Individuelle Heilversuche zeigten Erfolge bei der Behandlung von Long-COVID mit einem Wirkstoff aus der Herzmedizin. Im Rahmen eines Verbundprojekts gehen Forschende nun den molekularen Mechanismen dieses Therapieansatzes auf den Grund.
Kann BC 007 – ein Wirkstoff, der derzeit zur Behandlung von kardiologischen Erkrankungen getestet wird – auch zur Behandlung von Long-COVID eingesetzt werden? Erste Hinweise darauf ergaben individuelle Heilversuche von Forschenden der Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen. Ausgangspunkt für den Einsatz von BC 007 war die Beobachtung, dass nach einer COVID-19-Erkrankung im Blut der Betroffenen Autoantikörper zirkulieren, die sich gegen körpereigene Strukturen richten können. Bestimmten Typen dieser Autoantikörper hatten die Augenärztinnen und -ärzte bereits zuvor in Verdacht, eine Rolle bei der Entstehung des Glaukoms zu spielen. Auch von Erkrankungen der Herzmuskulatur ist bekannt, dass dabei Autoantikörper die Herzmuskelzellen angreifen und die Durchblutung stören können, weshalb der Wirkstoff zunächst zur Behandlung dieser sogenannten Kardiomyopathien im Fokus stand.
Gestützt werden die Beobachtungen durch ein in der Augenheilkunde eingesetztes spezielles Verfahren zur kontaktlosen Untersuchung der gefäßführenden Schichten im Auge. Mit Hilfe der sogenannten Optischen Kohärenztomografie-Angiografie, der OCT-A, konnten die Forschenden zeigen, dass die Durchblutung der feinsten Blutgefäße der Netzhaut auch Monate nach einer COVID-19 Erkrankung noch eingeschränkt sein kann. „Wir nehmen an, dass dieser Effekt nicht auf das Auge beschränkt ist, sondern den ganzen Körper betrifft. Eine generell im Körper eingeschränkte Mikrozirkulation in den feinsten Blutgefäßen ist als Auslöser für die bisher beschriebenen Long-COVID-Symptome denkbar“, fasst Projektleiterin PD Dr. Dr. Bettina Hohberger zusammen. „Möglicherweise verändern die Autoantikörper die Blutzellen oder die Blutgefäße, was die Einschränkung der Mikrozirkulation erklären könnte und zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff führen kann.“
Die Ergebnisse bei den vier bislang mit BC 007 behandelten Long-COVID-Patientinnen und -Patienten sind vielversprechend und werden wissenschaftlich publiziert. „Wir vermuten, dass sich in Folge der Behandlung die Durchblutung des gesamten Körpers verbesserte und deshalb typische Long-COVID-Symptome wie Geschmacksverlust, Konzentrationsstörungen und Erschöpfung abnahmen“, so Hohberger.
Von der Beobachtung zum Nachweis: der erste Schritt wird getan
Doch noch sind viele Fragen zu diesem Therapieansatz offen – so ist beispielsweise noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen, welcher Zusammenhang zwischen den Autoantikörpern, einer eingeschränkten Durchblutung des Auges und der Gesamtdurchblutung des Organismus besteht. Bei BC 007 handelt es sich um ein Aptamer – ein künstlich hergestelltes DNA-Molekül, das sich an Zielmoleküle binden und diese neutralisieren kann. Die Frage, wie und ob der Wirkstoff an welche Autoantikörper bindet, ist jedoch noch nicht geklärt. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten reCOVer-Forschungsvorhaben sollen in den kommenden Monaten deshalb die molekularen Zusammenhänge geklärt und darauf aufbauend ein Therapieansatz entwickelt werden. Die Arbeiten schließen unter anderem auch eine klinische Pilotstudie mit dem Wirkstoff BC 007 ein.
„Im Labor sehen wir uns beispielsweise an, wie die Autoantikörper die Funktion und die Verformbarkeit von Blut- und Gefäßzellen beeinflussen. Unsere Untersuchungen könnten erstmals zeigen, dass physikalische Eigenschaften der Blutzellen einen direkten Einfluss auf die Durchblutung in den feinsten Gefäßen haben und dass diese durch Autoantikörper verändert werden“, erläutert Hohberger. Projektpartner des Teams der Erlanger Augenklinik sind das Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts sowie die Humboldt-Universität zu Berlin. Das Projekt läuft bis zum Sommer 2023 und wird Hinweise auf die Wirksamkeit von BC 007 bei Long-COVID geben.
Ein weiteres Ziel des reCOVer-Projektes ist es, verschiedene Labortechnologien und Messverfahren zu verbessern. „Wenn wir Durchblutungsstörungen als Folge einer COVID-19-Erkrankung schneller nachweisen können, haben wir eine Chance, Long-COVID in Zukunft schneller und gezielter zu diagnostizieren und zu therapieren“, so Hohberger.
Förderschwerpunkt:
Forschungsvorhaben zu Spätsymptomen von COVID-19 (Long-COVID)
Fördersumme: 1,2 Mio. Euro
Förderzeitraum: 01.03.2022 – 31.08.2023
Verbundleitung:
PD Dr. Dr. Bettina Hohberger
Universitätsklinikum Erlangen
Lehrstuhl für Augenheilkunde
Schwabachanlage 6
91054 Erlangen
+49 9131 853-3001
recover.au@uk-erlangen.de
Verbundpartner:
Dr. André Dallmann, Humboldt-Universität zu Berlin, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät I, Institut für Chemie
Prof. Dr. Jochen Guck, Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, Erlangen
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Erforschung der Spätsymptome von COVID-19 (Long-COVID) im Rahmen einer im Mai 2021 veröffentlichten Förderbekanntmachung. Der Förderaufruf richtete sich an interdisziplinäre Forschungsverbünde; insgesamt sind hierfür bis zum Jahr 2024 bis zu 6,5 Millionen Euro vorgesehen. Die Maßnahme zielt darauf ab, den verfügbaren wissenschaftlichen Kenntnisstand möglichst zeitnah zu erschließen, weiterzuentwickeln und für die Anwendung in der Praxis zugänglich zu machen. Der Förderschwerpunkt ergänzt die bisherigen Maßnahmen, die sich mit der Erforschung von SARS-CoV-2 / COVID-19 und der Therapie der akuten Erkrankung befassen.
Von besonderem Interesse sind die Auswertung von Patientendaten und Proben bestehender Kohorten, die Charakterisierung der Symptome, die Erforschung der Pathophysiologie sowie die (Weiter-)Entwicklung von diagnostischen und therapeutischen Konzepten sowie von multidisziplinären und multiprofessionellen Versorgungsangeboten.
Mehr Infos:Förderung von Forschungsvorhaben zu Spätsymptomen von COVID-19 (Long-COVID)