Firmengründung aus Kieler Uniklinik verbessert die Möglichkeiten zur Erforschung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen
An Morbus Crohn und Colitis ulcerosa erkranken seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer mehr Menschen. Zurzeit sind in Deutschland etwa 300.000 Menschen betroffen. Beide Krankheitsbilder werden unter dem Begriff "chronisch entzündliche Darmerkrankungen" (CED) zusammengefasst. CED beruhen auf einer chronischen Entzündung der Darmschleimhaut. Die Patienten leiden unter anderem an häufigen, zum Teil blutigen Durchfällen, Bauchschmerzen und Gewichtsverlust. CED werden mit Medikamenten behandelt, die den Entzündungsprozess im Darm eindämmen. In schweren Fällen können zusätzlich Operationen notwendig sein, bei denen Teile des Darms entfernt werden. Die Ursachen von CED sind vielschichtig. Neben erblichen Faktoren scheinen auch Ernährungsgewohnheiten und Umwelteinflüsse eine Rolle zu spielen.
Hochschule und Wirtschaft Hand in Hand
Das Wissen über CED hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Viele Impulse kamen dabei aus Kiel. Insbesondere die erfolgreiche Kooperation zwischen der 1. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UK-SH) und der CONARIS Research Institute AG brachte die Forschung voran. Die CONARIS AG wurde durch Professor Stefan Schreiber vom UKSH gegründet und konnte sich inzwischen am Markt etablieren. CONARIS-Geschäftsführer Dr. Dirk Seegert beschreibt die Pläne des Unternehmens: "Ein Ziel unserer Untersuchungen ist die Identifikation und Charakterisierung CED-spezifischer Gene und ihrer Genprodukte, die sich möglicherweise für die Diagnose, als Ziel einer neuen Therapie oder auch für die Entwicklung von Arzneimitteln verwenden lassen." Teil der Arbeit ist es natürlich auch, die Ergebnisse zu vermarkten. Bisheriger Höhepunkt in der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und CONARIS war die Identifizierung einer Mutation im CARD15 (NOD2)-Gen, die eine wichtige Rolle bei Morbus Crohn spielt. Der Nachweis dieser genetischen Komponente hat das Krankheitsverständnis wesentlich erweitert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert wichtige Kieler Projekte im Rahmen des Kompetenznetzes CED und des Nationalen Genomforschungsnetzes.
Gene bei CED anders reguliert
Zurzeit stehen in Kiel zwei Forschungsfelder im Vordergrund. Zum einen sollen weitere Mutationen nachgewiesen werden, die möglicherweise für das Krankheitsgeschehen relevant sind. Zum anderen stellt sich die Frage, wie sich die Aktivierung beziehungsweise Repression einzelner Gene – die Genexpression – von Kranken und Gesunden unterscheidet und welche Prozesse von diesen Genen gesteuert werden. Mithilfe modernster molekularbiologischer Methoden können die Kieler Wissenschaftler viele potenziell relevante Gene gleichzeitig untersuchen. Wie die bisherigen Analysen zeigen, sind beim Morbus Crohn etwa 500 und bei der Colitis ulcerosa 200 Gene anders reguliert als bei gesunden Menschen. Jetzt versuchen die Forscher, die Bedeutung dieser Teile des Erbguts bei CED herauszuarbeiten. Ihre Hypothese: Aufgrund einer Überaktivität einzelner Gene werden zu viele Botenstoffe produziert, die den Entzündungsprozess im Darm unterhalten. Die verminderte Aktivität anderer Gene führt dazu, dass der Organismus Eiweiße mit einer Schutzfunktion für die Darmschleimhaut in zu geringer Menge herstellt. Daraus könnte eine erhöhte Empfänglichkeit für Infektionen mit körpereigenen Bakterien resultieren.
Medikamentensuche mit Biochips
Dass die Erkenntnisse zur Genexpression bei CED erfolgreich weiter genutzt werden können, zeigt eine Kooperation von CONARIS mit der Berliner Scienion AG. 2001 gewannen beide Unternehmen den vom BMBF jährlich ausgeschriebenen "Biochance Wettbewerb". Das prämierte Projekt befasst sich unter anderem damit, Biochips zu entwickeln. "Die Grundlagen für diese Arbeiten bilden eine Reihe von Ergebnissen, die aus Analysen zur Genexpression bei Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa stammen", erläutert Seegert. Biochips sind moderne Werkzeuge, die sowohl in der Diagnostik als auch bei der Suche nach neuen Medikamenten eingesetzt werden. Mit ihrer Hilfe lassen sich große Substanzbibliotheken in kurzer Zeit durchsuchen, um die Substanzen zu identifizieren, die mit dem neu gefundenen, krankheitsrelevanten Genprodukt interagieren. Sie kommen als potenzielle Medikamente in Frage.
Klinische Studien stehen bevor
Ein anderes CONARIS-Projekt ist auf dem Weg zur klinischen Anwendung schon relativ weit fortgeschritten. Seegert und seine Mitarbeiter widmen sich dabei dem Molekül gp130. Dieses Eiweiß spielt beim Morbus Crohn eine wichtige Rolle für das Entzündungsgeschehen. CONARIS besitzt die Rechte an einer Substanz, einem so genannten Fusionsprotein, das jeweils zwei gp130-Moleküle verknüpft. Sie kann bestimmte Botenstoffe im Blut abfangen und verhindert dadurch, dass der Krankheitsprozess in Gang kommt. Im Tierversuch konnte der therapeutische Nutzen bereits gezeigt werden. Weil dieser Behandlungsansatz sehr viel gezielter in den Entzündungsprozess eingreift als herkömmliche Arzneimittel, geht Seegert von einer besseren Wirksamkeit und einem geringeren Nebenwirkungspotenzial aus. CONARIS plant nun eine erste klinische Studie, um die Therapieeffekte auch beim Menschen zu überprüfen – wieder in enger Zusammenarbeit mit dem Kompetenznetz CED und dem UK-SH. Denn auch wenn das Unternehmen Anfang 2003 aus der Klinik in eigene Laborräumlichkeiten umgezogen ist, soll der wissenschaftliche Austausch natürlich beibehalten werden. Zusammen mit dem Klinikum und dem Kompetenznetz ist CONARIS in der Lage, notwendige klinische Studien durchzuführen.
Ansprechpartner:
Dr. Dirk Seegert
Conaris Research Institute AG
Schauenburger Straße 116
24118 Kiel
Tel.: 0431/56 06-8 21
Fax: 0431/56 06-8 23
E-Mail: d.seegert@conaris.de
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind Zivilisationskrankheiten
Interview mit Professor Dr. Ulrich Robert Fölsch, Vorstandssprecher des Kompetenznetzes chronisch- entzündliche Darmerkrankungen
Sehr geehrter Herr Professor Fölsch, chronischentzündliche Darmerkrankungen (CED) gibt es erst seit Anfang des letzten Jahrhunderts, sie scheinen also zumindest zum Teil "Zivilisationskrankheiten" zu sein. Welche unserer Lebensgewohnheiten machen Sie für CED verantwortlich?
Zweifellos sind CED "Zivilisationskrankheiten". Studien haben ganz klar gezeigt, dass ihre Häufigkeit mit höherem Lebensstandard zunimmt, unter anderem mit besseren hygienischen Verhältnissen. Interessanterweise erkranken außerdem Einzelkinder öfter als Kinder mit Geschwistern. Auch das zeigt, dass eine "saubere Umwelt" eher die Voraussetzungen für CED schafft, als dass sie sie verhütet. In unserem Krankheitsmodell wirken auslösende Faktoren im Lebensstil und eine erbliche Veranlagung zusammen.
Inzwischen wurden Gene identifiziert, die bei der Entstehung von CED eine Rolle zu spielen scheinen. Welche Bedeutung haben sie für den Krankheitsprozess?
Bislang ist nur ein einziges Krankheitsgen für CED zweifelsfrei als Ursachengen identifiziert worden. Dabei handelt es sich um das CARD 15 (NOD2)-Gen. Das Eiweiß, dessen Produktion CARD 15 steuert, ist wichtig für den Erhalt einer intakten Barrierefunktion gegen Darmbakterien. Ist ein bestimmter Teil des Gens verändert, so ist die Aktivierung des Immunsystems durch eindringende Bakterien gestört. Dadurch lässt sich eine langfristige entzündliche Erkrankung im Darm erklären. Weitere Befunde in anderen Genen bedürfen noch der Bestätigung in größeren Stichproben. Viele der vorgeschlagenen Krankheitsgene werden sich wahrscheinlich nicht bestätigen.
Wenn genetische Ursachen eine Rolle spielen, könnten auch Angehörige von CED-Patienten gefährdet sein. Welchen Rat geben Sie ihnen?
Derzeit gibt es noch keinen Grund, Personen genetisch zu testen. Erst einmal müssten Vorbeugungsstrategien entwickelt werden, die bei einer genetischen Veranlagung CED verhüten können. Ich nehme an, dass Vorbeugung vor allen Dingen im Bereich der Ernährung sinnvoll wäre. Trotzdem bedarf es zunächst aussagekräftiger Studien, bevor genetische Befunde entsprechend umgesetzt werden können. Diese sind im Rahmen des Kompetenznetzes und des Nationalen Genomforschungsnetzes geplant.
CED galten lange als Krankheiten, die stark auf psychische Einflüsse zurückzuführen sind. Hat sich mit der Entdeckung krankheitsrelevanter Gene diese Sichtweise überholt?
Es entspricht nicht moderner wissenschaftlicher Erkenntnis, dass die Colitis ulcerosa oder der Morbus Crohn auf starke psychische Einflüsse zurückzuführen sind. Dies haben kontrollierte Studien nicht beweisen können. Natürlich ist es in einigen Fällen so, dass die bestehende Krankheitsbereitschaft durch ein äußeres besonderes Ereignis ausgelöst wird. Aber die Psyche und psychische Belastungen sind nicht der initiale Grund für diese Erkrankungen.
Wird je eine Heilung der CED möglich sein? Wenn ja: Wann ist damit zu rechnen?
Ich habe keine Zweifel, dass es eines Tages eine Heilung der CED geben kann. Man muss jedoch bedenken, dass es sich um eine Erkrankung handelt, bei der mehrere Gendefekte eine Rolle spielen. Leider können wir zurzeit noch nicht sagen, wie viele Gene beteiligt sind. Es wird aber zweifellos gelingen, durch das bessere Verständnis der Krankheitsentstehung und der Krankheitsentwicklung Medikamente gezielter einzusetzen. Es wird möglich sein, eine Rückbildung der Krankheit zu erreichen und eine gute Lebensqualität langfristig zu erhalten.
Was ist für Sie das wichtigste Ziel, das Sie in den nächsten Jahren bei der Erforschung der CED erreichen wollen?
CED sind polygene Erkrankungen, das heißt, mehrere verschiedene Gene können eine Rolle spielen. Wir wollen möglichst alle krankheitsrelevanten Gene identifizieren. Dadurch soll es möglich werden, Personen mit hohem Risiko für CED zu erkennen. Das ist eine Voraussetzung, um vorbeugen zu können. Als weiteres Ziel möchten wir anhand genetischer Merkmale Untergruppen von Patienten mit CED beschreiben, die auf eine bestimmte Therapie besonders gut beziehungsweise eher schlecht ansprechen.
Welche Erfolge wurden im Rahmen des Kompetenznetzes in jüngerer Zeit erzielt?
Zunächst ist es gelungen, große Datenbanken mit Material von CED-Patienten anzulegen. Dazu gehören eine DNA-Bank in Kiel, eine Blutserum-Bank in Regensburg sowie eine Gewebe-Bank in Berlin. In diese Banken wurden mittlerweile bis zu mehrere tausend Proben eingelagert. Sie stehen jetzt für wissenschaftliche Fragestellungen zur Verfügung. Daneben konnten wir genetische Faktoren identifizieren, die das Risiko zu erkranken erhöhen. So haben Personen mit einer Mutation des CARD 15 (NOD2)-Gens eine 40- bis 150-fache Wahrscheinlichkeit, einen Morbus Crohn zu entwickeln. Darüber hinaus ist es durch enge Zusammenarbeit zwischen unserem Kompetenznetz, der Telematikplattform für die medizinische Forschung und Datenschutzbeauftragten in jahrelanger Arbeit endlich gelungen, ein Datenschutzkonzept zu entwickeln. Es ermöglicht, Patientendaten geschützt zwischen den verschiedenen Zentren auszutauschen. Für die klinische Forschung und zum Schutze der Patienten ist dies eine ganz entscheidende Errungenschaft.
Sind Sie mit diesen Erfolgen zufrieden?
Wir sind sehr zufrieden. Die Erfolge können jedoch nur anfängliche Meilensteine sein auf einem langen Weg, CED zu besiegen. Dazu ist es dringend erforderlich, dass die jetzt etablierten Strukturen des Netzwerkes verfestigt werden, um die Erfolge zu sichern und die klinische Forschung noch weiter zu verbessern.
Welche Bedeutung hat das Kompetenznetz für die Erforschung der Erkrankung?
Es ist keine Frage, dass die Forschung durch das Kompetenznetz effektiver und qualitativ deutlich besser geworden ist. Dies macht sich unter anderem an den beschriebenen Erfolgen bemerkbar. Darüber hinaus sind durch die zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen und die Etablierung von Leitlinien schon jetzt Gewinne für die Patienten zu verzeichnen.
Ansprechpartner:
Professor Dr. Ulrich Robert Fölsch
Direktor der Klinik für
Allgemeine Innere Medizin
1. Medizinische Univ.-Klinik
Schittenhelmstraße 12
24105 Kiel
Tel.: 0431/5 97-12 71
Fax: 0431/5 97-13 02
E-Mail: urfoelsch@1med.uni-kiel.de