06.03.2018

| Aktuelle Meldung

Kinder vor den Langzeitfolgen belastender Erfahrungen besser schützen

Frühe Stresserfahrungen erhöhen das Risiko, im Lebensverlauf psychisch und körperlich zu erkranken. Das jetzt gestartete Projekt Kids2Health will neue Ansatzpunkte für Therapien finden, die die Chance vorbelasteter Kinder auf ein gesundes Leben verbessern.

Kinder mit stark belastenden oder traumatischen Erfahrungen erkranken langfristig viel häufiger als Menschen mit einer glücklichen Kindheit. Welche biologischen Mechanismen stecken hinter diesem erhöhten Risiko? Und ist diese folgenschwere „Programmierung“ des jungen Körpers umkehrbar? Diese Fragen wollen die Forscherinnen und Forscher vom Projekt Kids2Health beantworten.

Rennende Kinder auf einer Wiese

Frühe Lebensphasen prägen die Chancen Heranwachsender auf eine lebenslange Gesundheit. Kids2Health will klären, wie diese biologische Programmierung funktioniert.

Tracy Whiteside/Shutterstock

„Wir suchen nach den biologischen Spuren, die belastende Einflüsse in jungen Menschen hinterlassen“, erläutert Prof. Dr. Christine Heim, Projektleiterin und Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie an der Charité. „Wenn wir die biologischen Mechanismen kennen, die das Erkrankungsrisiko ein Leben lang prägen, dann können wir diese Prozesse auch beeinflussen und gezielt neue Therapien entwickeln.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert Kids2Health bis 2021 mit rund 5,1 Millionen Euro.

Wertvolle Zeitfenster in der Kindheit therapeutisch nutzen

„Unser Ziel ist es, Kinder mit erhöhtem Erkrankungsrisiko frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Denn die frühe Lebensphase mit dem noch formbaren Gehirn bietet uns ein wertvolles Zeitfenster, in dem wir die Chancen auf eine lebenslange Gesundheit erhöhen können“, so Heim. Dafür wollen die Forscherinnen und Forscher beispielsweise testen, ob psychotherapeutische Behandlungen stressbezogene biologische Veränderungen rückgängig machen oder ihnen vorbeugen können.

Dem biologischen Code der Langzeitprogrammierung auf der Spur

Heim und ihr Team untersuchen neben misshandelten Kindern und Heranwachsenden mit fluchtbezogenen Traumata auch die Kinder von misshandelten Müttern. So wollen sie herausfinden, wie sich die Stresserfahrungen der Mutter auf deren Kind übertragen. „Außerdem prüfen wir mögliche Zusammenhänge zwischen belastenden Lebenserfahrungen und frühem chronischen Übergewicht bei Kindern“, so Heim.

Die Forscherinnen und Forscher wollen verstehen, wie das Zusammenspiel von Stressfaktoren und genetischen Merkmalen den Hormonhaushalt, das Immunsystem, den Stoffwechsel und die Gehirnentwicklung im Kindesalter beeinflusst. Zudem suchen sie nach stressbedingten epigenetischen Effekten. Im Tiermodell werden sie dann erforschen, wie sie krankheitfördernde Mechanismen hemmen und Krankheitsfolgen mindern können – beispielsweise indem sie ein bestimmtes Genprodukt hemmen.

Epigenetische Programmierung

Epigenetische Mechanismen verknüpfen kleine chemische Bausteine mit dem Erbgut oder lösen sie davon ab. Diese chemischen Markierungen beeinflussen die Aktivität der Gene. Äußere Faktoren wie Stress und Ernährung prägen die epigenetische Programmierung. Sie verleihen den Genen also eine Art „Gedächtnis“, das die Genaktivität langfristig beeinflussen und das sogar vererbt werden kann.

37 Millionen Euro für neue Forschungsprojekte zur Kinder- und Jugendgesundheit

Kids2Health ist Teil der BMBF-Initiative „Gesund – eine Leben lang“, in der aktuell neun Projekte zur Kinder- und Jugendgesundheit ihre Forschungsarbeit aufnehmen. Das BMBF fördert diese Projekte bis 2021 mit rund 37 Millionen Euro. Der Fokus liegt auf chronisch verlaufenden körperlichen Erkrankungen und psychischen Störungen. Die Projekte widmen sich einem breiten Themenspektrum – hier eine Auswahl:

CHAMP: Allergien – Risiken frühzeitig erkennen und maßgeschneidert behandeln

Heuschnupfen, Nahrungsmittelallergien oder Asthma – Allergien zählen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter. Im Projekt CHAMP wollen Forschende die molekularen Mechanismen entschlüsseln, die den Beginn und den Verlauf von Allergien bestimmen. Sie suchen nach neuen Möglichkeiten, mit denen sie das Allergierisiko von Kindern frühzeitig erkennen und individuelle Therapien maßschneidern können.

COACH: Körperlich chronisch kranke Kinder psychologisch besser betreuen

Diabetes, Mukoviszidose, chronisches Rheuma – solch belastende Erkrankungen werden häufig von Ängsten und Depressionen begleitet. Diese wiederum können dazu führen, dass Kinder und Jugendliche ein gesundheitsförderndes Verhalten vernachlässigen und Therapien ihrer chronischen Erkrankung nicht einhalten – mit folgenschweren Konsequenzen für die Gesundheit.

Die COACH-Forscherinnen und -Forscher wollen deshalb die Früherkennung psychischer Begleiterkrankungen und ihre Behandlung verbessern. Dafür entwickeln sie eine internet-basierte, psychologische Therapie – speziell für Heranwachsende. COACH wird auch Ärztinnen und Ärzte darin schulen, Kinder und Jugendliche zu motivieren, ihre Behandlung konsequent einzuhalten.

PRIMAL: Das Immunsystem Frühgeborener stärken

Frühgeborene leiden oft langfristig unter Gesundheitsproblemen, weil ihre Immunabwehr nicht richtig reifen kann. Oft werden sie mit Antibiotika behandelt. Diese schützen die Neugeborenen zwar vor gefährlichen Keimen, stören aber zugleich die gesunde Entwicklung der Darmflora und damit die Reifung der jungen Immunabwehr. Im Projekt PRIMAL gehen Forscherinnen und Forscher deshalb der Frage nach, wie Sie das Immunsystem Frühgeborener besser schützen und stärken können. 

Pro-HEAD: Jugendliche mit psychischen Erkrankungen früher therapieren

Essstörungen, übermäßiger Alkoholkonsum und Depressionen – die meisten psychischen Störungen treten im Lebensverlauf erstmals vor dem 25. Lebensjahr auf. Nur ein kleiner Teil der betroffenen Jugendlichen nutzt die Chance, chronische Leiden rechtzeitig durch eine Therapie abzuwenden. Pro-HEAD will deshalb das Hilfesuchverhalten von psychisch belasteten Jugendlichen verbessern, beispielsweise mit Online-Angeboten, die gezielt junge Menschen ansprechen. Rund 15.000 Schülerinnen und Schüler schließen die Forschenden dafür in ihre Untersuchungen ein. 

COMPARE: Kindern psychisch erkrankter Eltern helfen

Kinder und Jugendliche, die mit einem psychisch kranken Elternteil zusammenleben, tragen ein erhöhtes Risiko, selbst psychisch zu erkranken. Forscherinnen und Forscher im Projekt COMPARE untersuchen, wie die elterliche Erkrankung die Psyche der Kinder negativ beeinflusst und wie dies – beispielsweise durch Elterntrainings – verhindert werden kann. 

Pionierarbeit: Die Förderinitiative „Gesund – ein Leben lang“

Mit der 2015 gestarteten Förderinitiative rückt das BMBF die Verschiedenheit der Bevölkerungsgruppen und Lebensabschnitte in den Fokus der Gesundheitsforschung, um spezifische Präventions- und Versorgungsansätze zu entwickeln. Bis 2021 stellt das BMBF dafür rund 100 Millionen Euro zur Verfügung:

  • Kinder und Jugendliche
    Oft werden sie wie „kleine Erwachsene“ behandelt – doch der Organismus junger Menschen entwickelt sich noch und stellt besondere Ansprüche an die Versorgung. Deshalb muss die Forschung mehr kindgerechte Therapien und Präventionskonzepte entwickeln.
  • Berufstätige
    Vernetzte Arbeitswelten verändern die Anforderungen im Berufsleben und können mit neuen Belastungen für die psychische Gesundheit der Berufstätigen verbunden sein. Hier gilt es, gesundheitsförderliche Arbeitsstrukturen zu schaffen und neue Wege zu finden, mit denen Betriebe die Gesundheit ihrer Arbeitnehmer fördern können.
  • Frauen und Männer
    Krankheiten äußern sich bei Frauen und Männern oft anders und können unterschiedlich verlaufen. Beispiel Herzinfarkt: Er äußert sich bei Frauen weniger spezifisch und wird deshalb oft zu spät erkannt. Solche geschlechtsspezifischen Unterschiede muss die Gesundheitsforschung stärker berücksichtigen.
  • Menschen im Alter
    Der demografischen Wandel stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen. Der Körper betagter Menschen „tickt“ anders als der von jungen Patientinnen und Patienten. Forschung muss daher das Wissen verbessern, auf dem Therapie- und Pflegemodelle für ältere Menschen aufbauen.