26.10.2023

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Schizophrenie: Regelmäßige Bewegung lindert Symptome

Körperliche Aktivität kann wesentlich dazu beitragen, bei Menschen mit Schizophrenie die psychischen und kognitiven Symptome abzumildern und die Lebensqualität zu verbessern. Das zeigen Ergebnisse aus dem BMBF-geförderten Forschungsverbund ESPRIT.

Frau und Mann liegen auf dem Bauch und machen Rückenübungen; im Hintergrund weitere Sportgeräte

Kontinuierliche körperliche Aktivitäten, egal ob zur Stärkung von Ausdauer, Kraft oder Beweglichkeit, mildert psychische und kognitive Symptome der Schizophrenie und erleichtert so den Betroffenen, Alltag und Beruf zu bewältigen.

DLR Projektträger / BMBF

Ob Krebs, Diabetes oder Herzinfarkt: Immer mehr Ergebnisse aus der Gesundheitsforschung zeigen, dass Bewegung und körperliche Aktivitäten nicht nur wünschenswert sind, sondern nachweislich vorbeugende wie auch heilende Wirkung haben. Dieser Effekt wurde jetzt erstmals in einer großangelegten Studie im Rahmen des Forschungsverbundes ESPRIT auch für die Schizophrenie nachgewiesen. Es zeigte sich, dass Ausdauertraining sowie Kraft- und Gleichgewichtstraining die Krankheitssymptome der Betroffenen linderten. Untersuchungen des Gehirns stützten diese Beobachtung, denn sie ergaben, dass sich die mit der Erkrankung verbundenen Veränderungen in bestimmten Gehirnarealen wieder normalisieren. „Damit eröffnen sich ganz neue Therapiemöglichkeiten für Menschen mit Schizophrenie“, sagt der Leiter des Teilprojektes ESPRIT Professor Dr. Peter Falkai von der Universität München. Das BMBF förderte die Arbeiten im Teilprojekt mit mehr als 470.000 Euro.

Erstmals verschiedene Trainingsformen verglichen

„Bisherige Studien haben gezeigt, dass Ausdauertraining eine positive Wirkung auf jene Patientinnen und Patienten hat, die schon seit längerem an Schizophrenie leiden“, berichtet Falkai. Im ESPRIT-Teilprojekt wollten die Forschenden prüfen, ob erstens auch kürzlich erkrankte Menschen davon profitieren, und ob zweitens zusätzliche klinische Verbesserungen neben der Standardtherapie erzielt werden können. Insgesamt 180 Betroffene nahmen an der Studie teil. Die eine Hälfte durchlief ein Ausdauertraining, bei dem sie dreimal wöchentlich 40 bis 50 Minuten auf einem Fahrradergometer entsprechend ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit trainierten. Die andere Hälfte machte ein Kraft- und Gleichgewichtstraining. Die Untersuchungen fanden parallel zu medikamentöser Behandlung statt.

Drei und sechs Monate nach einem Training sowie im Anschluss an eine Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten prüften die Forschenden, ob sich bei den Teilnehmenden klinische und körperliche Veränderungen einstellten. Dazu untersuchten sie beispielsweise, wie sich die charakteristischen Krankheitssymptome, die kognitiven Fähigkeiten wie das Gedächtnis oder die Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu bewältigen, aber auch das häufig gleichzeitig gefährdete Herz-Kreislauf-System entwickelten. Außerdem betrachteten sie mithilfe von bildgebenden Verfahren wie dem MRT (Magnetresonanztomographie) das Gehirn und hier insbesondere den Hippocampus, also das Hirnareal, das bei an Schizophrenie erkrankten Menschen allmählich an Substanz verliert.

Positive Effekte körperlicher Aktivität nachgewiesen

„Die Ergebnisse waren teilweise unerwartet, insgesamt aber sehr ermutigend“, sagt Projektleiter Falkai. So war das Ausdauertraining dem Kraft- und Gleichgewichtstraining nicht überlegen, es gab aber in beiden Gruppen signifikante Verbesserungen der Schizophreniesymptome, beim Kurz- und Langzeitgedächtnis und der Fähigkeit, sich im Alltag zurecht zu finden – umso mehr, je öfter trainiert wurde. Selbst sechs Monate nach Ende des Trainings waren noch positive Effekte messbar, was die langfristige Wirkung des Trainings unterstreicht. Nachweisbare Auswirkungen gab es auch im Gehirn, denn die normalerweise schnell fortschreitende Volumenreduktion der Hippocampusareale konnte kompensiert werden. Allerdings ging dies, anders als erwartet, nicht einher mit einem besseren Sprachgedächtnis.

Unerwartet war auch, dass das Training keinen messbaren Effekt auf das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung hatte, „wahrscheinlich, weil der Trainingszeitraum zu kurz war und auch sonst keine Änderungen im Lebensstil, beispielsweise der Ernährung, vorgenommen wurden“, erklärt Falkai die Ergebnisse und schlussfolgert: „Wir brauchen weitere Forschung, um Details noch besser zu verstehen, aber wir können schon jetzt Empfehlungen zu körperlichem Training aussprechen, die Befindlichkeit und Symptomatik der Betroffenen deutlich verbessern.“

Schizophrenie

Schizophrenie wird durch Veränderungen und Abbau von Nervengewebe im Gehirn verursacht. Besonders betroffen ist der Hippocampus, das Hirnareal, das unter anderem für Gedächtnisleistungen verantwortlich ist. Die Erkrankung beeinflusst die Wahrnehmung der Realität sowie Stimmung und Antrieb der betroffenen Menschen. Typisch sind Halluzinationen und Denkstörungen sowie die Unfähigkeit, eigene Gefühle auszudrücken mit der Folge, dass die Betroffenen Probleme haben, am gesellschaftlichen oder beruflichen Leben teilzunehmen. Die Erkrankung beginnt in aller Regel im jungen Erwachsenenalter und tritt meist in akuten Schüben auf, sogenannten schizophrenen Episoden. Therapiert wird überwiegend mit Medikamenten, die aber häufig hohe Nebenwirkungen und geringe langfristige Erfolgsraten haben. Neben den immer stärker werdenden Einschränkungen in Alltag und Beruf tragen die Betroffenen ein erhöhtes Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Ihre Lebenserwartung ist um rund 15 Jahre verkürzt.

Der Forschungsverbund ESPRIT führt die bislang weltweit größte und erste multizentrische Studie durch, um bei Menschen mit Schizophrenie die Effekte körperlichen Trainings auf das Herz-Kreislauf-System, psychopathologische Symptome und kognitive Defizite hin zu untersuchen. Zudem werden die einer Schizophrenie zugrundeliegenden neurobiologischen Mechanismen erforscht. Im Teilprojekt ESPRIT untersuchen die Forschenden in einer klinische Studie, wie sich speziell Ausdauersport auf kognitive Eigenschaften und Reduktion der Krankheitssymptome auswirkt. Der Forschungsverbund ESPRIT wird seit 2015 mit insgesamt über 5,2 Millionen Euro gefördert.