Medizinische Genomforschung

Das menschliche Erbgut ist entschlüsselt. Nun gilt es zu einem Gesamtverständnis der grundlegenden Lebensvorgänge zu gelangen und die molekularen Ursachen von Krankheiten als Ansatzpunkte für neue Diagnoseverfahren und Therapien zu nutzen.

Forscher stehen vor der Beamer-Projektion eines molekularbiologischen Untersuchungsergebnisses. Zu sehen ist ein Muster aus mehreren tausend Punkten. Jeder Punkt ist ein Einzelergebnis der Untersuchung.

Welche Gene und welche Proteine sind in welchen Zellen wann aktiv? Fragen solcher Art will nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms die Medizinische Genomforschung beantworten.

DLR Projektträger / BMBF

Viele Erkrankungen sind genetisch bedingt. Die Identifizierung ursächlicher Genvarianten glich einst der Suche nach der „Stecknadel im Heuhaufen“. Die Sequenzierung des menschlichen Genoms erleichtert diese Suche massiv und bewirkte dadurch einen Paradigmenwechsel in der biomedizinischen Forschung: Gesuchte Gene sind heute nicht nur schneller aufzuspüren. Einmal entdeckt, lassen sie sich sofort in der Landkarte des Genoms einsortieren. Oftmals liegen zu den Sequenzen bereits weitere Informationen vor, etwa zur möglichen Funktion des Genproduktes.

Die Genomsequenzierung legte auch die Basis für die individualisierte Medizin. Bei Patientinnen und Patienten mit derselben genetisch bedingten Erkrankung entdeckten Forschende oft verschiedene Gensequenzen. Diese Variationen können den Krankheitsverlauf und auch die Wirksamkeit therapeutischer Ansätze beeinflussen. Die Identifizierung solcher Genvarianten verspricht somit neue Ansatzpunkte für präzisere Diagnosen und die Wahl der bestmöglichen Therapie, aber auch für die Prävention von Erkrankungen. Ein Beispiel dafür ist die Mukoviszidose: Die veränderte Gensequenz, die diese Lungenkrankheit verursacht, kann schon bei Neugeboren diagnostiziert werden. Das ermöglicht einen frühen Beginn der Therapie und erhöht die Chance der betroffenen Kinder auf ein längeres und gesünderes Leben.

Genomforschung in Deutschland

Die grundlagennahe biomedizinische Forschung ist ein wichtiger Ausgangspunkt für Innovationen in der Gesundheitsforschung. Deshalb hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über viele Jahre hinweg eine international wettbewerbsfähige Forschungslandschaft in Deutschland aufgebaut. Das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) war dabei ein wichtiger Wegbereiter. Hier arbeiteten Forschende aus der lebenswissenschaftlichen Grundlagenforschung mit Forschungsgruppen aus der Klinik zusammen, die krankheitsbezogen arbeiten.

Internationale Kooperationen

Die deutsche Genomforschungsszene ist heute weltweit hoch angesehen. Sie bringt sich erfolgreich in internationale Kooperationen ein – oftmals in koordinierender Rolle. Da sie ein wichtiger Impulsgeber für die Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland ist, fördert das BMBF ihre internationale Vernetzung.

Internationales Krebsgenomkonsortium

Gemeinsam mit der deutschen Krebsforschung unterstützt das BMBF das Engagement der deutschen Genomforschung im Internationalen Krebsgenomkonsortium (International Cancer Genome Consortium, ICGC). Dieses biomedizinische Großprojekt startete 2008. Weltweit beteiligen sich daran renommierte Institutionen aus 24 Ländern mit Hunderten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Über 70 Forschungsverbünde widmen sich jeweils einer bestimmten Krebsart – wertvolle Ressourcen werden so gebündelt und effektiv eingesetzt. Das BMBF unterstützt die deutschen ICGC-Verbünde mit insgesamt 25 Millionen Euro.

Das Ziel: die individualisierte Krebsmedizin

Viele klinisch „gleich“ erscheinende Tumore unterscheiden sich auf genetischer Ebene deutlich. Deshalb kann das gleiche Medikament in einem Fall Tumorzellen effektiv bekämpfen, sich in einem anderen Fall aber als unwirksam erweisen. Daher wird angestrebt, dass künftig jeder Krebstherapie eine Analyse des Tumorgenoms vorausgehen soll. Die Vision: Jede Patientin und jeder Patient soll dem DNA-Profil des Tumors entsprechend spezifisch und damit wirksamer behandelt werden können.

Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes (PCAWG)  

Forschende vergleichen die Genome von insgesamt 2.800 Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen. Gesucht werden Veränderungen des Erbgutes, die bei vielen Erkrankten auftreten. Solche Mutationen könnten die Entstehung von Krebs beeinflussen und als Ansatzpunkte für neue Diagnose-, Therapie- und Präventionsmaßnahmen dienen. Statistische Verfahren „filtern“ diese Mutationen aus den enormen Sequenzdatenmengen heraus.

Rund 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 Forschungsgruppen arbeiten gemeinsam an der globalen PCAWG-Initiative. Sie zählt zu den umfangreichsten Bioinformatikprojekten in den Lebenswissenschaften. Vom BMBF geförderte deutsche Forschungsgruppen haben viele Genomsequenzen beigetragen. Mit der Computerkapazität des Lebenswissenschaftlichen Zentrums BioQuant in Heidelberg beteiligen sie sich an den Analysen der Sequenzen.

Die nächsten Schritte

Die Sequenzierung des menschlichen Erbgutes offenbarte inzwischen zahlreiche Genvarianten, die mit wichtigen Volkskrankheiten – etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und neurodegenerativen Erkrankungen – in Verbindung stehen können. Um mithilfe dieser Erkenntnisse künftig auch therapeutische Fortschritte erzielen zu können, sind zwei Schritte wichtig:

  1. die Forschung auf weiteren „omics“-Ebenen stärken,
  2. die systemorientierte Forschung fördern.

Weitere „omics“-Ebenen erforschen

Eine der Schlüsselrollen in der biomedizinischen Grundlagenforschung spielt die „omics“-Ebene der Epigenomik. Das BMBF fördert das Deutsche Epigenom Programm, kurz DEEP, von 2012 bis 2017 mit rund 20 Millionen Euro. DEEP leistet wichtige Beiträge zum International Human Epigenome Consortium IHEC.

„omics“

Forschende analysieren mit innovativer Technik nicht nur alle Gene einer Zelle. Sie erfassen beispielsweise auch sämtliche Proteine oder Stoffwechselprodukte (Metabolite), die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle oder einem Organ befinden. Diese bilden in ihrer jeweiligen Gesamtheit das Genom, Proteom oder Metabolom. Die entsprechenden Forschungsdisziplinen sind die Genomik, Proteomik oder Metabolomik. Da sie im Englischen auf „-omics“ enden, hat sich für sie der Sammelbegriff „omics-Ebenen“ etabliert.

Das Epigenom – ein „zweiter Code“

Alle Zellen des menschlichen Körpers besitzen die gleiche genetische Information. Dennoch bilden sie mehr als 250 verschiedene Zelltypen. Die Vielfalt beruht auf Mechanismen, die in den Zellen bestimmte Gene ausprägen und andere deaktivieren. Dabei werden Gene und die sie einhüllenden Proteine chemisch verändert – die genetische Information selbst bleibt unangetastet. Diese Modifizierungen bilden zusammen das Epigenom. Es ist eine Art zweiter Code, der über unserer Erbinformation, dem Genom, liegt. Äußere Einflüsse – Ernährung, Stress und Umweltgifte – prägen unsere epigenetische Programmierung und können zur Entstehung von Krankheiten beitragen.

Die systemorientierte Forschung stärken

Die Erfolge der „omics“-Forschung sind bei wichtigen Krankheiten noch sehr überschaubar. Der Blick auf einzelne Gene und Moleküle ermöglichte noch keinen Durchbruch bei der Aufklärung eines Krankheitsgeschehens. Vielmehr ist es erforderlich, viele Faktoren gleichzeitig zu betrachten und ihr Zusammenwirken mit Hilfe von Modellierungen am Computer zu untersuchen. Diesem Ansatz widmet sich die noch junge Systemmedizin.

Um Krankheiten künftig besser verstehen, präziser diagnostizieren und wirksamer behandeln zu können, will die Systemmedizin die Ergebnisse der „omics“-Forschung systematisch mit klinischen Daten verknüpfen – von den Laboranalysen bis hin zur Bildgebung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Etablierung der Systemmedizin mit dem Forschungs- und Förderkonzept e:Med.

Systemmedizin: Neue Chancen in Forschung, Diagnose, Therapie