April 2022

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Alzheimer: Entzündungsmarker frühzeitig auffällig

Schon lange vor dem Auftreten von Demenz gibt es Anzeichen für eine erhöhte Aktivität des Immunsystems des Gehirns. Zu dieser Einschätzung kommen Forschende des DZNE auf der Grundlage einer Studie über Biomarker im Nervenwasser.

Computerbild des Gehirns

Etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Demenz, die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Demenz betroffen. Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie können dazu beitragen, die Erkrankung zu diagnostizieren.

merrydolla/Adobe Stock

In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass das Immunsystem des Gehirns und darauf zurückgehende Entzündungsprozesse – auch „Neuroinflammation“ genannt – die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung maßgeblich mitbestimmen. Vor diesem Hintergrund analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene immunologische Biomarker, die sich durch gute Nachweisbarkeit im Nervenwasser und reproduzierbare Ergebnisse auszeichnen. „Man wusste bereits, dass diese Marker auf Immunprozesse im Kontext der Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Bisher allerdings hatte man nicht so umfassend untersucht, wie wir es nun getan haben, wie diese Marker mit Hirnvolumen, kognitiver Leistung und anderen Parametern zusammenhängen“, erläutert Professor Dr. Michael Heneka, der die aktuelle Studie im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und am Universitätsklinikum Bonn leitete. Seit Anfang dieses Jahres ist er Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine.

„Wir haben festgestellt, dass manche dieser Entzündungsmarker schon dann auffällig sind, wenn es noch keine Symptome von Demenz gibt“, so Heneka. „Anhand der bisher vorliegenden Daten können wir die Vorlaufzeit noch nicht spezifizieren. Aber nach meiner Einschätzung beträgt sie mindestens zehn bis 20 Jahre.“

Umfangreicher Datenbestand

Ausgangspunkt der Untersuchungen waren Daten der sogenannten DELCODE-Studie, in deren Rahmen das DZNE gemeinsam mit bundesweit mehreren Universitätskliniken Demenz und deren Vorstadien erforscht. In das aktuelle Studienprojekt flossen Befunde von rund 300 Frauen und Männern ein, alle älter als 60 Jahre. Zur Probandengruppe zählten neben kognitiv unauffälligen Erwachsenen auch solche mit Gedächtnisproblemen unterschiedlich starker Ausprägung sowie Personen mit Alzheimer-Demenz. Von allen Studienteilnehmenden lagen Proben des Nervenwassers und standardisierte Gedächtnistests vor, von den meisten auch per Magnetresonanztomografie generierte Aufnahmen des Gehirns. Die Daten umfassten neben der Eingangsuntersuchung mindestens eine Nachuntersuchung ein Jahr später. Bei manchen Probanden erstreckten sich die Befunde auf mehrere Nachuntersuchungen aus einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren.

Auffällig auch ohne Demenz

„Es gibt etablierte Biomarker für Amyloid und Tau. Das sind Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung im Gehirn ansammeln und auch im Nervenwasser nachweisen lassen. Deren Messspiegel verändern sich in der Regel, noch bevor Symptome von Demenz auftreten, was als Zeichen für nervenschädigende Prozesse gilt. Wir wollten wissen, ob die Entzündungsmarker in ähnlicher Weise anschlagen“, sagt Dr. Frederic Brosseron, Wissenschaftler am DZNE, der an den aktuellen Untersuchungen maßgeblich beteiligt war. „Tatsächlich haben wir festgestellt, dass die meisten Entzündungsmarker erhöht sind, insbesondere wenn ein Marker für Nervenzellschäden erhöht ist. Das gilt auch, wenn diese Personen noch keine Symptome von Demenz aufweisen. Die von uns erfassten Entzündungsmarker eignen sich also insbesondere, um Neuroinflammation in frühen Krankheitsstadien zu untersuchen.“

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)

Logo DZNE

Das DZNE erforscht sämtliche Aspekte neurodegenerativer Erkrankungen wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Mit seinen zehn Standorten bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene.

Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und gehört zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtet wurden, um die Volkskrankheiten zu erforschen. Es wird vom BMBF und von den Bundesländern gefördert, in denen die Standorte des DZNE angesiedelt sind. Weitere Informationen im Internet unter www.dzne.de sowie auf Facebook unter www.dzne.de/facebook

Hinweise auf Neuroprotektion

Insbesondere zwei dieser Marker – Proteine der „TAM-Rezeptor-Familie“ – scheinen mit einem Schadensbegrenzungsprogramm zusammenzuhängen. Denn bei Studienteilnehmenden mit besonders hohen Werten dieser Marker war das Hirnvolumen vergleichsweise groß und die kognitiven Funktionen gingen im zeitlichen Verlauf langsamer zurück. Um diese Befunde zu verifizieren, analysierte das Team um Heneka die Daten einer Studienkohorte des ACE Alzheimer Center Barcelona mit mehr als 700 Erwachsenen und überwiegend milden kognitiven Beeinträchtigungen. Fazit: Die Ergebnisse aus der DELCODE-Studie wurden bestätigt.

„Entzündungsprozesse sind per se nicht schlecht, sondern vor allem zu Beginn eine normale, schützende Reaktion des Immunsystems auf bedrohliche Reize. Aber sie dürfen nicht zu lange andauern, dafür müssen sie reguliert werden“, so Heneka. Von den Proteinen der TAM-Familie sei bekannt, dass sie Immunreaktionen beeinflussen und die zelluläre Abfallbeseitigung fördern. „Diese Schutzfunktion zu unterstützen wäre ein interessanter Ansatzpunkt für die Pharma-Forschung. Hier sehe ich Anwendungspotenzial für die von uns identifizierten Marker“, sagt Heneka. „Für die Früherkennung von Demenz im Rahmen der Routineversorgung ist die Messung dieser Marker zu aufwendig. Aber bei der Erprobung neuer Medikamente in klinischen Studien gibt es andere technische Möglichkeiten. Für solche Studien benötigt man Indikatoren, um bewerten zu können, ob Maßnahmen anschlagen und getestete Arzneimittel wirksam sind. Die TAM-Marker könnten dafür sehr nützlich sein.“

Originalpublikation:
Brosseron, F., Maass, A., Kleineidam, L. et al. (2022). Soluble TAM receptors sAXL and sTyro3 predict structural and functional protection in Alzheimer’s disease. Neuron (2022), DOI: 10.1016/j.neuron.2021.12.016

Ansprechpartner:
Dr. Marcus Neitzert
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Stabsstelle Kommunikation
Venusberg-Campus 1/99
53127 Bonn
marcus.neitzert@dzne.de