Wie lassen sich krebsfördernde Genveränderungen bei Kindern und Jugendlichen mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) unschädlich machen? Dank neuer Erkenntnisse hoffen Freiburger Forschende, diese Blutkrebserkrankungen künftig gezielter behandeln zu können.
Gerade weil manche Krankheiten so selten sind, ist es oft schwierig, wirkungsvolle Ansätze zu ihrer Behandlung zu finden. Als „selten“ gelten Erkrankungen, die nicht mehr als eine von 2.000 Personen betreffen. Hierzu gehört auch eine Erkrankung des Knochenmarks: das myelodysplastische Syndrom, abgekürzt MDS. Anders als bei Erwachsenen ist MDS bei Menschen in jungen Jahren selten zu beobachten – in Deutschland wird es jedes Jahr nur bei etwa 30 Kindern und Jugendlichen diagnostiziert.
MDS entsteht bei jungen Patientinnen und Patienten häufig infolge einer angeborenen genetischen Veränderung, beispielsweise im sogenannten GATA2-Gen oder im SAMD9- und SAMD9L-Gen. Forschende des Universitätsklinikums Freiburg und des St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis (USA) nehmen diese Genveränderungen im Rahmen der Forschungsverbünde GATA2HuMO und MyPred genauer in den Blick. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert beide Verbünde seit 2019 mit insgesamt 2,8 Millionen Euro in den Fördermaßnahmen ERA PerMed, dem europäischen Netzwerk zur personalisierten Medizin, sowie der BMBF-Förderinitiative „Translationsorientierte Verbundvorhaben im Bereich der Seltenen Erkrankungen“.
Um zu funktionsfähigen Blutzellen zu reifen, müssen Blutstammzellen im Knochenmark bestimmte Prozesse durchlaufen. Bei Menschen mit einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) sind diese Prozesse jedoch gestört. Es werden nicht genügend funktionstüchtige Blutzellen im Knochenmark gebildet. Bei einem Teil der Betroffenen besteht das Risiko, dass die Erkrankung in eine besondere Form von Blutkrebs übergeht, die akute myeloische Leukämie.
Bei älteren Menschen zählt MDS zu den häufigsten bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks, bei Kindern und Jugendlichen tritt sie sehr selten auf. In Deutschland erhalten jedes Jahr etwa 30 junge Patientinnen und Patienten die Diagnose MDS. Diesen Kindern und Jugendlichen kann oft nur eine Stammzelltransplantation helfen.
Veränderungen in den Genen hemmen Wachstum funktionsfähiger Blutzellen
Liegt im GATA2- oder im SAMD9/SAMD9L-Gen eine Veränderung vor, ist auch die Funktion zahlreicher anderer Gene gestört. Dies wiederum hat gravierende Folgen für das Immunsystem und die Blutzellen und kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass eine besonders aggressive Form der Leukämie entsteht. Gestützt auf eine in Freiburg durchgeführte Langzeitstudie mit 669 Kindern und Jugendlichen in Deutschland und anderen europäischen Ländern konnte die sehr selten auftretende Krankheit MDS und ihre genetische Basis nun besser untersucht werden. Ermöglicht wurde die Studie durch die enge Kooperation mit der Europäischen Arbeitsgruppe für MDS im Kindesalter.
„Wir haben bei etwa acht Prozent der Betroffenen angeborene Veränderungen im SAMD9- oder SAMD9L-Gen gefunden“, sagt Dr. Marcin Wlodarski, Facharzt an der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie und Arbeitsgruppenleiter an der Uniklinik Freiburg und am St. Jude Hospital. „Diese Mutationen führen zu einer Wachstumshemmung der Blutstammzellen im Knochenmark und einem komplexen Krankheitsbild. Infolgedessen kann es zu einem Knochenmarksversagen, einem erhöhten Risiko für MDS und letztendlich einer akuten myeloischen Leukämie kommen.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten zu dieser Analyse eine neue Methode der Einzelzellanalyse entwickelt, die unerwartete Erkenntnisse brachte. „Durch die genetische Untersuchung einzelner Zellen aus dem Knochenmark von Patienten konnten wir zeigen, dass mehrere Zellen auf unterschiedliche Weise die geerbte Genveränderung wieder ausschalten – einen Prozess, den wir als ‚natürliche‘ Gentherapie bezeichnen“, so Privatdozentin Dr. Miriam Erlacher, Sprecherin des BMBF-Verbunds MyPred und ärztliche Leiterin der koordinierenden Studienzentrale der EWOG-MDS-Studie in Freiburg. Dieses genetische Phänomen ist einzigartig und wird zum Beispiel bei der GATA2-Defizienz, der zweithäufigsten MDS-Prädisposition, nicht beobachtet.
ERA PerMed – paneuropäische Forschungsförderung zur personalisierten Medizin
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Forschungsprojekt GATA2-HuMO im Rahmen der Fördermaßnahme ERA PerMed. Dieses europäische Netzwerk ist ein Konsortium aus 32 nationalen Förderorganisationen aus 23 Ländern sowie mehreren Regionen, die die personalisierte Medizin in Europa voranbringen und nationale Forschungsaktivitäten koordinieren wollen. Ziel der personalisierten Medizin ist es, spezifisch für jeden Menschen und zur richtigen Zeit maßgeschneiderte Behandlungsstrategien oder Präventionsansätze anzubieten.
Im Verbund „GATA2HuMo“ erforschen Teams aus Deutschland, Spanien und Ungarn genetische Prädispositionen des MDS, hier mit besonderem Fokus auf Veränderungen in einem bestimmten Gen, dem GATA2-Gen.
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ERA PerMed
Weitere Studien sollen natürliche Reparatur im Detail charakterisieren
Laut den in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlichten Forschungsergebnissen trat bei 61 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer SAMD9/SAMD9L-Genmutation eine sogenannte somatische genetische Rettung auf. Hierbei handelt es sich um Kompensationsmechanismen, die zum Teil mit einer Verbesserung der Blutbildung einhergingen, zum Teil mit einer schlechteren Situation. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei Kindern mit einer SAMD9/SAMD9L-Genmutation häufig natürliche Rettungsmechanismen in Gang gesetzt werden.“
Diese Beobachtungen könnten einen Meilenstein im Verständnis von Erkrankungen des blutbildenden Systems bilden, müssen aber noch durch zusätzliche Forschungsarbeiten gestützt werden. „In weiteren Studien wollen wir die natürliche Reparatur bei Kindern und Jugendlichen mit diesen genetischen Veränderungen im Detail charakterisieren und diese Information für die präklinische Entwicklung einer Gentherapie nutzen“, beschreibt Wlodarski die nächsten Schritte. So hoffen die Forschenden, die Blutbildung normalisieren und Knochenmarktransplantationen vermeiden zu können.
Förderschwerpunkt „Translationsorientierte Verbundvorhaben im Bereich der Seltenen Erkrankungen“
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert zur Erforschung Seltener Erkrankungen bereits seit 2003 deutschlandweit vernetzte Forschergruppen. In der nunmehr vierten Förderphase (2019 bis 2022) werden elf Forschungsverbünde mit einer Gesamtsumme von 34 Millionen Euro gefördert, darunter auch der Verbund „MyPred“.
Bei „MyPred“ arbeiten Forscherteams aus Freiburg, Tübingen, Hannover, Frankfurt und Düsseldorf gemeinsam an der Aufklärung genetischer Ursachen bösartiger Erkrankungen des Knochenmarks und an der Verbesserung der Therapie.
Mehr Informationen zu der Fördermaßnahme
Seltene Erkrankungen - Nationale Förderung
Originalpublikation:
Sahoo, S., Niemeyer, C., Wlodarski, M. et al. (2021). Clinical evolution, genetic landscape and trajectories of clonal hematopoiesis in SAMD9/SAMD9L syndromes. Nature Medicine 2021; Oct 07,
DOI: 10.1038/s41591-021-01511-6
Ansprechpartner:
Dr. Marcin Wlodarski (für GATA2HuMo)
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin –
Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
Universitätsklinikum Freiburg
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
0761 270-44671
marcin.wlodarski@uniklinik-freiburg.de
PD Dr. Miriam Erlacher (für MyPred)
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin –
Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
Universitätsklinikum Freiburg
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
0761 270-44200
miriam.erlacher@uniklinik-freiburg.de