03.04.2023

Partizipation schon bei der Entwicklung von Projekten

Erstmals fördert das BMBF Forschungsvorhaben, an denen Patientinnen und Patienten und alle, die sie versorgen, bereits an der Entwicklung von Forschungsprojekten aktiv beteiligt sind. Damit werden Qualität und Relevanz klinischer Forschung weiter gestärkt.

Eine Gruppe von Männern und Frauen sitzen an einem Tisch und diskutiert; vor ihnen liegen Papiere

Schon beim Planen eines Forschungsvorhabens das Wissen und die Erfahrung der erkrankten Menschen sowie all derjenigen einbeziehen, die sie versorgen – solche Projekte fördert das BMBF, damit Patientinnen und Patienten noch besser begleitet und therapiert werden. 

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Forschungsprojekte können zielgerichteter zum Vorteil von erkrankten Menschen gestaltet werden, wenn man sie selbst, aber auch all diejenigen, die sie pflegen und versorgen, an Konzeption und Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen beteiligt. Mit der Fördermaßnahme „Klinische Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung“ unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits seit Jahren Projekte, die die Bedürfnisse und Erfahrungen betroffener Patientinnen und Patienten besonders berücksichtigen, um wichtige Erkenntnislücken im medizinischen Alltag zu schließen.

Neues Fördermodul stärkt Beteiligung und damit Patientennutzen

Mit dem neuen Modul „Patientenbeteiligung in der Konzeptentwicklungsphase“ in der vorhandenen Förderrichtlinie geht das BMBF jetzt noch einen Schritt weiter. Die Betroffenen sowie weitere relevante Beteiligte wie pflegende Angehörige, Pflegefachkräfte oder auch Patientenvertretungen können schon bei der Planung eines Projektes (Konzeptentwicklungsphase) eine aktive Rolle spielen. So kann deren Perspektive beispielsweise in die Identifizierung der wichtigsten Forschungsfragen einfließen, zur Auswahl der zu untersuchenden Therapie beitragen oder auch die Gestaltung der Umsetzungsphase des geplanten Projektes mitbestimmen. Qualität und Relevanz der wissenschaftlichen Projekte und letztlich deren positiver Effekt für die Patientinnen und Patienten können damit weiter gestärkt werden. Zwei Beispiele zeigen, welcher Mehrwert durch die Partizipation bereits in der Konzeptentwicklungsphase von klinischen Forschungsvorhaben entsteht.

Klinische Forschung, insbesondere Forschung am Krankenbett, wird dringend benötigt, um Patientinnen und Patienten die nachweislich beste Versorgung angedeihen zu lassen. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Betroffenen durch Partizipation trägt wesentlich zu Qualität und Relevanz der Ergebnisse bei. Daher förderte das BMBF seit 2015 in der Förderrichtlinie Klinische Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung bislang insgesamt 67 klinische Studien und 75 systematische Reviews. Um den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten noch besser gerecht zu werden, fördert das BMBF seit 2022 nun auch Vorhaben, die die Betroffenen und diejenigen, die sie versorgen, bereits in die Planung des Forschungsprojektes einbinden. Zwischen 2022 und 2023 werden insgesamt fünf Projekte im Rahmen des Moduls Patientenbeteiligung in der Konzeptentwicklungsphase mit insgesamt rund 1 Million Euro gefördert.

 

Beispiel Konzeptentwicklungsphase für eine klinische Studie:
E-Mental-Health-Angebote gezielt für queere Menschen mit psychischen Störungen entwickeln

In dem Projekt Queer-E-Mental-Health (Queer-EMH) wollen die Forschungspartner Lücken in der Behandlung von sogenannten somatoformen, Angst- und depressiven (SAD) Störungen bei LGBTQI+-Menschen schließen; LGBTQI+ steht für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans*, Queer, Intersexuell sowie weitere sexuelle Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten (+). SAD-Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen in Deutschland. Zehn bis 40 Prozent der Betroffenen erhalten nicht die erforderliche Behandlung und gerade LGBTQI+-Menschen werden zu selten adäquat versorgt. Das Ziel des Projektes Queer-EMH ist es, eine E-Mental-Health-Intervention (EMH), also eine internetgestützte Hilfestellung bei der Bewältigung psychischer Erkrankungen zu entwickeln, welche die besonderen Bedürfnisse und die Lebensrealität der Zielgruppe berücksichtigt. EMH-Interventionen sind in anderen Kontexten bereits wirksam und auch wegen ihrer Niedrigschwelligkeit hierfür sehr gut geeignet.

Enge Zusammenarbeit von Forschenden mit der LGBTQI+-Community

In der Konzeptentwicklungsphase will das Forschungsteam zusammen mit der LGBTQI+-Community herausarbeiten, welchen spezifischen Bedarf für eine E-Mental-Health-Intervention queere Menschen mit SAD-Erkrankungen haben, ob bereits bestehende Verfahren für die ausgewählte Zielgruppe geeignet sind und wie sie gegebenenfalls angepasst werden sollten. Darüber hinaus entwickeln die Forschenden gemeinsam mit der Zielgruppe gute und sensible Kommunikations- und Rekrutierungsstrategien sowohl für die erste Projektphase als auch die im Folgenden geplante klinische Studie. Konzipiert wird diese Studie ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit Vertretenden der LGBTQI+-Community, u.a. durch Aufbau eines Netzwerkes in die Community hinein. Weiterhin werden LGBTQI+-Personen mit psychischen Erkrankungen sowie das sie versorgende Fachpersonal aus Medizin, Psychotherapie und Beratung in die Planungsphase eingebunden. „Erst durch die Beteiligung von Menschen aus der LGBTQI+-Community und ihrer Netzwerke lernen wir ihre Bedürfnisse richtig kennen und können so eine tragfähige Studie konzipieren“, erklärt PD Dr. Rüdiger Zwerenz von der Universitätsmedizin Mainz, der als Projektleiter gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Strauß vom Universitätsklinikum Jena das Projekt Queer-EMH leitet. Zu den Zukunftsaussichten sagt Prof. Strauß: „Die Zusammenarbeit mit Menschen aus der LGBTQI+-Community, die selbst von psychischen Symptomen betroffen sind oder waren, ihrer Community und Fachpersonal aus Therapie und Beratung bietet spannende und wichtige neue Perspektiven sowie einen großen Mehrwert für die Forschung.“

Beispiel Konzeptentwicklungsphase für eine systematische Übersichtsarbeit:
Unnötige Krankenhausaufenthalte für Menschen mit Demenz vermeiden

Das Projekt DECIDE-SR ist ein Beispiel dafür, wie die Beteiligung von erkrankten Menschen sowie deren Angehörigen bereits in der Planungsphase einer sogenannten systematischen Übersichtsarbeit (systematisches Review) gelingen kann. Für solche systematischen Reviews sammeln Forschende gezielt und möglichst vollständig die weltweit vorhandenen wissenschaftlichen Arbeiten zu einer bestimmten Forschungsfrage. Die Ergebnisse werden zusammengeführt, ausgewertet und Empfehlungen abgeleitet.

Mit DECIDE-SR will das Projektteam ein Konzept entwickeln, wie auch Menschen mit einer Demenz aktiv in die Planung systematischer Übersichtsarbeiten eingebunden werden können. In der Übersichtsarbeit selbst sollen dann Verfahren und Maßnahmen identifiziert werden, die am besten dazu beitragen, Menschen mit Demenz unnötige Krankenhausaufenthalte zu ersparen. In Deutschland leben aktuell etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenzsymptomen.

Wissen und Erfahrung aller Beteiligten nutzen

„Mit der Einbeziehung von Menschen mit einer Demenzdiagnose oder Demenzsymptomen in eine systematische Übersichtsarbeit betreten wir Neuland“, erklärt die Projektleiterin Prof. Martina Roes am Standort Witten des Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Damit dies gelingt, will die Projektgruppe bei der Planung des Projektes durch methodisch gezielte Einbindung auf das Wissen und die Erfahrung all derjenigen zurückgreifen, die unmittelbar mit Menschen mit Demenz zu tun haben, angefangen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Demenzforschung über die behandelnden Ärztinnen und Ärzte bis hin zu den Fachpflegekräften und den pflegenden Angehörigen. „Mit diesem Ansatz sind wir nah an der Realität der Betroffenen und sehen darin eine große Chance, Pflege und Versorgung für sie zu optimieren“, sagt Projektleiterin Roes.