29.08.2022

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„Lebererkrankungen spürt man oft zu spät“

Im Interview erklärt Leberexperte Prof. Dr. Beat Müllhaupt vom Universitätsspital Zürich, was Lebererkrankungen so gefährlich macht und wie man seine Leber schonen kann. Müllhaupt ist der neue Programmdirektor des BMBF-geförderten Netzwerks LiSyM-Krebs.

Schematische Darstellung von Tumorzellen in der menschlichen Leber

Schleichende Gefahr: Vernarbungen der Leber können zur Entstehung von Leberkrebs führen.

SciePro / Adobe

Sie sind bereits seit Ende der 1980er Jahren in der Leberforschung aktiv. Was hat sich seitdem getan?

Als ich angefangen habe, gab es praktisch keine Therapien und die Diagnostik steckte noch in den Kinderschuhen. Mit Blutuntersuchungen können wir Lebererkrankungen inzwischen viel genauer einordnen und mit Bildgebungsverfahren wie dem Ultraschall können wir feststellen, ob es schon zu einer Zirrhose – einer irreversiblen Vernarbung des Organs – gekommen ist. Auch bei der Therapie hat sich viel getan. Eine Infektion mit Hepatitis C ist sogar heilbar geworden. Das ist ungewöhnlich für Viruserkrankungen. Andere Erkrankungen wie Leberzirrhose können wir aktuell leider nur verzögern – eine echte Heilung gibt es da nicht. Aber selbst für Patientinnen und Patienten mit Leberkrebs gibt es seit Anfang der 1990er Jahre dank der modernen Transplantations-Medizin neue Hoffnung.

Wodurch entstehen Lebererkrankungen?

Die Auswirkungen von Alkoholkonsum auf die Leber sind allgemein bekannt. Wenn Männer etwa mehr als 400 Milliliter Wein pro Tag trinken, schadet das der Leber. Für Frauen sind es sogar nur 200 Milliliter am Tag. Übergewicht ist ebenfalls ein Problem. Aber es ist nicht immer einfach, seinen Lebenstil zu ändern. Dabei könnte man durch sein eigenes Zutun vieles für seine Leber tun. Neben diesen bekannten Risiken spielt sicherlich auch der genetische Hintergrund eine Rolle, dieser kann eine Person empfindlicher machen als eine andere. Das verstehen die Betroffenen oft nicht: wieso der Nachbar, der gleich viel isst oder trinkt, keine Probleme mit der Leber hat und sie schon. So können verschiedene chronische Viruserkrankungen und seltene genetische oder autoimmune Lebererkrankungen über die Jahre zu einer Leberfibrose oder -zirrhose führen.

Was empfehlen Sie Ihren Patientinnen und Patienten, um ihre Leber zu schonen?

Eine vernünftige Ernährung ist gut, also eiweißreich und nicht zu kalorienreich. Grundsätzlich kann aber jeder Mensch essen, was ihm schmeckt. Es ist eher eine Frage der Menge und der Zusammensetzung. Junkfood und Süßgetränke mit künstlichem Zucker sind allerdings grundsätzlich nicht gut. Sogar Alkohol in einem vernünftigen Maß ist kein Problem, aber regelmäßiger, täglicher Alkoholkonsum kann gefährlich werden. Lebererkrankungen spürt man oft zu spät.

Leberexperte Beat Müllhaupt ist der neue Programmdirektor des Netzwerks LiSyM-Krebs

Freut sich auf die Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachdisziplinen: Leberexperte Beat Müllhaupt ist der neue Programmdirektor des Netzwerks LiSyM-Krebs.

Universitätsspital Zürich

Wieso merken die Betroffenen es nicht früher?

Leberpatientinnen und -patienten empfinden in der Regel keine Schmerzen. Viele Betroffene klagen über ein unspezifisches Druckgefühl im Oberbauch. Aber das ist ein Gefühl, mit dem man gut leben kann und dem man meistens keine Bedeutung beimisst. Auch sonst sind die Symptome der Lebererkrankungen sehr unspezifisch. So kann etwa Müdigkeit viele verschiedene Ursachen haben. Es ist schwierig für die Hausärztin oder den Hausarzt, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Deshalb brauchen wir die Bluttests und bildgebende Verfahren, um Lebererkrankungen zu diagnostizieren.

Wie reagieren die Patientinnen und Patienten auf die Diagnose?

Wenn sie keine Symptome haben, fällt es ihnen schwer zu realisieren, dass sie auf dem Weg zur Zirrhose sind und etwas tun müssen. Besonders, wenn im sozialen Umfeld alle Alkohol trinken und viel essen. Deshalb sind alle Tests, die dazu führen, dass man Lebererkrankungen früher erkennen kann, sehr hilfreich. Wir können den Patientinnen und Patienten dann erklären, dass sie nicht mehr nur eine Fettleber haben, sondern schon Vernarbungen oder sogar schwere Vernarbungen. Das ist ein Weckruf für die Betroffenen. Einigen gelingt es dann auch, ihren Lebensstil zu verändern.

Warum sind Vernarbungen der Leber so gefährlich?

Alle chronischen Lebererkrankungen führen schlussendlich zu einer Entzündungsreaktion. Dadurch entstehen Vernarbungen, bei denen das normale Lebergewebe durch Bindegewebe ersetzt wird. Wenn das ein gewisses Ausmaß überschreitet, wird die Funktion der Leber eingeschränkt und das Blut kann nicht mehr normal durch die Leber fließen. Im Frühstadium ist das noch rückbildungsfähig. Nicht mehr jedoch, wenn sich bereits eine Zirrhose ausgebildet hat. Die Leber verliert ihre Regenerationsfähigkeit und es kann zu Leberkrebs kommen.

Wodurch entsteht Leberkrebs?

Leberkrebs ist in der Regel eine Folge der Leberzirrhose. Es gibt aber auch Ausnahmen. Eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus kann etwa ohne Zirrhose zu Leberkrebs führen. Auch bei der nicht alkoholischen Fettleber haben wir lernen müssen, dass Leberkrebs vor der Zirrhose entstehen kann.

Kann man sagen, dass Lebererkrankungen vor allem eine Zivilisationskrankheit sind?

Die nicht alkoholische Fettlebererkrankung aufgrund von Übergewicht wird tatsächlich immer häufiger. Man geht davon aus, dass circa 20 Prozent der Menschen in Europa eine Fettleber haben. Als ich angefangen habe, kannte man diese Krankheit fast nicht. Inzwischen ist sie der häufigste Grund für eine Lebertransplantation in der westlichen Welt. Die Schwierigkeit ist zu entscheiden, wer eine Behandlung in einer spezialisierten Abteilung braucht. Es wäre gut, wenn die Hausärztin oder der Hausarzt etwa anhand eines Bluttests sagen könnte, wer Gefahr läuft, in Richtung Zirrhose zu gehen. Das ist allerdings eine große Herausforderung. Solche Tests zu entwickeln ist auch eines der Ziele des BMBF-geförderten Netzwerks LiSyM-Krebs.

Seit Anfang 2022 sind Sie Programmdirektor dieses Netzwerks, was hat Sie an der Aufgabe gereizt?

Mich hat die Einzigartigkeit gereizt. So viele verschiedene wissenschaftliche Fachdisziplinen, wie Medizin, Grundlagenforschung und Modellierung, kommen zusammen, um an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Es gilt, die Diagnostik und Therapie von Leberkrebs im Rahmen der Fettleber besser zu verstehen und daraus präventive Maßnahmen abzuleiten. Wenn uns das gelingt, wäre das für viele Patientinnen und Patienten ein Gewinn, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Forschungsnetz zur Früherkennung und Prävention von Leberkrebs

Die Maßnahme LiSyM-Krebs setzt die erfolgreichen Forschungsaktivitäten der BMBF-Vorgängerprogramme HepatoSys und HepatoSys II, Die Virtuelle Leber sowie LiSyM fort. Die dort gewonnenen Erkenntnisse fließen nun in die Umsetzung der Ziele des Forschungsnetzes LiSyM-Krebs ein, das am 1. Juli 2021 gestartet ist. Es besteht aus interdisziplinären Kooperationen der Disziplinen Medizin, Informatik, mathematischer Modellierung und Molekularbiologie, die in drei Verbundvorhaben organisiert sind. Die Forschungsgruppen untersuchen klinisch-relevante Fragestellungen und Ziele. Zum einen versuchen sie mit Hilfe sogenannter Multiskalen-Ansätze, den kritischen „Kipp-Punkt“ am Übergang von einer Fettlebererkrankung zum Lebertumor zu identifizieren. Zum anderen wollen sie die Diagnosemöglichkeiten früher Leberkrebsstadien verbessern. Darüber hinaus haben sie sich das Ziel gesetzt, verlässliche, nicht-invasive Verfahren zur Diagnose sowie individualisierte Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Neben den Forschungsverbünden fördert das BMBF ein eigenes Programm-Management zur Steuerung des Netzwerks sowie ein zentrales Daten-Management.