September 2022

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Den Ursachen von Leukämien auf der Spur

Forschende des LeukoSyStem-Konsortiums haben neue Methoden entwickelt und so einen Mechanismus entdeckt, der den Körper vor der Entstehung von Leukämien schützt. Ihre Ergebnisse könnten präzisere Diagnosen und effektivere Therapieansätze möglich machen.

Blutzellen mit weißen Blutkörperchen

Bei Blutkrebserkrankungen entwickeln sich die Zellen nicht zu funktionstüchtigen fertigen Blutzellen, sondern bleiben während ihrer Entwicklung auf einer bestimmten Stufe stehen und vermehren sich immer weiter. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung ist das Blut von weißen Blutkörperchen überschwemmt – dieses „weiße Blut“ ist ein Merkmal der Leukämie.

Simon Raffel, Universitätsklinikum Heidelberg

Die Stammzellen im Knochenmark sind ein wichtiges Reservoir des menschlichen Körpers. Aus ihnen entstehen die zahlreichen unterschiedlichen Zellarten, die im Blut zirkulieren. Eine Stammzelle teilt sich dabei immer in zwei Tochterzellen, von denen sich normalerweise eine in eine reife Blutzelle weiterentwickelt, während die andere als Stammzelle im Knochenmark verbleibt. So entstehen tagtäglich mehrere Milliarden neue Blutzellen, die wichtige Aufgaben wie etwa die Immunabwehr (z. B. die weißen Blutkörperchen) oder die Sauerstoffversorgung (die roten Blutkörperchen) übernehmen.

Da die Stammzellen als Blaupausen für die kommenden Generationen von Blutzellen dienen, müssen sie besonders gut geschützt werden. Denn Fehler im Erbgut würden an die Tochterzellen weitergegeben und damit vervielfältigt. Solche fehlerhaften Blutstammzellen sind der Ausgangspunkt für Blutkrebs. Daher befinden sich Blutstammzellen üblicherweise in einer Art Ruhezustand in einer Nische im Knochenmark. Diese spezielle Umgebung schützt sie vor äußeren Einflüssen und der Ruhezustand wird nur aufgehoben, wenn sie sich dort teilen sollen.

T-Zellen können fehlerhafte Stammzellen aussortieren

Dennoch entstehen gerade bei der Zellteilung immer wieder auch Fehler im Erbgut. Diese mutierten Zellen werden über einen weiteren Schutzmechanismus erkannt und aussortiert, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des LeukoSyStem-Konsortiums nachweisen konnten. „In der Stammzellnische befinden sich Immunzellen, sogenannte T-Zellen, die regelmäßig überprüfen, ob die Blutstammzellen gefährliche Veränderungen aufweisen. Falls ja, sortieren sie diese aus“, erläutert Dr. Simon Haas vom Berlin Institute of Health (BIH) der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Er koordiniert das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Konsortium.

Die T-Zellen erkennen die veränderten Stammzellen anhand bestimmter Signalmoleküle auf deren Zelloberfläche. Dieser Erkennungsmechanismus ist bislang ausschließlich für eine bestimmte Zellart beschrieben worden, die professionellen antigenpräsentierenden Zellen. Diese sind Teil der Immunabwehr. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, die T-Zellen zu aktivieren, indem sie Fragmente von Krankheitserregern oder krankhaft veränderten Zellen aufnehmen und dann auf ihrer Oberfläche präsentieren. Das aktiviert die T-Zellen, und die zelluläre Immunantwort, bei der die T-Zellen die antigenpräsentierenden Zellen direkt zerstören, wird eingeleitet.

Auch die mutierten Stammzellen präsentieren über diesen Mechanismus Bruchstücke ihrer eigenen Eiweiße und aktivieren so die T-Zellen. Diese entfernen die mutierten Stammzellen, sodass sie nicht mehr als Blaupause für Tochterzellen dienen können. Dieser elegante Schutzmechanismus verhindert aktiv die Entstehung von Blutkrebs.

Systemmedizin

Bereits seit 2013 fördert das BMBF die Systemmedizin in Deutschland. Bestandteil des Förderkonzeptes „e:Med – Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin in Deutschland“, für das insgesamt 340 Millionen Euro zur Verfügung stehen, sind auch die drei Fördermaßnahmen des Moduls III „Nachwuchsförderung“. Sie richten sich an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch der Juniorverbund LeukoSyStem ist Teil dieser Nachwuchsförderung.
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Eine neue Methodik ermöglicht ein präzises Verständnis der Leukämie-Entstehung

Auf den bislang unbekannten Schutzmechanismus sind die Forschenden durch den Einsatz neuster Technologien gestoßen. Ihr eigentliches Forschungsziel ist es, zu verstehen, wie Leukämische Stammzellen entstehen – Stammzellen, die aufgrund einer genetischen Veränderung eine Leukämie auslösen können. „Um Leukämien heilen zu können, müssen diese Leukämischen Stammzellen gezielt abgetötet werden. Bislang ist das noch nicht möglich. Die Entwicklung solcher Therapieansätze wird unter anderem dadurch erschwert, dass zu wenig über diese Blutstammzellen bekannt ist“, ergänzt Dr. Simon Raffel, Mediziner und Leukämieforscher am Universitätsklinikum Heidelberg und ebenfalls Mitglied des LeukoSyStem-Konsortiums. Diese Wissenslücke sollen die Forschungsarbeiten im Konsortium schließen – und damit den Weg für neue Diagnose- und Therapieansätze beispielsweise der akuten myeloischen Leukämie (AML) ebnen, einer bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems im Knochenmark.

Um sowohl gesunde Stammzellen als auch deren Entwicklung in erkrankte Leukämische Stammzellen zu untersuchten, entwickeln die Forschenden hochpräzise Methoden – sogenannte Einzelzell-Technologien. „Mittels dieser Methoden können wir sowohl die Genaktivität, Oberflächenmoleküle als auch genetische Veränderungen in Tausenden von einzelnen Stammzellen gleichzeitig auslesen“, sagt Dr. Lars Velten, assoziiertes Mitglied im Konsortium. Die so gewonnenen Informationen führten die Forschenden zu einer hochpräzisen Karte zusammen, die die Entwicklung der verschiedenartigen Blutzellen darstellt. Damit sind sie in der Lage, den Entwicklungsprozess der Zellen, aber auch die Entstehung von Leukämiezellen besser nachzuvollziehen. „Um die komplexen und riesigen Datenmengen zu interpretieren, die beim Einsatz solcher Technologien entstehen, entwickeln wir neuartige mathematische und computergestützte Methoden“, erläutert Dr. Laleh Haghverdi, Physikerin vom MDC und verantwortlich für die Entwicklung von bioinformatischen Methoden im Konsortium.

Mittels der eigens entwickelten Einzelzell-Analysen suchen die Forschenden des Konsortiums nun systematisch nach Biomolekülen, die für die Behandlung und Diagnose von Leukämien relevant sein könnten. Letztlich hoffen die Forschenden die Entwicklung der AML nachzuvollziehen und Resistenzmechanismen zu erkennen, mit denen sich die krankhaften Zellen einer Therapie entziehen.

Originalpublikationen:
Triana, S., Vonficht, D., Jopp-Saile, L., et al. (2021). Single-cell proteo-genomic reference maps of the hematopoietic system enable the purification and massive profiling of precisely defined cell states. Nat Immunol 22, 1577–1589 (2021). DOI: 10.1038/s41590-021-01059-0

Velten, L., Story, B.A., Hernández-Malmierca, P., et al. (2021). Identification of leukemic and pre-leukemic stem cells by clonal tracking from single-cell transcriptomics. Nat Commun 12, 1366 (2021).
DOI: 10.1038/s41467-021-21650-1

Hernández-Malmierca, P., Vonficht, D., Schnell, A., et al. (2022). Antigen presentation safeguards the integrity of the hematopoietic stem cell pool. Cell Stem Cell 29, 760–775 (2022). DOI: 10.1016/
j.stem.2022.04.007

Ansprechpartner:
Dr. Simon Haas
Berlin Institute of Health (BIH)
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
Hannoversche Straße 28
10115 Berlin
Simon.Haas@bih-charite.de