten Stahnke, ein Mitarbeiter von Professor Debatin an der Kinderklinik in Ulm. "Die Ergebnisse lassen sich aber nicht einfach auf den Patienten übertragen, denn Krebszellen im Körper haben andere Eigenschaften als Zelllinien im Labor." In ihren aktuellen Untersuchungen arbeiteten die Wissenschaftler deshalb mit Zellen, die sie direkt von Leukämie-Patienten gewonnen hatten. Darüber hinaus entwickelten sie eine völlig neue Methode, um in diesen Zellen die Konzentrationen zweier Substanzen zu bestimmen, die bei der Apoptose eine entscheidende Rolle spielen. Die eine Substanz ist das Cytochrom-c. Sie wird von den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zellen, ausgeschüttet und aktiviert die zweite Substanz, die Caspase 3. Mit der neuen Methode können die Wissenschaftler untersuchen, wie viel Caspase 3 durch Cytochrom-c aktiviert wird. Und darauf scheint es anzukommen. Wird auf die Freisetzung von Cytochrom-c hin nämlich wenig Caspase 3 aktiviert, so ist die Zelle resistent. Wird dagegen viel Caspase aktiviert, so stehen die Chancen für die Chemotherapie gut. "Jetzt wollen wir unsere Methode so weiterentwickeln, dass sich bereits bei Diagnosestellung untersuchen lässt, ob die Chemotherapie einem Kind mit ALL ausreichend helfen kann," beschreibt Stahnke das nächste Ziel der Arbeit.
Intensität der Chemotherapie auf den Patienten abstimmen
Dieses Wissen hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung. Denn bisher beurteilen die Ärzte bei den meisten Patienten erst im Verlauf der Therapie, wie wirksam die Medikamente sind. Eine korrekte Prognose des Behandlungserfolgs würde es erlauben, die Zytostatika individuell abgestimmt zu dosieren. Patienten mit einer Leukämie, die sehr empfindlich auf die Zytostatika reagiert, kämen dann zum Beispiel mit niedrigen Dosen aus. Damit wären auch die Nebenwirkungen geringer. Außerdem forscht die Ulmer Arbeitsgruppe an Hilfsmolekülen, die die Wirksamkeit der Chemotherapie verbessern. Hintergrund: Wenn in einer Zelle durch das Cytochrom-c wenig Caspase 3 aktiviert wird, liegt das unter anderem an Eiweißen, die die Caspasen blockieren (Inhibitors of Apoptosis Proteins, IAPs). Geeignete Hilfsmoleküle könnten sich gegen diese IAPs richten und die Blockade aufheben. Stahnke geht davon aus, dass sich damit zukünftig auch Zytostatikaresistente Zellen abtöten lassen. Darüber hinaus würden geringere Zytostatikadosen ausreichen, um einen Tumor zu bekämpfen, da die Hilfsstoffe die Auslöseschwelle der Apoptose deutlich herabsetzen könnten.
Ansprechpartner:
Professor Dr. Klaus-Michael Debatin
Ärztlicher Direktor der
Universitätsklinik und Poliklinik für
Kinder und Jugendmedizin
Prittwitzstraße 43
89070 Ulm
Tel.: 0731/5 00-2 77 01
Fax: 0731/5 00-2 66 81
E-Mail: klaus-michael.debatin@medizin.uni-ulm.de