In Berlin eröffnete Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger eine zweitägige Fachkonferenz, bei der eine mögliche Neuregelung des in Deutschland geltenden Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes reflektiert und diskutiert wird.
„Humane Embryonen in der medizinischen Forschung: Tabu? Vertretbar? Chance?“ – dieses forschungspolitisch hoch relevante und zugleich gesellschaftlich sehr sensible Thema steht im Mittelpunkt einer zweitägigen Fachkonferenz, die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger am gestrigen Montag in Berlin eröffnet hat. An der Konferenz nehmen ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland sowie unterschiedlichen Disziplinen teil: Medizin, Biologie, Ethik, Theologie, Sozial- und Rechtswissenschaften.
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger fasste die wichtigsten Fragen zu Beginn der Konferenz noch einmal zusammen: Soll die derzeit verbotene Forschung an frühen humanen Embryonen und embryonalen Stammzellen oder anderer Arten pluripotenter Stammzellen und neuartiger Zellstrukturen möglich sein? Und wenn ja, welche Art von Forschung und unter welchen Bedingungen? Wo sollen die Grenzen der Forschung liegen? „Die Diskussion dazu ist dringend nötig und die Konferenz eröffnet sie neu“, erklärte die Ministerin, „wir brauchen Gesetze, die mit der Zeit gehen und neuen Erkenntnissen Rechnung tragen“. Um den Anschluss an die internationale Forschung nicht zu verpassen, gelte es, Chancen für die Medizin zu ergreifen, ohne mögliche Risiken außer Acht zu lassen. „Wir brauchen den Austausch und wir brauchen ihn jetzt“, verdeutlichte Stark-Watzinger. „Kein Argument soll ungehört bleiben – aber wichtig ist, dass ein Diskurs darüber stattfindet, wir ihn in die Breite tragen und transparent gestalten.“
Auch der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Professor Dr. Gerald H. Haug, sprach sich für einen zeitgemäßen Umgang mit dem Thema aus. „In der Medizin profitieren wir von Forschung, die in Deutschland selbst nicht möglich ist“. So wie die Wissenschaft sich weiterentwickelt habe, sei auch die politische Debatte hierzulande von einer neuen Dynamik geprägt. Für die Wissenschaft erneuerte Haug die Hoffnung, dass die Konferenz der Neubewertung des Schutzes von in-Vitro-Embryonen einen Schritt näherkommen werde.
Potenziale erschließen und zugleich ethischen Belangen Rechnung tragen
Der Einsatz von frühen humanen Embryonen in der medizinischen Forschung wird in Deutschland kontrovers diskutiert – hier werden medizinische, rechtliche und vor allem auch zentrale ethische Fragen berührt. Einerseits können embryonale Stammzellen und die aus ihnen gewonnenen Zelllinien helfen, die Entstehung und Entwicklung von Krankheiten besser zu verstehen und damit auch neue Therapien zu ihrer Behandlung zu entwickeln. Hier sind auf internationaler Ebene in den vergangenen Jahren wichtige Erkenntnisse und Fortschritte erzielt worden, zu denen die deutsche Wissenschaft bislang nur begrenzt beitragen konnte. Denn in Deutschland ist die Forschung mit humanen Embryonen nach dem seit 1990 geltenden Embryonenschutzgesetz (ESchG) grundsätzlich verboten und die Forschung mit sowie die Nutzung von humanen embryonalen Stammzellen nur in den engen Grenzen des Stammzellgesetzes (StZG) zulässig.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich wiederholt für eine kritische Reflexion und Debatte über die in Deutschland geltenden Regelungen eingesetzt – auch, um einen Beitrag zu diesem Forschungsfeld leisten zu können und international konkurrenzfähig zu bleiben. Bei der Konferenz in Berlin geht es darum, mögliche Optionen für Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen auszuloten und am Beispiel von Lösungen aus anderen Ländern zu diskutieren. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie kann das Potenzial der Forschung erschlossen und nutzbar für neue Therapieansätze gemacht und gleichzeitig ethischen und rechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden?
Vorträge, Workshops und Diskussionen zu medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten
Vorträge, Workshops und Diskussionen der Tagung beleuchteten das Potenzial der Embryonenforschung für die moderne Medizin, ethische und rechtliche Aspekte aus deutscher Sicht sowie im internationalen Vergleich.
Die Suche nach gesellschaftlich tragfähigen Kompromissen unter Einbeziehung auch sozialwissenschaftlicher und empirischer Expertise und stärkere Partizipationsmöglichkeiten für Betroffene – in diesem Wunsch für eine künftige Debatte waren sich die Expertinnen und Experten einig, die auf dem Podium die Frage „Wollen wir diesen Fortschritt wagen?“ erörterten. Teilnehmende der Diskussion waren Professorin Dr. Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Dr. Jan Ellenberg vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL), und Professor Dr. Ulrich Willems, Politologe an der Universität Münster. Ebenfalls auf dem Podium vertreten waren die Psychotherapeutin Dr. Almut Dorn, Dr. Markus Rothhaar, Philosoph und Medizinethiker, sowie Professorin Dr. Claudia Wiesemann vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen.
Wichtige Impulse für die Debatte lieferte der Vortrag des Theologen und Medizinethikers Professor Dr. James F. Childress. Der US-Amerikaner erlangte weltweites Renommee mit der Entwicklung von vier Grundprinzipien der Bioethik: Fürsorge und Schadensvermeidung, Gerechtigkeit und Respekt vor der Autonomie von Betroffenen. Übertragen auf die Embryonenforschung ergeben sich aus ihnen Schlüsselfragen, die einer sorgfältigen Abwägung bedürfen.
Impulse für breiten gesellschaftlichen Austausch
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) möchte mit der Ausrichtung der Fachkonferenz einen Beitrag zu einem informierten und breiten gesellschaftlichen Austausch leisten.
Redebeiträge und Thesenpapiere werden im Nachgang der Konferenz in einer Dokumentation aufbereitet für weitere Schritte einer möglichen Neuregelung und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ausführliche Informationen zur Konferenz finden Sie hier:
Humane Embryonen in der medizinischen Forschung: Tabu? Vertretbar? Chance?