Kopfschmerzen sind ein häufiges Gesundheitsproblem bei Kindern und Jugendlichen. Das CHAP-Projekt hat mehr über die Ursachen herausgefunden und die Grundlagen für ein Programm geschaffen, das junge Menschen darin unterstützt, aktiv gegen die Schmerzen anzukämpfen.
„Kopfschmerzen sind bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet und treten immer häufiger auf. Das ist besorgniserregend, denn die Schmerzen sind für viele junge Menschen sehr belastend. Sie bestehen außerdem häufig bis ins Erwachsenenalter fort, können also zu einem lebenslangen Problem werden“, fasst Dr. Julia Wager, Diplom-Psychologin am Deutschen Kinderschmerzzentrum und Projektleiterin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten CHAP-Projekts, zusammen. CHAP steht für „Chronischer Kopfschmerz bei Jugendlichen: die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen aus Patientenperspektive“ und untersucht, wie häufig Kopfschmerzen bei jungen Menschen auftreten, wie sie mit den Schmerzen umgehen, was die Schmerzentstehung und -aufrechterhaltung begünstigt und welche frühzeitigen Interventionen verhindern können, dass die Kopfschmerzen chronisch werden.
Der Kopfschmerz als lästiger Begleiter im Alltag
Um mehr über die Hintergründe von Kopfschmerzen bei jungen Menschen zu erfahren, wurden in einer ersten Studie 2.280 Schulkinder aus Nordrhein-Westfalen im Alter von zehn bis 18 Jahren ein Jahr lang wiederholt zu ihren Kopfschmerzen befragt. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Häufigkeit von Kopfschmerzen mit zunehmendem Alter der Kinder ansteigt – bei den 16- bis 17-Jährigen gaben sogar fast 40 Prozent an, mindestens einmal pro Woche Kopfschmerzen zu haben. Fast 80 Prozent der Jugendlichen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen nehmen regelmäßig schmerzstillende Medikamente ein. „Diese Häufigkeit ist erschreckend hoch, da eine eindeutige Indikation für die Einnahme von Schmerzmedikamenten nur bei einer Migräneattacke besteht“, sagt Projektleiterin Wager. „Werden zu häufig Schmerzmedikamente eingenommen, besteht die Gefahr, dass Jugendliche zusätzlich einen sekundären Kopfschmerz entwickeln, der auf den Medikamentenkonsum zurückzuführen ist – der sogenannte Medikamenten-Übergebrauch-Kopfschmerz.“
Primärer Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen
Drei von vier 15-jährigen Jugendlichen haben bereits wiederkehrende Kopfschmerzen erlebt. Zumeist stellen die Kopfschmerzen eine eigenständige Erkrankung dar, die als „primärer Kopfschmerz“ bezeichnet wird, wenn andere Auslöser wie zum Beispiel ein Tumor oder eine Hirnhautentzündung medizinisch ausgeschlossen werden konnten. Die häufigsten primären Kopfschmerzarten sind Spannungskopfschmerzen und Migräne.
Die Suche nach möglichen Ursachen brachte für die Forschenden folgende Ergebnisse: Als deutliche Risikofaktoren für primäre Kopfschmerzen zeigten sich schlechter Schlaf und eine emotionale Belastung des Kindes. Positiv wirkten sich hingegen ausreichende körperliche Bewegung und das Empfinden aus, sich in der Schule wohlzufühlen. Zu viel Zeit vor Bildschirmen und am Handy – ein Verdacht, der naheliegt – konnten die Forschenden jedoch nicht eindeutig mit dem Auftreten von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Verbindung setzen. „Unsere Ergebnisse zeigen hier nur einen sehr schwachen Zusammenhang auf“, so Wager. „Und wie sich die Kopfschmerzen in ihrer Intensität und Häufigkeit weiterentwickeln, hängt nicht mit dem Medienkonsum zusammen.“ Wager möchte allerdings keine Entwarnung für den Medienkonsum geben: „Wir müssen dennoch den indirekten Einfluss von Medienkonsum auf Kopfschmerzen im Blick behalten. Denn viel Zeit vor dem Bildschirm hat negative Auswirkungen auf Bewegung sowie das Schlafverhalten und kann sich so möglicherweise indirekt auf die Kopfschmerzen auswirken.“
Eine Website kann aufklären und den Arztbesuch unterstützen
Kopfschmerz ist der häufigste Schmerz, mit dem sich Kinder und Jugendliche beim Kinder- und Jugendarzt vorstellen. Eine zweite Teilstudie wurde daher in Kinder- und Jugendarztpraxen durchgeführt, 244 Betroffene im Alter von acht bis 17 Jahren sowie 273 Eltern nahmen an der Befragung teil. Untersucht wurde, worin die jungen Patientinnen und Patienten selbst die Ursachen für die wiederkehrenden Schmerzen sahen, welche Erwartungen sie an den Arztbesuch hatten und wie zufrieden sie mit der Behandlung waren. Die Untersuchungen zeigen, dass Kinder, Jugendliche und Eltern in der Regel ein umfassendes Schmerzverständnis haben, das verschiedene Auslöser berücksichtigt. Stress wird von den Betroffenen und ihren Familien als die häufigste Ursache der Schmerzen angenommen, gefolgt von hohen schulischen Anforderungen und der Pubertät. Zu wenig Bewegung wird jedoch nur sehr selten als mögliche Ursache der Schmerzen gesehen. Obwohl die meisten Kinder und Jugendlichen Stress als einen wichtigen Bedingungsfaktor für Schmerzen nennen, werden häufig Schmerzmedikamente eingenommen. „Um das zu ändern, ist es wichtig, dass der behandelnde Arzt oder die Ärztin ausreichend Zeit hat, um die Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern über mögliche Schmerzursachen zu informieren und ihnen einfache Bewältigungsstrategien mitzugeben. Dies ist jedoch zeitaufwendig und im hektischen Alltag einer Kinderarztpraxis häufig nicht realisierbar“, fasst Projektleiterin Wager zusammen.
Abhilfe kann hier eine Website schaffen, die basierend auf den Erkenntnissen der ersten beiden Teilstudien des Projekts entwickelt wurde und nun in einer dritten Teilstudie des CHAP-Projekts eingesetzt wird. Diese Website vermittelt Wissen über Kopfschmerzen sowie Selbstmanagementstrategien. Ihre Wirksamkeit wird aktuell in der Schmerzambulanz des Deutschen Kinderschmerzzentrums untersucht. Anschließend soll die Wirksamkeit der Website als eigenständige Intervention für den Einsatz in Schulen überprüft werden – mit Ergebnissen wird im kommenden Jahr gerechnet.
Die Internetseite vermittelt altersgerecht wichtige Informationen zu Migräne und Spannungskopfschmerz sowie allgemeine Maßnahmen zur Reduktion von Kopfschmerzen, wie Stressmanagement, Verbesserung der Schlafqualität und ausreichende Bewegung. Der Vorteil eines Online-Formats liegt darin, dass viele Kinder und Jugendliche dieses orts- und zeitunabhängig nutzen können. „Wenn sich unsere Intervention als wirksam erweist, könnte sie sehr einfach und kostengünstig an Schulen angeboten und in den Kinderarztpraxen in die Standardbehandlung aufgenommen werden. Wir können also frühzeitig etwas gegen die Zunahme von wiederkehrenden Kopfschmerzen und den hohen Konsum von Schmerzmitteln tun“, so Wager.
Originalpublikationen:
Wager, J., Brown, D., Kupitz, A., Rosenthal, N., Zernikow, B. (2020). Prevalence and associated psychosocial and health factors of chronic pain in adolescents: differences by sex and age. European Journal of Pain. 24(4):761-772. doi: 10.1002/ejp.1526
Könning, A., Rosenthal, N., Brown, D., Stahlschmidt, L., Wager, J. (2021). Severity of chronic pain in Ger-man adolescent school students – A cross-sectional study. Clinical Journal of Pain. 37(2):118-125. doi: 10.1097/AJP.0000000000000898.
Könning, A., Rosenthal, N. & Wager, J. (2021). Pädiatrische Primärversorgung bei wiederkehrenden Schmerzen. Der Schmerz. doi: 10.1007/s00482-021-00564-3.
Forschung gegen den Kopfschmerz
Das Forschungsprojekt „Chronischer Kopfschmerz bei Jugendlichen: die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen aus Patientenperspektive“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Fördermaßnahme „Strukturaufbau in der Versorgungsforschung“ als Nachwuchsgruppe noch bis zum Jahr 2022 mit rund 1,3 Millionen Euro gefördert.
Weitere Informationen unter https://chap-projekt.de
Ansprechpartnerin:
Dr. Julia Wager
Deutsches Kinderschmerzzentrum
Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln
Dr.-Friedrich-Steiner-Straße 5
45711 Datteln
02363 975-184
j.wager@deutsches-kinderschmerzzentrum.de
www.chap-projekt.de