Ein Schulungsprogramm bei Morbus Bechterew hilft Patienten - aber auch Ärzte, Kliniken und Gesundheitssystem profitieren. Das hat eine Studie im Rahmen des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen ergeben.
Viele Patienten mit Morbus Bechterew können nicht mehr Auto fahren, müssen ihren Job und geliebte Hobbys aufgeben. Zuletzt wird für einige schwer Betroffene sogar das Gehen zur Qual. Dann nämlich, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, den Blick vom Boden zu heben. Die entzündlich rheumatische Erkrankung, auch bezeichnet als Spondylitis ankylosans, beginnt meist mit Symptomen wie Schmerzen, Schlafstörungen und Morgensteifigkeit. Später kommen dann häufig Bewegungseinschränkungen hinzu, die bis zur völligen Einsteifung der Wirbelsäule führen können. Die Krankheit verläuft in Schüben und tritt familiär gehäuft auf. Etwa 400.000 Deutsche sind betroffen, Männer dreimal so häufig wie Frauen. Der Morbus Bechterew beginnt überwiegend zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Damit trifft er die Patienten in einer Zeit, in der sie beruflich und privat besonders leistungsfähig sind. Die psychischen und sozialen Auswirkungen sind somit erheblich. Eine Studie am Rehazentrum Bad Eilsen konnte in Kooperation mit zwei weiteren Reha-Kliniken (Karl-Aschoff-Rheinpfalz-Klinik Bad Kreuznach, Rheumaklinik Bad Bramstedt) jetzt zeigen, dass ein spezielles Schulungsprogramm die Schmerzen von Bechterew-Patienten verringern, ihre körperliche Beweglichkeit stabilisieren und die Zahl ihrer Arbeitsunfähigkeitstage reduzieren kann. Der Rehabilitationswissenschaftliche Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen, in dem die Studie durchgeführt wurde, wird gemeinsam vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der gesetzlichen Rentenversicherung gefördert.
Spezialisten und Selbsthilfegruppe arbeiten zusammen
Das Schulungsprogramm wurde vom Arbeitskreis Patientenschulung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Zusammenarbeit mit Ärzten, Ergotherapeuten, Psychologen, Krankengymnasten und Mitgliedern der Selbsthilfegruppe Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V. entwickelt. In Kleingruppen von sieben bis zehn Personen lernen die Teilnehmer in sechs Seminareinheiten, ihre Krankheit und die damit verbundenen Belastungen eigenverantwortlicher zu bewältigen. Sie erfahren das Wichtigste über die Erkrankung, ihre Ursachen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten. Außerdem trainieren die Patienten, wie sie richtig mit ihrer Krankheit umgehen und wie sie ihre Wirbelsäule im Alltag nicht noch zusätzlich belasten. Zusätzlich bekommt jeder Teilnehmer schriftliches Material zum Nachlesen. Wie wirksam das Patientenschulungsprogramm ist, untersuchte ein Team unter der Leitung von Dr. Inge Ehlebracht-König. In dieser Studie wurden in erster Linie die Akzeptanz der Teilnehmer und die Kurz- sowie Langzeiteffekte überprüft. Die Studie fand im Rahmen einer stationären medizinischen Rehabilitation statt: 167 Bechterew-Patienten nahmen daran teil. Eine Kontrollgruppe von 156 Bechterew-Patienten erhielt anstelle der Schulung sechs zusätzliche Behandlungen aus dem sonst üblichen Therapieprogramm. Beide Gruppen wurden im Verlauf der Studie mehrmals befragt - zu Beginn und am Ende der Rehabilitation sowie sechs und zwölf Monate nach ihrem Abschluss.
Schulungsteilnehmer schneiden deutlich besser ab
Die Untersuchung der Kurzzeiteffekte bis zum Ende der stationären Behandlung ergab, dass die Rehabilitation bei beiden Gruppen erfolgreich war: Krankheitsaktivität und Schmerzen nahmen ab, die Patienten waren leistungsfähiger und wussten mehr über ihre Krankheit sowie ihre Behandlung als vorher. Außerdem war ihnen bewusst, dass sie ihr Schicksal selber in die Hand nehmen und ihre Erkrankung positiv beeinflussen können. In zwei Bereichen gab es allerdings signifikante Unterschiede: Die Schulungsteilnehmer waren im Vergleich zur Kontrollgruppe besser über ihre Krankheit und die Behandlung informiert und hatten weniger Schmerzen. Auch bei den Langzeiteffekten schnitten die geschulten Patienten besser ab als die Kontrollgruppe. Sie behielten das Wissen über die Krankheit und ihre Behandlung länger und waren nach zwölf Monaten stärker als die Kontrollgruppe der Meinung, ihre Erkrankung selbst beeinflussen zu können. Außerdem blieben sie dauerhaft beweglicher als vor der Rehabilitation. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe machten die geschulten Patienten häufiger Gruppengymnastik in Nachsorgeprogrammen und nutzten öfter die gelernten Ablenkungstechniken, um ihre Schmerzen zu bewältigen. Zudem hatten sie mehr soziale Kontakte als vor der Rehabilitation.
Kosten-Nutzen-Verhältnis 1:14
Auch die sozialmedizinischen Auswirkungen der Rehabilitation unterschieden sich bei beiden Gruppen erheblich. Die erwerbstätigen Patienten der Schulungsgruppe waren im Jahr nach der Rehabilitation deutlich seltener arbeitsunfähig als im Vorjahr. Im Gegensatz dazu verringerten sich die Arbeitsunfähigkeitstage bei den ungeschulten Patienten nicht. Auch die Zahl der Rentenantragsteller lag bei den Schulungsteilnehmern mit 8,1 Prozent deutlich niedriger als bei der Kontrollgruppe mit 17,8 Prozent. Demnach kann eine Schulung von Bechterew-Patienten die Kosten enorm reduzieren: Allein durch die geringere Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wurden im Vergleich zu den ungeschulten Patienten im gesamten Nachbeobachtungszeitraum 1.930 Euro pro Person gespart. Legt man dabei die Schulungskosten von 135 Euro pro Patient zugrunde, ergibt sich ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1:14. Das Schulungsprogramm hat also nicht nur einen enormen Nutzen für die Betroffenen, sondern auch für das Gesundheitssystem und für die Einsparung von Sozial- und Arbeitskosten. Zudem sparen Ärzte und Kliniken viel Zeit, da die Patienten in der Gruppe und nicht im Einzelgespräch informiert werden. Im hektischen Klinikalltag ist das von großem Vorteil. Und auch das Arzt-Patient-Verhältnis wird verbessert: Die Betroffenen sind über ihre Krankheit informiert und können somit Einfluss auf die Behandlung nehmen.
Gute Akzeptanz und hohe Zufriedenheit
Die Teilnehmer waren vom Schulungsprogramm begeistert .Sie beschrieben es als gut verständlich und sehr empfehlenswert. 71 Prozent von ihnen hielten es für einen wichtigen Bestandteil der Rehabilitation. Besonders positiv fanden sie den Erfahrungsaustausch mit anderen Patienten: Für 75 Prozent von ihnen war er hilfreich oder sehr hilfreich, nur 3 Prozent erlebten ihn als belastend. Damit unterschieden sie sich deutlich von der Kontrollgruppe. Hier beschrieben 9,5 Prozent der Teilnehmer den Austausch mit anderen Betroffenen als belastend, und nur 50 Prozent empfanden ihn als hilfreich. Ein Grund dafür kann sein, dass sich die Patienten bei einer stationären Rehabilitation normalerweise spontan über ihre Erfahrungen unterhalten - im Rahmen von Behandlungsmaßnahmen und in der Freizeit. Therapeuten können darauf meist keinen Einfluss nehmen. So werden auch falsche Informationen weitergegeben und Ängste geschürt. Beim Schulungsprogramm hat dagegen ein Trainer die Möglichkeit, in den Erfahrungsaustausch einzugreifen, ausgesprochene Ängste zu relativieren und falsche Informationen zu korrigieren. Somit trägt die Patientenschulung auch dazu bei, unerwünschte Nebeneffekte eines stationären Klinikaufenthaltes zu verringern.
Ansprechpartnerin:
Dr.med. Inge Ehlebracht-König
Rehazentrum Bad Eilsen
Harrl-Allee 2
31707 Bad Eilsen
Tel.:05722/8 84-0
Fax:05722/8 84-4 53
E-Mail: inge.ehlebracht-koenig@lva-hannover.de
Förderung
Förderschwerpunkt: Rehabilitationsforschung
Die gemeinsame Forschungsförderung durch das BMBF und die Rentenversicherung als großem Rehabilitationsträger ist ein Novum in der Gesundheitspolitik. Von 1995 bis 2005 fließen insgesamt ca. 41 Millionen Euro in die deutsche Rehabilitationsforschung, finanziert je zur Hälfte von den beiden Partnern. Die erste Phase der Förderung war im Wesentlichen 2002 abgeschlossen. Von ca. 70 Forschungsprojekten liegen erste Ergebnisse vor. Der wichtige Schritt, die Bewertung und Umsetzung der Ergebnisse in die rehabilitative Praxis, steht noch bevor - dies ist derzeit vor allem Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung.