27.09.2022

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Atherosklerose: Dem Zusammenspiel der Systeme auf der Spur

Neue Therapieoptionen für die Atherosklerose eröffnet der EU-Forschungsverbund Plaquefight, koordiniert vom Münchner Mediziner Prof. Andreas Habenicht. Basis sind erste Erkenntnisse über Interaktionen zwischen Nerven-, Immun- und Kreislaufsystem.

Zwei miteinander diskutierende Wissenschaftlerinnen stehen vor Monitoren mit CT- und MRT-Aufnahmen des Herzens.

Bei der Atherosklerose entsteht offenbar ein Austausch zwischen den betroffenen Gefäßen, dem Gehirn und dem Immunsystem. Ein europäischer Forschungsverbund geht nun den zugrundeliegenden Mechanismen nach, denn die könnten vollkommen neue Therapiemöglichkeiten eröffnen.

NGFN / BMBF

Atherosklerose, eine Form der Arteriosklerose, ist eine weit verbreitete Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems; allein in der westlichen Welt sterben ein Drittel der Erwachsenen an ihren Folgen, und die Zahl der damit verbundenen Krankenhausaufenthalte steigt weiter kontinuierlich. Charakteristisch für die Krankheit sind Ablagerungen, sogenannte Plaques, und Entzündungen in den Arterien, was zu einer allmählichen Verengung und Verhärtung der Gefäße führt. Dieser Prozess kann schon in jungem Alter unbemerkt beginnen, um dann zu einem späteren Zeitpunkt lebensbedrohliche Erkrankungen auszulösen, zum Beispiel einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. In der Therapie liegt der Fokus derzeit darauf, die Ablagerungen zu entfernen, die Entzündungen zu hemmen und so eine Verschlechterung des Krankheitsbildes aufzuhalten. Die Ursachen der Atherosklerose kann man bislang nicht behandeln, da weitgehend unbekannt ist, welche Mechanismen die Veränderungen in den Gefäßen auslösen.

Atherosklerose

Die Atherosklerose ist die häufigste Form der Arteriosklerose. Dabei kommt es zu einer lebensbedrohlichen Verengung von Arterien, vor allem der Herzkranzgefäße, der Halsschlagader und der großen Beinarterien. Verantwortlich sind bisher nur ansatzweise verstandene Veränderungen in der Arterienwand, die zu Ablagerungen (Atheros, Plaques) aus Fetten und Calciumsalzen führen sowie chronische Entzündungen auslösen, die wiederum die Gefäßwand der Arterien verhärten (Sklerose). Diese krankhaften Veränderungen verringern den Blutdurchfluss im Gefäß und damit die Sauerstoffversorgung in den Organen, die von den betroffenen Arterien versorgt werden. Lösen sich Teile der Ablagerungen, entstehen Blutgerinnsel, die lebensbedrohliche Gefäßverschlüsse in Herz, Lunge oder Gehirn auslösen können.

Transnationaler Forschungsbund geht Mechanismen auf den Grund

Der transnationale Forschungsverbund Plaquefight eröffnet nun ganz neue Perspektiven für die Therapie der Atherosklerose. Der Verbund ist Teil des Europäischen Netzwerks von Förderern zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ERA-CVD), wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und vom Münchner Internisten Professor Andreas Habenicht koordiniert. Erste Erkenntnisse hat das internationale Team kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht: Danach baut der Körper offenbar ein intensives Zusammenspiel zwischen dem Gefäß-, dem Immun- und dem Nervensystem auf, um die krankhaften Veränderungen zu hemmen. Das wirft ein vollkommen neues Licht auf die Ursachen und den Verlauf der entsprechenden Gefäßerkrankungen. Die Verbundpartner wollen diese Mechanismen nun im Detail untersuchen. Habenicht wird dabei vor allem seine Methoden einbringen, das Nervenwachstum mit bildgebenden Verfahren sichtbar zu machen. Das BMBF fördert seinen Beitrag noch bis 2023 mit rund 376.000 Euro.

Bislang unbekannt: Nervensystem an Reparaturprozessen beteiligt

Bekannt war bislang, dass die Ablagerungen in den Gefäßen zu Entzündungen an der Gefäßwand führen, weshalb sich dort zu Reparaturzwecken vermehrt Immunzellen ansammeln. Mit Hilfe von optimierten bildgebenden Verfahren hat Habenicht nun sichtbar gemacht, dass auch das Nervensystem aktiv wird. So entsendet das Rückenmark vermehrt Nervenausläufer an die betroffenen Stellen und baut zugleich eine Verbindung zum Gehirn auf. Das Gehirn wiederum löst die Bildung von Botenstoffen aus, die die krankhaften Veränderungen in den Gefäßen entweder abschwächen oder verstärken – es entsteht ein regelrechtes Zusammenspiel zwischen Gefäß-, Immun- und Nervensystem.

„Dass es bei der Atherosklerose offenbar zu Wechselwirkungen zwischen gleich drei Organsystemen kommt, hat uns überrascht und führt die Forschung auf neue, bislang unbekannte Mechanismen der Entstehung dieser Krankheit“, erklärt Habenicht. Diese Zusammenhänge und Mechanismen wird das Plaquefight-Team weiter erforschen und sich dabei auf die Interaktion zwischen den Immunzellen und den Nervenzellen konzentrieren.

Transnationaler Forschungsverbund Plaquefight

Der Forschungsverbund Plaquefight – Mechanismen der frühen Atherosklerose und/oder Plaque-Instabilität bei Atherosklerose ist Teil des Europäischen Netzwerks Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ERA-CVD). Mit dem Netzwerk sollen die Forschungsaktivitäten und -programme der beteiligten europäischen Länder koordiniert werden: Deutschland, Italien, Frankreich, Polen sowie Schweden. Koordinator des Verbundes ist Professor Andreas Habenicht vom Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.

3-D-Lasermikroskop macht Zusammenspiel der Systeme sichtbar

Habenicht leistet einen wichtigen Beitrag zu den Untersuchungen, ohne den das Zusammenspiel der Systeme nicht darstellbar wäre: Mit seinem Münchner Team hat er Methoden entwickelt, mit denen die Nervenversorgung der Arterienwand und deren Veränderungen durch das Wachstum von Nervenzellausläufern erstmals sichtbar gemacht werden können. Zwei Faktoren tragen dazu bei: Mit Hilfe des sogenannten „tissue clearing“ wird das untersuchte Gewebe besonders transparent, so dass auch große Gewebevolumen darstellbar sind. Zudem konnte die Auflösung des 3D-Laser-Scanning-Mikroskops und damit die abgebildete Detailgenauigkeit um ein Vieltausendfaches verbessert werden.

Für Plaquefight wollen die Münchner diese Technik nun weiter optimieren. Zudem werden sie ihre Erfahrung aus der klinischen Praxis einbringen, wenn es darum geht, die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen zu prüfen. Habenicht ist sich sicher: „Wenn sich die Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen den drei Systemen bestätigen, ermöglicht das ganz neue Ansätze zur Prävention und Therapie der Atherosklerose.“

Jedes Jahr am 29. September findet der Weltherztag statt, um Menschen rund um den Globus zum Thema Herzgesundheit zu informieren. 2022 steht der Tag international unter den Leitgedanken „Use Heart for every Heart“, die Deutsche Herzstiftung stellt ihre Aktionen unter das Motto „Herzinfarkt: Vorbeugen ist nicht schwer!“. Im Fokus der weltweiten Kampagne stehen der Zugang zu medizinischer Behandlung sowie der Einfluss von Umweltfaktoren und von psychischem Stress auf die Herzgesundheit.