Rund 250.000 Menschen in Deutschland sind an MS erkrankt. Um sie zielgenauer behandeln und Neuerkrankungen früher erkennen zu können, nutzen Forschende des Medizininformatik-Konsortiums DIFUTURE intelligente Datenanalysen.
„Voll im Leben – mit MS“ – das ist das Motto des Welt-MS-Tages 2022 in Deutschland. Die Verläufe dieser Erkrankung variieren stark. Einige Patientinnen und Patienten entwickeln rasch Behinderungen, die sie in ihrem täglichen Leben stark einschränken. Andere dagegen können – selbst ohne Behandlung – über Jahrzehnte hinweg nahezu unbeeinträchtigt leben. Dennoch: Unter jungen Erwachsenen ist die MS-Erkrankung nach wie vor eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen – trotz vieler Fortschritte in Forschung und Versorgung.
Multiple Sklerose – etwa 15.000-mal im Jahr erhalten Menschen in Deutschland diese Diagnose. Ein Schock für die Betroffenen, der viele Fragen aufwirft: Wie geht es jetzt weiter? Werde ich meinen Beruf weiter ausüben, eine Familie gründen und Zukunftspläne schmieden können? Was ein Leben mit MS bedeutet und wo Hilfe zu finden ist, darüber informiert die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) im Rahmen des Welt-MS-Tages. Zahlreiche Aktionen rund um den 30. Mai sollen es Erkrankten und ihren Angehörigen ermöglichen, Kontakte zu knüpfen, Erfahrungen zu teilen und zu zeigen, was ihnen weitergeholfen hat.
Eine frühzeitige Behandlung kann den Verlauf einer MS-Erkrankung heute nachhaltig verbessern. Das erfordert jedoch eine frühe Diagnose und eine dem voraussichtlichen Verlauf der Erkrankung – mild oder schwer – angepasste Therapie. Genau hier setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Konsortium DIFUTURE der Medizininformatik-Initiative an. „Wir analysieren standardisierte Patientendaten, um MS-Erkrankungen künftig auch in sehr frühen Stadien sicher zu entdecken und den Verlauf abzuschätzen. Dadurch können wir rechtzeitig maßgeschneiderte Therapien einleiten – und so die Aussicht der Betroffenen auf einen milden Krankheitsverlauf verbessern“, so Professor Dr. Bernhard Hemmer, Direktor der Klinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM).
Datenbasierte Forschung liefert neue Erkenntnisse
Das TUM-Klinikum erhebt zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der Universität Tübingen, der Universität Ulm und dem Klinikum Augsburg zahlreiche Forschungs- und Versorgungsdaten von Menschen mit MS – von Vorerkrankungen und Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieerfolgen bis hin zu Bilddaten aus der Diagnostik. „Unsere Informatiker vereinheitlichen all diese Informationen und führen sie zu einem digitalen Erfahrungsschatz zusammen, der für uns Kliniker unglaublich wertvoll ist“, so Professor Dr. Martin Boeker, Professor für Medizininformatik an der TUM und Sprecher von DIFUTURE. „Mit modernen IT-Lösungen können wir daraus verlässliche Aussagen gewinnen – neue Erkenntnisse, die wir aus einzelnen Patientenakten niemals herauslesen könnten.“ Dabei setzt DIFUTURE auch Methoden der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens ein.
Ansatzpunkte für eine bessere MS-Diagnostik
Durch die Analyse der Daten konnte DIFUTURE nachweisen, dass viele Patientinnen und Patienten schon fünf Jahre vor ihrer MS-Diagnose ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen – mit Symptomen wir Angststörungen, depressiven Phasen oder unspezifischen Seh- und Gefühlsstörungen. Diese Symptome wurden jedoch oft nicht richtig gedeutet. „Unsere Ergebnisse können Ärztinnen und Ärzten künftig helfen, die Erkrankung auch in frühen Stadien besser zu erkennen“, sagt Hemmer.
Verlässliche Prognosen – personalisierte Therapien
Biostatistiker und Bioinformatiker spüren in dem Datenpool von DIFUTURE noch weitere wichtige Zusammenhänge auf: Unter welchen Voraussetzungen verlaufen Krankheitsverläufe ähnlich? Und welche Therapie verspricht bei welchem Verlauf die besten Ergebnisse? „Auf der Basis unserer Datenanalysen haben wir ein Modell entwickelt, das den Verlauf einer MS-Erkrankung individuell vorhersagen soll“, so Professor Dr. Ulrich Mansmann, Direktor des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der LMU. Die Treffsicherheit dieser Vorhersagen wird in der klinischen Praxis aktuell geprüft. „Erweisen sich die berechneten Prognosen als zuverlässig, kann das Modell Ärztinnen und Ärzten künftig als digitaler Expertenberater zur Seite stehen und ihnen helfen, Menschen mit MS präziser und personalisiert zu behandeln.“
Die datenbasierte Gesundheitsforschung stellt hohe Anforderungen an den Schutz und die Sicherheit der Patientendaten. So setzt die Nutzung dieser Daten zu Forschungszwecken stets das Einverständnis der Patientinnen und Patienten voraus. Die mit der Datensicherheit verbundenen technischen Herausforderungen löst DIFUTURE unter anderem durch das Prinzip des „verteilten Rechnens“: Um die Daten vieler Kliniken nutzen zu können, bringen die Biostatistiker und Bioinformatiker ihre Auswerteverfahren zu den Daten – und nicht die Daten zu ihren Analysewerkzeugen. Das heißt: Die Patientendaten verlassen niemals das Krankenhaus, in dem sie gesammelt und gespeichert werden.
Medizininformatik-Initiative – die Eckdaten
Daten vernetzen, Gesundheitsversorgung verbessern – dafür stehen die MII und die Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit der Bundesregierung. Das Förderprogramm ist modular aufgebaut: