Juli 2022

| Newsletter 107

Therapieoptionen für Organfibrosen erforscht

Krankhafte Vernarbungen in Organen können lebensbedrohlich werden. Die Ursachen der Narbenbildung sind weitgehend unbekannt, doch eine Gruppe von Nachwuchsforschenden liefert jetzt erste Erkenntnisse über ihre Auslöser und arbeitet an neuen Therapien.

Nierengewebe unter dem Mikroskop: links das Gewebe einer gesunden Niere, rechts krankhaft verändertes Nierengewebe. Die Vernarbungen sind an der roten Anfärbung zu erkennen.

Nierengewebe unter dem Mikroskop: links das Gewebe einer gesunden Niere, rechts krankhaft verändertes Nierengewebe. Die Vernarbungen sind an der roten Anfärbung zu erkennen.

Rafael Kramann, UK Aachen

Viele chronische Erkrankungen führen früher oder später zu einer fehlerhaften Narbenbildung im Organgewebe. Schätzungen zufolge soll die Hälfte aller Sterbefälle in der entwickelten Welt mit einer solchen Organfibrose zusammenhängen. Professorin Dr. Rebekka Schneider vom Universitätsklinikum Aachen erklärt: „Eine gezielte Therapie ist bislang kaum möglich, weil der Ursprung der Vernarbungen wenig erforscht und daher weitgehend unbekannt ist. Wir wissen zwar, dass bestimmte Zellgruppen die Vernarbungen auslösen. Woher diese Zellen kommen, wird unter den Experten aber kontrovers diskutiert, und wie sie aktiviert werden, ist noch vollständig unklar.“

Im Juniorverbund Fibromap erforscht die junge Medizinerin und Molekularbiologin die Mechanismen der Narbenbildung zusammen mit ihren Aachener Kollegen Professor Dr. Ivan Costa und Professor Dr. Rafael Kramann sowie Professor Dr. Victor Puelles vom Universitätsklinikum in Hamburg. Der Fokus der Nachwuchsforschenden liegt auf Niere und Knochenmark. Ihr Ziel ist es, die Diagnostik von Organfibrosen zu verbessern, vor allem aber, neue wirksame Therapien zu entwickeln. Erste vielversprechende Ergebnisse und eine Patentanmeldung zur Entwicklung eines Medikamentes gibt es bereits. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den Juniorverbund bis Ende 2024 mit insgesamt knapp 5,8 Millionen Euro.

Organfibrosen

Die fehlerhafte Narbenbildung von Organgewebe nennt man Organfibrose. Sie entsteht im Verlauf von fast allen chronischen Erkrankungen und kann grundsätzlich in allen Organen auftreten. Sie beginnt spontan, häufiger aber nach einer Schädigung des Gewebes wie einer Durchblutungsstörung oder einer Entzündungsreaktion. Dadurch werden bestimmte, bislang noch weitgehend unbekannte Mechanismen aktiviert, sodass sogenanntes interstitielles Bindegewebe produziert wird. Normalerweise verbindet dieses Gewebe die verschiedenen Organabschnitte und enthält beispielsweise die Blutgefäße und Nerven für die Versorgung des Organs. Wenn sich dieses Gewebe aber an den falschen Stellen und im falschen Umfang bildet, beeinträchtigt das die Funktion des betroffenen Organs und kann es sogar ganz zerstören. Bekannte Beispiele für Organfibrosen sind die Leberzirrhose durch übermäßigen Alkoholkonsum oder Infektionen, die Fibrose an Herz oder Nieren beispielsweise durch hohen Blutdruck oder die Knochenmarkfibrose durch genetische Veranlagung .

Eine virtuelle dreidimensionale Landkarte führt alle Ergebnisse zusammen

Die Mitglieder des Juniorverbundes bringen Expertise aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten mit. Die einen widmen sich der Identifizierung von speziellen Zellgruppen, andere untersuchen den Einfluss von Genen, und wieder andere machen die Organfibrosen mit modernen Verfahren der Bildgebung sichtbar. Dabei entstehen große Mengen an ganz verschiedenartigen Daten. Ihre besondere Aussagekraft erhalten sie erst dadurch, dass Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker sie in einer virtuellen dreidimensionalen Karte zusammenführen und auswerten – aus diesem Grund auch der Name des Konsortiums: Fibromap. „Es entsteht eine Art Landkarte, und je mehr Forschungsergebnisse in die Karte eingetragen werden, desto mehr Wissen entsteht über die Organfibrosen, und damit steigt die Aussicht auf erfolgreiche Behandlungsansätze“, sagt Costa, der Koordinator des Fibromap-Verbundes.

Erste Übertragung in die medizinische Praxis in Aussicht

Der Verbund kann auf erste interessante Ergebnisse verweisen. In Nierenfibrosen konnten die Nachwuchsforschenden beispielsweise Zellgruppen identifizieren, die offenbar eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Narbengewebes spielen. Außerdem stellten sie fest, dass ein bestimmtes Gen (NKD2) in denjenigen Zellen vorkommt, die die Organfibrose vorantreiben. „Mit diesem Wissen können nun die krankmachenden Zellen identifiziert und gezielt Wirkstoffe zur Deaktivierung der verantwortlichen Gene eingesetzt werden“, erläutert Kramann.

Zur Entstehung krankhafter Narbenbildungen im Knochenmark haben die Nachwuchsforschenden ebenfalls einige Entdeckungen gemacht. Auch hier sind offenbar bestimmte Gewebezellen dafür verantwortlich, dass die Fibrose ausgelöst und immer stärker wird. Zudem hat sich herausgestellt, dass ein bestimmtes Alarmin-Gen verstärkt aktiviert wird. Alarmine sind körpereigene Moleküle, die als eine Art Gefahrensignal bei einer Gewebeverletzung ausgeschüttet werden. Das von der Forschungsgruppe identifizierte Alarmin kann zukünftig wahrscheinlich in der Diagnostik als Marker verwendet werden, um das Fortschreiten einer krankhaften Narbenbildung sehr frühzeitig zu erkennen. Es kann darüber hinaus auch als mögliches Ziel von Wirkstoffen dienen. Ein solcher Wirkstoff, so hat der Verbund festgestellt, ist offenbar das bereits vorhandene Krebsmedikament Tasquinimod. Damit das Medikament baldmöglichst auch zur Behandlung von Organfibrosen zugelassen werden kann, werden die Forschenden noch in diesem Herbst gemeinsam mit niederländischen Kooperationspartnern dessen Tauglichkeit gegen Narbenbildungen in einer ersten klinischen Studie prüfen.

Juniorverbünde in der Systemmedizin

Das Verbundforschungsprojekt „Fibromap – Erstellung einer dreidimensionalen Karte fibrotischen Gewebes“ ist Teil des Förderprogramms „Juniorverbünde in der Systemmedizin“  des Forschungs- und Förderkonzeptes „e:Med – Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin in Deutschland“. In einem Juniorverbund arbeiten jeweils drei bis vier junge Forschende projektbezogen für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren zusammen. Damit ermöglicht das BMBF es jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher Fachdisziplinen, hochinnovative Forschungsvorhaben im Team umzusetzen.

Lesen Sie mehr in unseren Dossier „Kluge Köpfe – innovative Ideen“:
Kluge Köpfe - innovative Ideen

Ergebnisse auch für andere Organsysteme von Bedeutung

Die Forschungsgruppe will es aber nicht bei der grundlagenwissenschaftlichen Arbeit belassen, sondern auch Diagnostik und Therapie in der medizinischen Praxis vorantreiben. Um das identifizierte Alarmin für Diagnostik und Therapie einsetzen zu können, wurde deshalb bereits ein Patent angemeldet und auch schon eine Lizenz an ein Unternehmen vergeben. In Planung befinden sich eine weitere Patentanmeldung sowie eine Ausgründung, also der Start eines eigenen Unternehmens aus der universitären Forschung heraus. Dort sollen die erhobenen Daten weiterverarbeitet und die Entwicklung neuer Therapien für Organfibrosen vorangebracht werden. Fibromap-Koordinator Costa sieht zudem noch weitergehenden Nutzen der Arbeit des Fibromap-Verbundes: „Unsere Ergebnisse werden auch auf großes Interesse bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stoßen, die sich mit den Mechanismen der Narbenbildung in anderen Organen als Niere oder Knochenmark befassen.“

Originalpublikationen:
Kuppe, C., Ibrahim, Mahmoud M., Kranz, J. et al. (2020). Decoding myofibroblast origins in human kidney fibrosis. Nature 589, 281-286 (2021), DOI. org/10.1038/s41586-020-2941-1

Leimkühler, N.B., Gleitz, H.F.E., Ronhui, L. et al. (2021). Heterogeneous bone-marrow stromal progenitors drive myelofibrosis via a druggable alarmin axis. Cell Stem Cell 28, 637-652 (2021), DOI.org/10.1016/j. stem.2020.11.004

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ivan Gesteira Costa Filho
Institut für Computational Genomics
Universitätsklinikum Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
0241 80-89337

icosta@ukaachen.de