Genetische Veranlagung ist entscheidend für den Therapieerfolg
Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Depression. Viele von ihnen bekommen Medikamente (Antidepressiva), aber die Ärzte stehen häufig vor einem Problem: Während sich die unerwünschten Nebenwirkungen fast immer sehr früh einstellen, tritt die erwünschte antidepressive Wirkung bei einer Vielzahl von Menschen erst nach Wochen ein, manchmal bleibt sie sogar vollkommen aus. Grund hierfür scheint eine unterschiedliche genetische Disposition der Patienten zu sein. Damit den Patienten in Zukunft die frustrierenden Irrwege bis zu richtigen Therapie erspart bleiben, werden derzeit im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetzes Depression, Suizidalität die Wirkmechanismen der unterschiedlichen Antidepressiva auf zellulärer und genetischer Ebene erforscht. Mit diesem Wissen können Ärzte schneller eine optimale und individuelle Therapie für den jeweiligen Patienten einleiten.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Brigitta Bondy an der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht den Einfluss von Antidepressiva auf die genetische Steuerung der Reiz-Weiterleitung im Nervensystem. Da sie nicht an den Nervenzellen des Patienten arbeiten können, benutzen sie als Modelle Lymphozyten des depressiven Patienten. Das sind Zellen des Immunsystems, die in einigen Strukturen und Funktionen den Nervenzellen sehr ähnlich sind.
In Untersuchungen mit diesen Modellen haben Prof. Bondy und ihre Mitarbeiter heraus gefunden, dass die verschiedenen Klassen von Antidepressiva unterschiedliche Einflüsse auf diejenigen Gene haben, die Botenstoffe für die Kommunikationsprozesse im Nervensystem herstellen. Ein interessanter Befund betrifft das sog. G-Protein in der Zellmembran der Nervenzellen, das eine wichtige Rolle bereits ganz am Anfang der Reiz-Weiterleitung spielt. Bei depressiven Patienten wird häufiger eine Genvariante gefunden, mit der ein G-Protein produziert werden kann, das die Signalübertragung beschleunigt. Interessanterweise sprechen Patienten, die von beiden Eltern diese besondere Genvariante geerbt haben, rascher auf die Behandlung mit einer bestimmten Gruppe von Antidepressiva an. Wenn diese Patienten über eine Genanalyse identifiziert werden könnten, kann sofort eine gezielte Therapie mit den passenden Arzneimitteln eingeleitet werden. Der Arzt muss dann nicht mehr zeitaufwändig und für den Patienten belastend ausprobieren, welches Medikament optimal ist. Die für die antidepressive Wirksamkeit notwendigen Veränderungen im gesamten komplizierten System der Reiz-Weiterleitung können dann schneller zum Tragen kommen.
Prof. Bondys Arbeitsgruppe ist Teil des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität. Forschungseinrichtungen, Universitätskliniken, Haus- und Fachärzte, Landeskrankenhäuser und psychosomatische Einrichtungen sowie Patientenorganisationen, Krankenkassen und Industrie sind in einem engen Netzwerk verbunden, um die Grundlagenforschung und patientenorientierte Forschung effizienter zu gestalten, Diagnose und Therapie zu optimieren und die Öffentlichkeit über das Krankheitsbild der Depression aufzuklären.
Die Kompetenznetze in der Medizin sind ein Förderschwerpunkt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Es gibt Kompetenznetze zu elf unterschiedlichen Krankheitsgebieten mit dem Ziel, durch einen hohen Grad an Zusammenarbeit und Informationsvernetzung zwischen den beteiligten Forschern, Ärzten und Patienten optimale Bedingungen für schnelle und effektive Therapien zu schaffen. Die Kompetenznetze in der Medizin werden seit 1999 für maximal fünf Jahre mit je bis zu 2,5 Millionen Euro jährlich gefördert. Weitere Informationen zu den Kompetenznetzen in der Medizin im Internet unter www.kompetenznetze-medizin.de.
Mehr Informationen zum Thema Depressionen erhalten Sie in der Broschüre des BMBF "Depressionen - Wege aus der Schwermut. Forscher bringen Licht in die Lebensfinsternis". Diese Broschüre kann als pdf-Datei heruntergeladen oder hier kostenlos bestellt werden.
Dezember 2001
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Neurologische und psychiatrische Erkrankungen